Ein Projekt
des Seniorenbeirats der Stadt Taunusstein
Stand:
Januar2014
Vorwort
Im Rahmen eines Zeitzeugenprojekts, welches der
Seniorenbeirat der Stadt Taunusstein im April 2011
beschloss und mich mit der Durchführung beauftragte,
erfolgten im Mai 2011Aufrufe in der Tagespresse und in den
„Stadtnachrichten", um eine ausreichend große Zahl von
Zeitzeuginnen und -zeugen für eine Dokumentation gewinnen
zu können. Ein weiterer Aufruf erfolgte im August 2012 in
einem Interview mit dem „Wiesbadener Kurier".
Als Zielgruppe gelten Personen, die in einer der ehemals
10 selbständigen Gemeinden, die heute die Stadt
Taunusstein ausmachen, aufgewachsen sind und sich
möglichst auch noch an die Zeit vor dem 2. Weltkrieg
erinnern können. Die drei letzten noch lebenden
Bürgermeister von Wingsbach, Orlen und Hambach gehören
ebenso zu den Interviewten wie auch 10 Flüchtlinge bzw.
Heimatvertriebene. Jeder der 10 Stadtteile ist dabei
mindestens zweimal vertreten:
Lebenswege und Geschichten sollten festgehalten werden,
nicht Geschichte im engeren Sinne. Letztere ist
hinlänglich beschrieben und kann u.a. auch in zahlreichen
Vereinschroniken nachgelesen werden.
Die Resonanz auf die Aufrufe war enttäuschend gering. lch
bekam jedoch einen Hinweis auf die in Buchform
veröffentlichte Magisterarbeit von Sibylle Brandt, die
1993 von der Johannes Gutenberg Universität Mainz, FB 13,
angenommen worden war und den Titel, Kindheit 1900-1925 in
Taunusstein trägt. Damals wurden 109 Personen
angeschrieben und um Mithilfe gebeten. Die Tagespresse
berichtete und die ,,Hessenschau" sendete eine kurze
Fernsehdokumentation. Am Ende erklärten sich 16 Personen
für ein Interview bereit. Letztlich kam aus verschiedenen
Gründen nur mit 12 Zeitzeugen der Jahrgänge 1910 und
früher eine Befragung zustande. Diese Erfahrung von Frau
Brandt macht mir Mut, das Projekt weiter zu verfolgen,
stand es doch nicht unter dem Zeitdruck einer
wissenschaftlichen Arbeit. Einen Fragebogen als
Gesprächsleitfaden hatte ich bereits entwickelt, ehe ich
ihr Buch zu lesen bekam. Auch war die Idee der
Gesprächsaufzeichnung da. Um die einzelnen Gespräche
protokollieren und dokumentieren zu können. Gerade der
Gedanke, die Schilderungen von älteren Zeitzeuginnen und
-zeugen (ZZ) im Originalton für spätere Generationen
aufzubewahren, scheint mir verlockend.
In einem ersten Schritt war beabsichtigt, lediglich
Gesprächsprotokolle zu schreiben und die Tondateien zu
speichern. Zusammen sollten sie dann dem Stadtarchiv
übergeben werden. Die Auswertung, wie sie hier vorliegt,
war also zunächst von mit selbst nicht beabsichtigt, ist
mir aber vorab in allen Fällen von den Interviewten
genehmigt worden.
Die Materialfülle hätten einem Dritten diese
Arbeitsschritte unnötig erschwert. Wie kam ich nun doch
noch an eine ausreichende Zahl von ZZ aus allen
Stadtteilen? Hinweise von Dritten, wie z.B. von der
„Leitstelle Älterwerden“, aus dem Seniorenbeirat, von
Ortsbeiräten und auch von Zeitzeuginnen und -zeugen
selbst, ließen mich den direkten Weg der persönlichen
Ansprache gehen. Ein großer Bekanntenkreis, ich bin selbst
Einheimischer, war dabei unerlässlich. Manchmal mehr,
manchmal weniger Überzeugungsarbeit war im Vorfeld zu
leisten. Wenige Absagen bekam ich.
Innerhalb von zwei Jahren konnte ich 36 Personen bewegen,
mir in ihren Zuhause für insgesamt 28 Interviews zur
Verfügung zu stehen.
Bleidenstadt
|
3
|
Hahn
|
7
|
Wehen
|
4
|
Neuhof
|
5
|
Seitzenhahn
|
2
|
Wingsbach
|
5
|
Watzhahn
|
2
|
Orlen
|
3
|
Hambach
|
2
|
Niederlibbach
|
3
|
Die ZZ verteilen sich auf ff. Geburtsjahrgänge
1921
|
1
|
1922
|
2
|
1923
|
1
|
1925
|
5
|
1926
|
1
|
1927
|
3
|
1929
|
3
|
1930
|
1
|
1931
|
3
|
1932
|
2
|
1933
|
7
|
1934
|
1
|
1935
|
2
|
1936
|
2
|
1938
|
2
|
Alle ZZ sind im Anhang aufgeführt, sind jedoch nicht in
allen Fällen Gegenstand dieser Auswertung.
Insgesamt haben die Gesprächsprotokolle etwa den
vierfachen Umfang dieser hier vorliegenden Auswertung. Die
Gesprächsdateien im mp3-Format haben ein Volumen von rund
40 Stunden. Alle Dokumente zu diesem Projekt befinden sich
im Stadtarchiv.
Untergegangene Redewendungen von Wörtern in
Niederlibbacher Mundart, bei Frau Sieglinde Bietz im
November 2013 aufgenommen, gehören im Originalton
ebenfalls zu diesen Dateien.
Der Betrachtungszeitraum beginnt mit der frühesten
Erinnerung der ältesten ZZ (1924) und endet in der
Nachkriegszeit.
Die Auswertung gibt sehr Persönliches nicht wieder,
sondern dieses verbleibt als Bestandteil der Dokumentation
im Stadtarchiv. Es gab lustige aber auch dramatische
Erzählungen. Zwei Biographien von Unternehmensgründern
sind ebenfalls wertvoller Bestandteil des Projekts. Es
fällt jedoch nur eine in den Betrachtungszeitraum.
Inhaltlich maßgeblich waren für mich ausschließlich die
Darstellungen der ZZ. Nur das, was Erwähnung fand, ist
auch Gegenstand des Projekts. Recherchen meinerseits
fanden bis auf wenige Ausnahmen nicht statt. Im Einzelfall
erfolgten Nachfragen bei den ZZ, Auch diese sind
dokumentiert,
Der Alltag der Menschen an der oberen Aar in der Weimarer
Republik, dem „Dritten Reich“ und der Nachkriegszeit wird
also mehr oder weniger schlaglichtartig und exemplarisch
dargestellt.
Auch für mich bestätigte sich bei der Auswertung die
Erkenntnis: „Selten konnten sich die Informanten an
Jahreszahlen oder ihr damaliges Alter erinnern. Die
kindliche Vergangenheit wurde allgemein mit „früher“
bezeichnet.
Für die Bereitwilligkeit, das Vertrauen und die Offenheit
danke ich „meinen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen
ausdrücklich.
Taunusstein, im Januar 2017
Dietmar Enders
Inhaltsverzeichnis
1.
Kindergarten ab 1924
2.
Schulzeit ab 1926
3. Von der Wiege bis zur Bahre
3.1 So
spielten und vergnügten sich die Kinder
3.2
….und
so die Erwachsenen
3.3
Wie kam man von A nach B?
3.4
Wie war es um das Gesundheitswesen bestellt?
3.5
Zu allen Zeiten wird gestorben
4. Wohnen/Kochen/Essen/Kleidung
4.1 Was zog
man an?
4.2 Und die
Frisuren?
5.
Arbeiten/Lehre/Beruf
6. Geschäfte, Handwerker und
Gaststätten
7. Vorkriegs- und Kriegszeit
7.1 Jüdische Einwohner und Einwohnerinnen
7.2 Es war Krieg
8.
Die Amerikaner kommen
9.
Die Heimatvertriebenen kommen
9.1
So erlebten es die Einheimischen
9.2
Und so erlebten die Betroffenen ihre Flucht und
Vertreibung
- Liste der
Zeitzeuginnen und Zeitzeugen
(nummerisch)
- Liste der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen (nach
Stadtteilen)
-
Einwohnerzahlen 1939-1944-1950
1. Kindergarten ab 1924
Hahn: Die Diakonissen „Tante Mina und Schwester
Bertha“ waren schon in den frühen zwanziger Jahren
Kindergärtnerinnen. Anm.:
Der Kindergarten war im Rudolf-Gedächtnis-Haus, noch
heute ev. Kindergarten, welches 1927/28 von der
evangelischen Kirchengemeinde Bleidenstadt erbaut worden
war. (Nachzulesen in den Erinnerungen des
Altbürgermeisters Ludwig Schauss „Meine Heimatgemeinde
Hahn im Taunus“.)
Vor den Diakonissen hatten die Kinder Angst (ZZ 1;
1924-26). Für die Kinder im Vorschulalter gab es eine
Sonntagsschule. (ZZ 3; 1925) „Dort wurde gesungen und
Geschichten wurden erzählt. Frau Pauschmann erteilte
diesen Unterricht.“ Den Hahner Kindern blieb so der Weg
nach Bleidenstadt erspart. (ZZ 3) Später war „Tante
Auguste“ Leiterin. „Sie war eine strenge Diakonissin.“ (ZZ
20; 1936-38) Am Seilchen liefen die Kinder ab dem Gasthaus
„Grüner Wald“ in den Kindergarten. Es wurden Klappbettchen
aufgestellt und „die Kinder mussten dort ruhen“.
Nach Bleidenstadt
kamen 1928 drei katholische Schwestern
(Franziskanerinnen). Auch sie müssen wohl sehr streng
gewesen sein. „Ich hatte Angst vor ihnen.“ (ZZ 8 bis 1931)
Dort, wo sich jetzt das Pfarrbüro befindet, waren das
Schwesternhaus und der Kindergarten. (ZZ 4 bis 1928). Im
Schwesternhaus waren auch zwei öffentliche Bäder. Dort
konnte man samstags für 50 Pfennige baden. (ZZ 4) eine
Nähschule für junge Frauen gab es ebenfalls. Der Wehener
Kindergarten befand sich in einem Teil des alten Rathauses
an der Aarstraße, der in den 50er Jahren abgerissen wurde.
Rosel Christmann und eine Tante Inge waren
Kindergärtnerinnen. Auch Helga Presber half dort. Die
Kinder hatten sogar ein Karussell. (ZZ 19; 1936-38) In
diesem Gebäude wurden auch das 1. und 2. Schuljahr
unterrichtet.
Zwei ZZ aus Neuhof
(ZZ 2 und ZZ 6) sagen, dass es vor und im Krieg keinen
Kindergarten gab. „Wohl erst in den 50er Jahren.“ (ZZ 6)
Anm.: Aushang an der Alten Schule: „Im Zweiten Weltkrieg
hier Kindergarten“. In Orlen gab es lt. ZZ 14 auch im
„Dritten Reich“ einen Kindergarten.
2. Schulzeit ab 1926
Hahn:
Lehrer war die Herren Lehr, Bruggeier, Adam, Minor, Carl,
Posenenske, Kratzeller, Zech und „Fräulein“ Kunert. Die
Mädchen mussten Ärmelschoner und Schürzen tragen. (ZZ 1;
1926-34) Im alten Schulhaus in der Scheidertalstraße war
auch das Bürgermeisteramt untergebracht. Es gab auch
Empfehlungen für eine weitergehende Schule in Wiesbaden,
die aber an den Eltern scheiterten. (ZZ 1) Ab 1939
unterrichtete Herr Adam. „...ein Nazi, aber ein guter
Lehrer. Wir haben viel gelernt bei ihm.“ (ZZ 5; 1931-39)
Wurden die Kinder abends nach 20 Uhr noch von ihrem Lehrer
Carl, er war Rektor, auf der Straße gesehen, mussten sie
morgens in der Schule antreten und bekamen Stockschläge
auf die Hände.
Lehrer Posenenske war Heimatvertriebener und ein sehr
guter Lehrer. (ZZ 20; 1938-46) Meist waren zwei Jahrgänge
in einer Klasse. „Einzelne Lehrer waren sehr streng, oft
wurden wir auch geschlagen. Aber wir haben was gelernt.“
(ZZ 33; 1940-48) „Lehrer Zech war später der Organisator
des Sportplatzbaus 1952/53 in Hahn. Ein ganz feiner Mann.“
(ZZ 5)
Neuhof: Lehrer
waren die Herren Klamp, Pfeifer, Müller und Kilian. Die
Schule bestand aus den Klassen 1 – 4 und 5 – 8. Sie befand
sich an der Kirche. Durchschnittlich waren 10 – 12 Kinder
in jedem Jahrgang, aber es gab auch Jahrgänge mit 18 bis
19 Schülern. Pro Klasse waren dies dann 30 bis 40
Schülerinnen und Schüler. Die Kinder, die in der Siedlung
Platte („Neu-Dotzem“) wohnten, liefen täglich bei Wind und
Wetter zur Schule. Einzelne Schülerinnen trugen während
ihrer „Dienstzeit“ BdM-Uniformen, worüber die Angehörigen
nicht in allen Fällen begeistert waren, aber dem Drängen
der Kinder nachgegeben hatten. Schon mit 11 Jahren trugen
sie 1936 eine Uniform als Jungmädel. (ZZ 6;1931-39) Die
Lehrer waren streng, bis auf Herrn Klamp. Aber auch bei
ihm gab es mit dem Stöckchen auf die Finger. (ZZ 2;
1928-36)
So hatten die Kinder Angst vor ihren Lehrern. Ärgerte sich
jemand in Neuhof über ein Kind, ging er in die Schule, um
sich beim Lehrer zu beschweren. Dann bekamen sie umgehend
Schläge. (ZZ 2) Auf Schiefertafeln wurde geschrieben, bis
1941 in Sütterlinschrift.
An den Tafeln hingen an einer Kordel Schwamm und Lappen
für Nass und Trocken. Griffel waren in Holzkästen mit
einem Schiebedeckel untergebracht. Einmalig an der oberen
Aar war, dass Lehrer Klamp mit der Klasse vierstimmige
Lieder einübte und Mandolinen und Gitarren für die Kinder
kaufte. Er und seine Frau erteilten auch kostenlosen
Gitarrenunterricht. Alle Kinder konnten damals Noten
lesen. Als der Schulrat kam, mussten die Lehrer etwas
Zeigen können. Die Kinder spielten mit Mandolinen und
Gitarren den „Hoch- und Deutschmeistermarsch“ vor. Der
Schulrat war sprachlos. „Wildgänse rauschten durch die
Nacht“ gehörte auch zum Repertoire der Schülerinnen und
Schüler. Von diesem Unterricht profitieren die Neuhofer
Sängerinnen noch heute. Zu Weihnachten bastelten die
Schülerinnen und Schüler für die Kinder von gefallenen
Soldaten. Laubsägearbeiten waren bei den Buben besonders
beliebt. (ZZ 6) „Die Lehrer waren zwar politisch
organisiert, aber keine Politiker.“ (ZZ 7)
In die Kirche ging nicht jeder. „Das war für die
„Organisierten“ schon schwierig.“ (ZZ 6)
Bleidenstadt: Bis
zum 4. Schuljahr wurden die Kinder im Gebäude der späteren
Post an der Aarstraße unterrichtet. Die „Oberstufe“ 5 - 8
wurde dann im Gebäude des späteren Rathauses geschult.
Dieses war 1875 gebaut worden. 1909 und 1914 wurde es
erweitert. (ZZ 24; 1939-43) Lehrer waren die Herren
Hummer, Kopp und Pfeifer. Letzterer bewohnte die dortige
Lehrerwohnung. Mehrere Jahrgänge wurden gemeinsam
unterrichtet. Die Mädchen trugen „im Normalfall“ während
der ganzen Schulzeit Schürzen. Wer ein Kleid trug, erregte
das Missfallen seiner Mitschülerinnen. (ZZ 8; 1931-39)
Dann kam ein Nationalsozialist als Lehrer an die Schule.
Er befragte die Kinder zunächst, ob sie im BdM oder in der
HJ seien. Wer nicht, der musste aufstehen. Über 14 Tage
bekamen sie dann Schläge mit dem Stock auf den Rücken. (ZZ
49) Jeden Morgen wurde die Befragung fortgesetzt. Mehr
Buben als Mädchen waren organisiert, katholische Buben und
Mädchen wiederum deutlich weniger als evangelische. Oft
konnten die Eltern auch das Geld für die Uniformen nicht
aufbringen oder wollten dies aus Prinzip nicht. Ihr Vater:
„Das fangen wir erst gar nicht an“. (ZZ 4; 1928-36) Wer
von den Kindern wollte, konnte einem „Marienverein“
beitreten. Dieser war von Schwester Wilhelmina gegründet
worden.
ZZ 24 besuchte bereits ab 1943 die Mittelschule in Bad
Schwalbach. Um 7.30h verließ der Zug den Bahnhof. Ab 1944
führte er einen Güterwagen von Bahnhof Eiserne Hand bis
Bad Schwalbach mit einem Flak-Geschütz mit sich. ZZ 20
erlebte mehrfach Luftangriffe auf den Zug, mit dem er von
Hahn aus zur Schule nach Bad Schwalbach fuhr. Wegen der
schlechten Zugverbindung liefen die Kinder oft zu Fuß nach
Hause zurück. Bei Fliegeralarm in Bad Schwalbach mussten
die Schüler dann in den Keller der „Backsteinschule“, den
Luftschutzbunker in der Bahnhofstraße oder aber in einen
Stollen (Bierkeller der Fa. Eierle) gegenüber dem Bahnhof
fliehen.
An ruhigen Tagen durften die Schüler, wenn der Kutscher es
erlaubte, auf dem Trittbrett einer Kutsche zum Bahnhof
mitfahren.
Wehen: Lehrer
war ab dem 3. Schuljahr Herr Röder, Weißbinder und
Nationalsozialist. Er schikanierte seine Schüler. (ZZ 26;
1939-47) Wenn er seine Schüler bestrafen wollte, schickte
er sie in seinen Garten am Halberg, um dort zu arbeiten.
Im 6. Schuljahr war dann Herr Schneider sein Lehrer.
Von März bis August 1945 fand zunächst keine Schule statt.
Kurzzeitig unterrichtete Herr Stoll aus Wiesbaden. „Opa
Stoll“ sagten die Kinder zu ihm, weil er ein pensionierter
Lehrer war. Er unterrichtete das 6. bis 8. Schuljahr,
„...kam aber mit den Kindern nicht zurecht.“ Sein
Nachfolger war Herr Schauß aus Orlen. Lehrerin des ZZ 26
war „Fräulein“ Herr. „Es gab eine gute Erziehung und da
ist was gelernt worden.“ Aber auch Schläge gab es für die
Schulkinder immer wieder. „Das hat damals kein Kind zu
Hause erzählt.“
Die Schülerinnen und Schüler mussten auch Beerenblätter
sammeln, die auf dem Schulspeicher getrocknet und später
als Arznei verarbeitet wurden. Kartoffelkäfer waren
abzulesen und auch Flugblätter mit feindlicher Propaganda
mussten eingesammelt werden. Dann fiel die Schule jeweils
aus. „Von meinen acht Schuljahren habe ich noch keine
sieben richtig gehabt. Trotz allem kein schlechter
Unterrichtserfolg im Rückblick.“ Zahlreiche Fliegeralarme
störten die Schulzeit. Dann klopfte der Bürgermeister an
die Klassenraumtür und gab bekannt: „Feindliche Flugzeuge
haben soeben bei Koblenz den Rhein überflogen.“ (ZZ 19;
1939-47) Die Kinder „stoben dann in allen Richtungen
auseinander.“ Meist flohen sich nach Hause. Wenn sie
dieses nicht rechtzeitig erreichen konnten, dann
versteckten sich in Kellern auf dem Weg, falls noch Zeit
war. Einmal detonierte eine Luftmine in der Nähe der
evangelischen Kirche. „Wir lagen alle im Dreck“. (ZZ 19)
Manchmal ging es auch in den Luftschutzkeller am Fuß des
Halbergs (Bergstraße). Abends kontrollierten die Lehrer,
dass kein Kind nach Einbruch der Dunkelheit noch draußen
war.
Schultafeln gab es für die Kinder nicht in allen Fällen
(ZZ 34; 1-44-52) Man behalf sich. Ihr Großvater schliff
ihr ein Stück Schiefer zurecht. Als dann Leute aus
Wiesbaden zum „Schrotteln“ kamen, bekam sie endlich auch
eine richtige Tafel.
Nach dem Krieg durften die bisherigen Lehrer nicht mehr
unterrichten, weil sie in der Partei gewesen waren (ZZ
26). Schulspeisung wurde eingeführt. Dazu wurden die
Kinder in der Schule gewogen. Aber der Lehrer, Hr.
Großmann, „...hatte die Klasse nicht im Griff. Er war zu
alt für die Kinder.“ Zwei Buben gingen zur Schule nach Bad
Schwalbach, Mädchen gar keine. „War eben die Zeit nicht.“
(ZZ 34)
Orlen: Als Junge
war man in Orlen in der Hitlerjugend. (Z 11; 1933-41) “Alle waren dabei.
Sicher“. Das „Dritte Reich“ war in den Köpfen der Orlener
sehr präsent. Als Schüler trug man eine Jungvolkuniform.
„Wir hatten schöne Jungmädeluniformen mit Knoten, Schal.
Ich war ganz begeistert.“ 56 Kinder waren in einer Klasse.
Der Lehrer war im Nebenberuf Schreiner. Eine Hobelbank
stand für den Werkunterricht im Klassenraum.
Er war NSDAP-Ortsgruppenleiter. „Er hat fürchterlich
geschlagen. Immer wieder hat er einen behinderten
Mitschüler fürchterlich verprügelt.“ (ZZ 21) Auch
schwächere Schülerinnen wurden mit einem Stock geschlagen.
Wenn die Schüler morgens in die Schule kamen, hieß es
„Aufstehen! Heil Hitler!“ Dann kam der Morgenspruch: z.B.
„Wo der deutsche Soldat steht, kommt kein anderer hin.
Jawoll. Setzen.“ Im Sommer gab es Sportunterricht auf dem
Sportplatz am Hambacher Weg. Auch sonst waren „wir Kinder
dauernd unterwegs. Wir hatten einen Wagner, der uns aus
Kirschbaumholz Skier geschnitten hat. Der Schuster machte
Schuhe, aus Leder mit Nägeln auf den Sohlen, dafür ließen
die Großeltern Schweinshäute für eine Gerberei in Idstein
dort. Der Schmied Kilian fertigte Bleche an. Das Ganze
wurde mit Strohkordel verschnürt. Mit Kerzen („Stearin“)
wurde gewachst.
In der Schule wurden viel aus dem „Liederkönig“ und
Soldatenlieder gesungen. „Ich kenne alle Hitlerlieder und
alle Lieder, die auch die Soldaten sangen.“ (ZZ 21) Dazu
gab es drei Heftchen. Daraus kann man alle Lieder „Die
waren auch sehr begeisternd, weil der Rhythmus so schön
war.“ Handarbeit hatten die Kinder bei einer Frau Alexi.
Naturkunde wurde ebenso unterrichtet wie Geschichte. Die
Orte der Schlachten, auch Niederlagen, wurden an einer
Karte verfolgt. Letztere erregten dann jeweils den Zorn
der Kinder: Auch Erdkunde wurde erteilt: Eine Weltkarte
hatten sie auch. Daran wurde die Lage von Ländern geübt.
Länder wurden von Schülern genannt und ein Mitschüler
musste sie an der Karte zeigen. Selbst Afghanistan wurde
aufgerufen. Manche Kinder hatten zu Hause eine Weltkarte
und übten dort für die Schule. Auch die Gemarkungen des
Ortes waren bekannt. „Jeder wusste, was wo war.“
Gerne wären einzelne Schülerinnen und Schüler in eine
weiterführende Schule gegangen. „Dafür gab es aber keine
Gelegenheit.“ Statt Konfirmation fanden Jugendweihen in
der Gaststätte Witt statt. In jedem Haus musste „die
Hakenkreuzfahne sein“. Wer sich da nicht leisten konnte,
dem wurde die Fahne bezahlt. 1945 „haute Herr Fay mit
seiner Familie ab.“ Vorher aber „verteilte er in Orlen
Zigarren von Haus zu Haus, um sich lieb Kind zu machen.“
(ZZ 11) Es kam zunächst Herr Fink wieder, den die Orlener
Nationalsozialisten mit Schimpf und Schande verjagt
hatten.“ Seit 1937 hatte er dort unterrichtet. Mit ihm
wurden nun meistens nur Kirchenlieder gesungen. „War sehr
schön, weil man dann in der Kirche mitsingen konnte.“ Der
Konfirmandenunterricht fand, zusammen mit den Neuhofern,
in Wehen statt. Den besuchten alle Orlener jungen Leute.
Katholiken gab es im Dorf keine.
Seitzenhahn: Bis
1928/29 war die Schule in der Eltviller Straße. Sie wurde
durch einen Neubau ersetzt. Annähernd 40 Kinder besuchten
sie. Diese wurden in einer einzigen Klasse unterrichtet.
Die älteren Jahrgänge halfen den Kindern im 1. und 2.
Schuljahr.
Der Lehrer ab 1940 Herr Thiedemann, war sehr streng und
Nationalsozialist. „Ein Westerwälder Bauer. Tüchtig war
er. Er legte die Mädchen über die Bank. Dann gab es mit
dem Stock.“ Die Buben mussten diese Stöcke aus dem Wald
holen. Zwei Tage hielten sie dann aus.
„Der wusste alles. Ein guter Lehrer. Er war nur zu streng.
Die Kinder hatten Angst davor, etwas Falsches zu sagen. Es
war furchtbar.“ (ZZ 12; 1934-42) Ab 1941 waren nur noch
etwa 28 Kinder in der Schule. (ZZ 29; 1941-49) Es gab
damals keine Hefte, sondern kleine Schiefertafeln waren
angesagt, die in Tafelschonern steckten. Die Kinder hatten
Angst, zu Schule zu gehen. „Der ekelhafte Lehrer hat die
Kinder verhauen.“ Zwar galten die Schläge nicht ihr
selbst, ab sie musste es mit ansehen. Heilkräuter mussten
sie für ihn sammeln (Brennnesseln, Hagebutten, Schafsgarbe
und Johanneskraut). Sie wurden getrocknet und dann
abgeholt. Beim Sammeln mussten manchmal auch die Eltern
mithelfen, da ein Kontingent zu erfüllen war. Sonst
drohten wieder Schläge. Sehr zu ihrem Leidwesen
wurden aber getrocknete Brennnesseln auch von den Vätern
gebraucht. Das fehlte den Kindern aber nachher zu ihren
Nachteil. Ein Schüler, der spätere Ehemann von ZZ 29,
musste sich wegen der Schläge sogar in Bad Schwalbach im
Gesundheitsamt vorstellen. Einmal war der Lehrer so in
Rage geraten, das er einen Schlüsselbund an die Tafel
warf, die daraufhin zerbarst. Dafür stellte ihn der
Großvater von ZZ zur Rede. Sie selbst besuchte dann
zusammen mit drei weiteren Schulkameraden ab 1949 die
Mittelschule in Bad Schwalbach um festzustellen, dass sie
für den Besuch dieser Schule „...super vorbereitet war,
obwohl der Lehrer fürchterlich war.“ Zu Fuß mussten sie
nach Bleidenstadt zum Bahnhof laufen.
Im Winter schob die Bevölkerung einen Pfad dorthin. Oft
genug gab es kein Heizmaterial in der Mittelschule,
weswegen sich die Kinder dann nur die Hausaufgabe für eine
Woche abholten.
Watzhahn: Die
Watzhahner Kinder gingen bis 1949 in Born zur Schule. (ZZ
16) „wenn morgens im „Wecker“ Kampfflugzeuge im Angriff
auf Deutschland angekündigt wurden, dann schickte der
Lehrer die Kinder ohne Hausaufgaben nach Hause. Wir kamen
saudumm aus der Schule raus. Wichtiges für das Leben
mussten wir uns selbst aneignen.“ (ZZ 16;1937-45) Der
Lehrer, Herr Kircher, war Kreispropagandaleiter der NSDAP.
Dass es nach dem Krieg keine Jugendweihe mehr gab, wurde
von vielen Jugendlichen bedauert.
Niederlibbach:
Das Schulhaus befand sich im jetzigen
Dorfgemeinschaftshaus. Hier gab es eine einklassige
Volksschule. (ZZ 30; 1942-50) Lehrer waren die Herren
Witt, Reith, Rost und Domke. Anm.:
der spätere Busunternehmer. Auch hier halfen die
älteren Schülerinnen und Schüler den Jüngeren (ZZ 20/23
1946-48). Die ZZ 36 aus Hambach erinnert sich noch an den
Lehrer Müller in Niederlibbach, der zum Kriegsdienst
eingezogen wurde. „Ein stolzer Mann und kein
Parteimitglied.“ Er fiel im Krieg. Der
Konfirmandenunterricht fand bei Pfarrer Adolf in
Strinz-Margarethä statt.
Wingsbach: Die
alte Schule war 1844 gebaut worden. Bänke daraus stehen
heute als einzige im Museum in Wehen (ZZ 11; 1933-41 in
Orlen). Im Gegensatz zu Orlen sei, wie ihm seine spätere
Ehefrau, die Tochter des Wingsbacher Bürgermeisters,
schilderte, „das Schulsystem in Wingsbach
grundverschieden“ gewesen. Sie hätten ausnahmslos gute
Lehrer gehabt. Lehrer bis 1937 war Herr Mons. Dann kam
Henrici bis nach dem Krieg. (ZZ 35) 17 Schülerinnen und
Schüler aus 8 Jahrgängen waren in einer Klasse. Täglich
liefen sie im Sommer nach Hahn ins Schwimmbad. Dort
erteilte ihnen Lehrer Henrici Schwimmunterricht. „Er war
ein strenger Lehrmeister, aber wir konnten, im Gegensatz
zu den Orlenern, alle schwimmen.“ Morgens mussten sie
ihren Lehrer stets mit dem Hitlergruß begrüßen. Aber
Uniformen trugen wir keine.“ (ZZ 36)
Hambach: Die alte
Schule war 1912 zusammengebrochen, weil sie aus
„Tuffsteinen“ gebaut worden war. Die ZZ wurde 1936 hier
eingeschult. Alle 17 Kinder aus 8 Jahrgängen wurden in
einer einzigen Klasse unterrichtet. Der Lehrer war Adolf
Schmitt aus Wiesbaden. „Er war zwar ein Nazi, aber keiner
wie in Orlen. Es war ein himmlischer Unterricht.“ Sie
mussten keine Jungvolkuniformen tragen, wenn auch ihre
drei Jahre ältere Schwester dies durchaus tat, „...mit
Weberknoten und so.“ Als Lehrer Müller in Niederlibbach
zum Kriegsdienst eingezogen wurde, gingen die Hambacher
Schülerinnen und Schüler zusammen mit ihrem Lehrer Schmitt
und den Schülerinnen und Schülern aus Oberlibbach in
Niederlibbach zur Schule. Sie waren dann 70 Kinder in
einer Klasse. Sie liefen oder fuhren mit dem Rad. Die
Konfirmandenstunden fanden ebenfalls in Strinz-Margarethä
statt.
3. Von der Wiege bis zur
Bahre
Hebamme
in
Wehen war Frau Greiner und in Bleidenstadt Schwester
Barbara. Nach ihr wurde später eine Straße unterhalb
des Bahnhofs benannt. (ZZ 12) In Neuhof praktizierte
Frau Deuser „Amme Minchen“. „Sie konnte alles. Sie
fuhr mit dem Fahrrad bis nach Orlen und Eschenhahn, um
bei Hausgeburten zu helfen.“ (ZZ 7) Zwar war die
Säuglingssterblichkeit hoch, es gab aber durchaus auch
Familien mit 9 Kindern.“ (ZZ 2)
Nach
Seitzenhahn
kamen bis Anfang der fünfziger Jahre ein Geburtshelfer
aus Born, Herr Hofmann, und eine Hebamme aus Bad
Schwalbach, Frau Kulik. (ZZ 12)
In
Niederlibbach
war Frau Schäfer als Hebamme tätig. Sie wirkte auch in
Hambach. Mehrere Gemeindeschwestern versahen darüber
hinaus ihren segensreichen Dienst. In Hahn z.B. war
die eine Diakonisse, Schwester Minna. „Niemand ging
wegen einer Krankheit ins Krankenhaus. Kranke blieben
zu Hause. Auch Geburten fanden fast alle zu Hause
statt“ erinnert sich. (ZZ 7) Für die Gemeindeschwester
in Neuhof zahlte jede Familie monatlich einen Beitrag
von zwei oder drei Mark an den örtlichen
Schwesternverein. Die Schwestern machten täglich ihre
Runden und behandelten vormittags und abends nach
ärztlicher Verordnung. „Sie maßen Fieber und machten
Wadenwickel.“
3.1 So
spielten und vergnügten sich die Kinder
Gerne
vergnügte
man sich: im Winter liefen die Kinder sogar auf den
Straßen Schlittschuh. „Oft war das Aartal von der
Brücke in Bleidenstadt bis nach Hahn eine einzige
Eisfläche. Die Schuster mussten immer wieder Absätze
ankleben. Besondere Schuhe dafür gab es ja nicht. Mit
einem „Dudelche“ wurden die Schlittschuhe an die
Absätze angeschraubt.“ Mit dem Schlitten rodelten sie
von der Eisernen Hand bis zur alten Hahner Schule. (ZZ
20) Lenkbare Bobschlitten und Kastenschlitten hatten
sich die Buben selbst gebaut. (ZZ 5/35) Viele Bauern
hatten auch Pferdeschlitten, zur Personenbeförderung
auch mit Decken und wärmenden Backsteinen. (ZZ 34/35)
Auch Ski lief man nach dem Krieg gerne mit alten
Wehrmachtsskiern. „Wir waren immer draußen und das im
Strickzeug.“ (ZZ 20) Selbstgebaute Ski waren häufig
anzutreffen. „Im Kessel mit heißem Wasser wurden bei
Herrn Kaiser die Bretter von ca. 1,20 m gekocht und
etwas gebogen. Schuhe oder Riemchen wurden
draufgenagelt.“ (ZZ 35) Wochenlang lag der Schnee auf
den Straßen. „Im Winter 1946/47 waren in Wehen alle
Wasserleitungen eingefroren. Vorausgegangen war 1946
eine Hitzewelle, bei der die Bauern ihr Vieh in den
Wald treiben mussten.“ (ZZ 26) Im Sommer waren
Rollschuhe, ohne Gummibänder, bei den Kindern beliebt.
Das Hahner Schwimmbad war der Anziehungspunkt im
Sommer, wenn auch Wehener Kinder oft in der
„Rübenwäsche“ im Sonnental schwammen, denn Fahrräder
hatten die wenigsten von ihnen. „Sie hatten immer
frisches Wasser. Erst mit der Schule ging es ins
Hahner Schwimmbad.“ (ZZ 34) Die örtlichen Schreiner
stellten Stelzen her, auf denen die Kinder durch die
Straßen liefen.
Und
Klickerspielen
war angesagt. Dazu wurden in die Bürgersteige kleine
Löcher gekratzt. „Hickeln“ und Seilhüpfen waren
ebenfalls beliebte Spiele für Kinder und Jugendliche.
Vor dem Krieg spielten die Wingsbacher Kinder gerne in
der Dreschhalle im Backes. Daneben befand sich der
leer stehende Kuhstall des Lehrers. Dort war auch das
Holzlager für den Werkunterricht. „Schibbelrad“
nannten die Kinder es, wenn sie dort eine Radfelge mit
einem Stock vor sich hertrieben. (ZZ 35)
Zu
Hause
wurde oft „Mensch ärger Dich nicht“ gespielt. (ZZ 36)
Auch Schach stand hoch im Kurs. (ZZ 20) ZZ 21
aus Orlen weiß noch um ff. Spiele: „Landabstecken mit
Pfeilen: Jeder hat ein Land markiert und erklärte nun
den Krieg gegen ein anderes Land. In dieses Land warf
man seinen Pfeil und machte einen Strich. So wurde
Deutschland immer größer. Russland haben wir bis zum
Ural besiegt. Und „Brettball“ mit kleinen
Tennisbällen: Mit zwei Bällen machte man dann die 8er
oder „10er Probe“ an die Wand, mit Kopf, Arm, Kreuz
usw., Fäden abheben zwischen den Fingern, Völkerball
und Versteck spielen waren auch sehr beliebt. Im
ganzen Dorf hat man sich versteckt, auch in Häusern,
Kellern und Ställen. Keiner hat sich daran gestört.“
3.2 ...und
so die Erwachsenen
Tanzveranstaltungen
der
Vereine fanden im Saal des „Taunus“ statt. Aber auch
auf der Hahner Kerb wurde schon 1937 getanzt. Nach dem
Krieg waren es insbesondere Fastnacht, Kerb und
Silvester, die bald wieder gefeiert wurden.
Die
Hahner
Silvesterfeiern waren auch im Umkreis beliebt. Immer
wieder zog es die Bleidenstädter dorthin. (ZZ 24) Wer
jünger als 18 Jahre war, musste um 22.00 Uhr nach
Hause. „Dies wurde streng kontrolliert.“ (ZZ 20) In
Bleidenstadt wurde Kerb auf dem Festplatz Richtung
Hahn gefeiert. „Ganz früher im Dorf“ (ZZ 8) Nach der
Kerb ging man nachts noch mal mit Freunden zum
Kuchenessen und Kaffeetrinken nach Hause. Ostern,
Pfingsten und an der Kerb wurde Kuchen gebacken. „Dann
kam die Verwandtschaft, auch die, die fort geheiratet
hatten.“ (ZZ 2) „Kerb hatten wir eigentlich nie in
Watzhahn“ erzählt (ZZ 16). Zu den Maskenbällen liefen
die jungen Leute bis nach Lindschied. „Aber ein
Feuerwehrfest gab es schon ganz früh hier. Watzhahn
war irgendwie fortschrittlich. Rundherum war alles
noch mehr am Schlafen. Auf der Wiese war eine
Tanzfläche und nebenan eine Schiffschaukel.“ Auch
Erntedankfeste feierten die Watzhahner. Sie fuhren
dann mit großen Wagen bis nach Bad Schwalbach. Die
Wingsbacher Kerb wurde schon ab 1946 mit Kerbezug und
Pferdekutsche gefeiert. (ZZ 35) Noch 1938 fand in
Wehen die Kerb statt. Ab 1947 im Deutschen Haus und ab
1948 wieder in der Krone, erinnert sich (ZZ 26). „Die
Kern in Seitzenhahn begann 1947 schon wieder“
betont (ZZ 12). „Es gab immer einen
Umzug. Die Kerben, z.B. in Hettenhain, wurden
gemeinsam besucht.“ (ZZ 29) In das Jahr 1947 datiert
(ZZ 12) auch den Gesangverein.
In
Niederlibbach
fand die Kerb ab 1948 bei Kimbels statt. (ZZ 21)
erinnert sich noch an die erste Kerb 1947 mit Umzug in
Orlen nach dem Krieg. Karl Schneider war der
„Kerbepräsident mit einer Schärpe um.“ In der
Gemeindehalle wurde die Kerb jeweils eröffnet.
Auf
der
„Bleischter Fassnacht“ sah man bis zu einhundert
Masken im Saal Conradi. „Beim Feiern hatten wir
Nachholbedarf.“ (ZZ 8) „Die Leute waren wild aufs
Feiern. Später wurde Fastnacht im Saal Müller
gefeiert.“ (ZZ 24) Die Wehener Fastnacht war bekannt
für ihre Maskenbälle im Deutschen Haus und bei
Großmann ab 1946 und später auch in der Krone. In
Seitenhahn gab es Masken- und Lumpenbälle „schon
früh“. „Die Kriegsteilnehmer haben sich so richtig
ausgetobt.“ (ZZ 12) In Niederlibbach gab es eine
Clique von überwiegend jungen Leuten, die nach dem
Krieg zum Tanzen nach Kesselbach, Orlen und
Steckenroth lief. „Auch Ältere waren dabei, die aus
dem Krieg zurückgekommen waren. Wer sich nicht gut
benahm, durfte nicht mehr mit. Man war immer in
Gesellschaft.“ Auch den „Heiratsmarkt“ in der
Hühnerkirche besuchten die ZZ 22/23. „War nichts
Besonderes: Da stand man rum.“ Die Kerben „rundum“
wurden ebenfalls besucht. Zu Fuß liefen sie nach
Breithardt, manchmal barfuß zurück. Und Markenbälle
und das Feuerwehrfest wurden gefeiert. „Nach dem Krieg
waren die Leute wie ausgehungert.“ Die Orlener
Fastnacht „wurde toll gefeiert. 70 Masken waren dann
anwesend.“ (ZZ 14) In Neuhof wurden Kerb und Fastnacht
im Saalbau Schrank gefeiert. Nach der Kerb ging es oft
in den Nassauer Hof. (ZZ 6) Auch dieser hatte einen
Saal. Eigentümer war der Großvater der ZZ 2. Die
Hühnerkirche wird zwar mehrfach als „Heiratsmarkt“
bezeichnet, getanzt wurde dort jedoch aus Platzmangel
nicht.
Laientheater
mit
Schauspielern aus den Vereinen „waren ein Erlebnis für
die Bevölkerung“. (ZZ 20) In Bleidenstadt fanden diese
z.B. vom Gesangverein im Saal Conradi statt. (ZZ 8) In
Niederlibbach gab es jedes Jahr zur Weihnachtszeit
Aufführungen. Auch lustige Stücke wurden gegeben, wie
z.B. der „Meineidbauer“. Die ZZ 22, 23 und 30 zitieren
noch heute daraus. Beim Laientheater in Orlen vor
Weihnachten mussten bis zu 600 Personen untergebracht
werden. Dazu brachten die Leute Stühle von zu Hause
mit, und die Kirchenbänke wurden ausgeräumt. „Es war
eine tolle Kulisse. Die Halle ist 1928 gebaut worden
und war die modernste im ganzen Untertaunuskreis. Es
war die einzige weit und breit.“ (ZZ 14)
Das
Kino
in Bleidenstadt gab es erst ab 1951/52. „Ein Herr
Wiegand aus Biebrich führte die Filme im Saal Conradi
vor“. (ZZ 24) Auch in Wehen gab es „nach dem Krieg“
ein Kino in der „Krone“, bei Ilse Makowka. Im Krieg
gingen sie in Oberlibbach zum „Alfredche“ zu
Filmvorführungen. Ein Filmdienst kam damals regelmäßig
in verschiedene Orte. ZZ 11/36 Als dann das erste
Fernsehgerät nach Wingsbach kam, saßen die Leute auf
der Treppe, „um zu lauschen“. (ZZ 11)
Eine
ganz
besondere Feier hat ZZ 15 aus Watzhahn in Erinnerung:
„Als 1949 das Spritzenhaus zusammen mit der Schule
eingeweiht wurde, ist sogar eine Schiffschaukel
aufgestellt worden.“
Hochzeiten
waren
auch immer ein Grund zum Feiern. Einen Protestanten zu
heiraten, war für Katholiken auch nach dem Krieg
problematisch. „Das war schlimm. Es war gar nicht so
einfach damals. Man heiratete dann katholisch, um den
Kirchenausschluss zu vermeiden.“ (ZZ 19)
Und
ein
reges Vereinsleben ist schon früh zu verzeichnen: Zwei
Gesangvereine gab es in Bleidenstadt: den „Club“ und
den „Gesangverein“. Daraus wurde später die
„Sängervereinigung Bleidenstadt“. (ZZ 8) In Wehen gab
es vor und im Krieg sogar vier Gesangvereine:
„Quartett“ von SA/SS, „Liederkranz“, „Teutonia“ von
Landwirten und Gewerbetreibenden und seit 1922 den
„Arbeitergesangverein“. 1949 wurden diese im MGV neu
gegründet. ZZ 26 war Gründungsmitglied. Erster
Vorsitzender war Bürgermeister Blum. „Die beiden
ersten Jahre waren schwer, weil die alten Fronten
wieder aufbrachen.“ Erst in den sechziger Jahren sei
der alte Zwist durch den vermehrten Zugang von jungen
Sängern überwunden gewesen. Die Wingsbacher gründeten
sowohl ihren Gesangverein als auch den Turnverein
schon 1913. Die Turner bauten dann 1922 eine
Turnhalle. „Damals hatte Wingsbach 200 Einwohner und
es geschah alles in Eigenhilfe.“ (ZZ 11) Einen
Gesangverein gab es auch in Hambach. „Der Verein ist
wohl im Krieg eingeschlafen.“ (ZZ 36)
1946
kam es zur Neugründung der Feuerwehr in Bleidenstadt.
„Vorher gab es ja das Versammlungsverbot.“ (ZZ 24)
„Und einen Sportverein gab es wieder“. (ZZ 8)
1953
entstand
in Seitzenhahn der Reitverein zusammen mit dem
Sportverein. Später trennten sich.“ (ZZ 12)
1934
sind
die Feuerwehren in Hambach (lt. ZZ 36) und Watzhahn
(lt. ZZ 16) gegründet worden. An der Stelle des alten
Backhauses in Watzhahn wurde dann 1949 „in viel
Eigenleistung“ das Feuerwehrgerätehaus im Erdgeschoss
der Schule gebaut. „Watzhahn war durch ein hohes
Waldaufkommen gut situiert.“ In Niederlibbach gab es
die Feuerwehr und den Gesangverein wieder ab 1948.
(lt. ZZ 30)
ZZ
5
aus Hahn erinnert sich, dass seit 1930 in der
Turnhalle an der Jahnstraße geturnt wurde. Davor
turnte man über lange Jahre im Saal des „Taunus“.
Eine
aktive
Handballmannschaft der Damen gab es vor dem Krieg in
Bleidenstadt. (ZZ 8) Als diese aber mit ihrem Trainer,
Herrn Zorn, gegen die Hahner Damen verloren („das war
schlimm damals“), sahen sie nur noch die Möglichkeit,
den Hahner Trainer abzuwerben. 1946 heiratete er die
Zeitzeugin. (Anm: Es war der spätere Bürgermeister
von Bleidenstadt und Taunusstein, Arthur Fuhr).
Nach
einer
Auflage der Amerikaner durfte nur noch ein einziger
Sport treibender Verein im Dorf bestehen. „Der TuS war
der einzige Verein weit und breit, der eine
Fußballabteilung hatte, außer Bad Schwalbach und
Idstein. In unserer Mannschaft spielten auch
Bleidenstädter und Wehener Fußballer.“ (ZZ 5) Sie
spielten Fußball in der Turnhalle, was den Turnern
„ein Dorn im Auge“ war. „Das Türschloss wurde
geändert, obwohl die Fußballer bei allen Arbeiten in
der Hallte aktiver waren.“ So war es auch nachher beim
Sportplatzbau: „Da half niemand vom Turnverein mit.“
In Neuhof waren früh Kunstradfahren und Geräteturnen
beliebt. (ZZ 7)
„Die Neuhofer Turner waren sehr bekannt.“ (ZZ
6) Ein über die Region hinaus bekannter Turner war der
spätere Bürgermeister Alfred Gros. Er fuhr Neuhofer
Jugendliche nach dem Krieg mit Traktor und Hänger zu
den Sportfesten im großen Umkreis. Wo sie oft
Erstplatzierungen erreichten. Der Turnverein war
nämlich auch in der Leichtathletik aktiv. Es kamen
auch in Neuhof Spikes auf. Das traurige Ende von Herrn
Gros ist allen Neuhofer Zeitzeuginnen in Erinnerung:
„...durch Verleumdung quasi in den Tod getrieben. Eine
ganz schlimme Sache.“ (ZZ 6) In Orlen wurde 1949 der
Sportverein gegründet. „Zuerst spielte man auf einem
Acker. Dann folgte der Sportplatzbau am Limes, was
heute sicher nicht mehr möglich wäre.“
ZZ
14
war Gründungsmitglied und fuhr mit zwei Pferden Holz
von dort ab.
3.3
Wie kam man von A nach B?
Der
Schwiegervater
des ZZ 13 lief täglich zu Fuß von Hambach nach
Wiesbaden zur Arbeit und zurück. Oft waren die
Milchautos das Verkehrsmittel, um nach Wehen zum
Arzt oder nach Hahn zum Bahnhof zu kommen. In
Hambach war es der „Seppl von Dotzem“. Er bekam
dafür z.B. ein paar Eier. Busse fuhren auch schon
vor dem Krieg auf der Hühnerstraße. Aber wenn man da
hin kam und er war besetzt, hatte man Pech. Dann
konnte man wieder heimgehen.
Wer
nach
dem Krieg allerdings eine Monatskarte für den Bus
hatte, der wurde mitgenommen. „Die waren fein raus.“
Das erste Auto vor dem Krieg in Hambach war das
Milchauto, „ein Lastauto“, von Hermann Brühl. (ZZ
36) Meist war man auf ein Fahrrad angewiesen. Die
Berufspendler, die nicht aus Hahn kamen, stellten
dazu ihre Räder oft bei den Hahner Bauern oder den
Anwohnern rund um den Bahnhof Hahn-Wehen ab und
fuhren mit dem Zug weiter. In einigen Fällen mussten
sie fürs Unterstellen auch bezahlen. ZZ 11 erinnert
sich daran, dass die Scheidertalstraße in Wingsbach
erst 1903 befestigt wurde. „Im Ort war sie
gepflastert. Vorher war sie ein Feldweg.“ Vor dem
Krieg fuhr der Vater der ZZ 1 einen amerikanischen
Chrysler und nach dem Krieg einen teuren Opel
Olympia. Weil er NSDAP-Mitglied war und angezeigt
wurde, tauschte man ihn in einen billigeren „alten P
4“ um. In Wingsbach gab es vor dem Krieg mindestens
zwei Autos, eines von Bäcker Lederer und das andere
von Lehrer Mons. Das erste Auto in Orlen gehörte
Karl Schmidt. Es fuhr als Taxi. In Wehen hatten nach
dem Krieg die Brotfabrik Herdling, Dr. Lampe, der
Viehhändler Crecelius und evtl. Herr Döringer ein
Auto. „Das war´s.“ (ZZ 26) Abends fuhr auch bereits
vor dem Krieg ein Bus von Kirberg über Neuhof nach
Wiesbaden und kam dann spät als „Lumpensammler“ mit
Theatergästen zurück. (ZZ 7) Der Güterverkehr kam
vom Bahnhof Hahn-Wehen mit Pferdefuhrwerken in den
Dörfern an. So wurde z.B. auch die Kohle geliefert.
(ZZ 7) Nach dem Krieg mussten die Eltern der Orlener
ZZ 21 für die monatliche Buskarte ihrer Tochter zur
Fahrt in die Schule in Wiesbaden 20 Eier und zwei
Pfund Butter bezahlen. Die Gemeinde hatte eine
Bushaltestelle errichtet, damit Busse auch dort
anfahren konnten. Dies war bis dann nur am Orlener
Stock möglich. Verwandtenbesuche z.B. in Hennethal
waren immer mit dem Fahrrad zu bewältigen. (ZZ 29)
„Noch lange nach dem Krieg musste man von Watzhahn
nach Bleidenstadt zu Fuß zum Bahnhof laufen.
Fahrräder hatten nur wenige.“ ZZ 15
Auch
Telefone
waren eine Rarität. In Wingsbach und Orlen z.B. gab
es sie nur bei den Bürgermeistern. ZZ 14 erzählt,
dass ein Gespräch von dort 25 Pfennige kostete, der
Anruf beim Tierarzt in Idstein sogar 50 Pfennige.
„Damals verdiente ein Arbeiter 70 Pfennige in der
Stunde“.
3.4
Wie war es um das Gesundheitswesen bestellt?
Ärzte gab es bis 1946 nur in Hahn und
Wehen. Von seinen Eltern erzählt ZZ 14 aus Orlen,
dass „früher“, es war wohl vor dem Ersten Weltkrieg,
ein Wehener Arzt auf seinem Heimweg aus
Niederlibbach nach Orlen geritten kam. Er machte
dann in der Gastwirtschaft der Großeltern des ZZ
Rast. Eines Tages, es sein in einem kalten Winter
gewesen, saßen die Bauern am Stammtisch und tranken
Schnaps, als der Arzt durchgefroren eintrat. „Lisa,
ach fort, geb dem ach ein Schnaps. Mer was nit, wie
mer so en Kalle mol brauch.“ 1911 sei erst die
Straße von Wehen nach Orlen gebaut worden. Bis dann
war sie ein Wiesenweg gewesen. In Wehen war Dr.
Habicht schon sehr früh Arzt. „Er war sehr
hilfsbereit. Im Notfall kam er, das war etwa 1930,
in besonderen Fällen auch zweimal täglich mit dem
Fahrrad nach Neuhof, wenn etwa eine Mutter mal ein
Kind in der Wiege verbrüht hatte.“ (ZZ 6)
Dr.
Lampe
wird häufig genannt. Sein Einzugsbereich erstreckte
sich über alle 10 Dörfer. Dabei benutzte er wohl
auch ein Moped, wie ZZ 16 aus Watzhahn berichtet.
Wie sich ZZ 35 erinnert, war er „ziemlich streng.“
So manche Auseinandersetzung zwischen seiner Mutter
und Dr. Lampe ist ihm gut in Erinnerung. Während des
Krieges (1940) wurde Dr. Lampe zum Kriegsdienst
eingezogen. (ZZ 26) Außerdem erwähnt ZZ 26 aus Wehen
die Ärzte Dr. Tilger, Dr. Müller und Dr. Straub.
In
Hahn
praktizierten Dr. Höser („Villa Höser“) im Wald
westlich der Wiesbadener Straße, heute „Am
Lauterbach“, und Dr. Sprenger. In der „Tannenburg“
soll nach Erinnerung der ZZ 1 ebenfalls ein Arzt
tätig gewesen sein. Er sei Jude gewesen, wurde aber
auch von örtlichen Parteigängern der NSDAP
aufgesucht, wie sie sich erinnert. Dr. Sprenger
hatte z.B. auch in Watzhahn Patienten. „Er kam auch
schon im Krieg mit dem Auto nach Wingsbach, stets
mit lederner Motorradmütze, und rauchte wie ein
Schlot.“ (ZZ 35) Dr. Höser betreute seine
Patientinnen und Patienten z.B. auch in Neuhof. (ZZ
7)
In
Bleidenstadt
ließ sich erst nach dem Krieg ein Arzt nieder: Dr.
Strohschneider. Er war Heimatvertriebener. ZZ 24
erinnert sich, wie dieser damals mit „Ultrastrahlen“
zum Durchleuchten arbeitete. Und eine Anekdote fällt
ihm ein: Als Dr. Strohschneider sich in Watzhahn als
neuer Arzt vorstellen wollte, traf er auf eine
Bäuerin. „Strohschneider“ stellte sich vor, um zu
hören: „Strohschneider brauchen wir nicht. Wir
schneiden unser Stroh mit der Sens.“
Der
einzige
Zahnarzt an der Oberen Aar war Herr Weinrich in
Wehen, der Vorgänger von Dr. Gütter, sen. (ZZ 4)
Tierärzte kamen
vor dem Krieg aus Idstein und Bad Schwalbach, wobei der
Idsteiner Tierarzt meist für die Pferde geholt
wurde. (ZZ 35)
Die einzige Apotheke
in Bereich der 10 Gemeinden befand sich in Wehen
(„Ohlysche Apotheke“). Viele der Medikamente
wurden damals vor Ort
Hergestellt, erinnert sich ZZ 24 aus Bleidenstadt.
„Die Apothekerin, Frau Lauer, war wie ein Arzt“
betont ZZ 34. Soldatenmütter kauften dort
Medikamente und schickten sie ihren Söhnen, die
beim RAD tätig waren. (ZZ 35)
Die
Frauenhilfe
der evangelischen Kirche sorgte sich von ca. 1900
bis in die frühen dreißiger Jahre und dann wieder
nach dem Krieg um die Familien. Im „Dritten Reich“
wurde diese Aufgabe von der NS-Frauenschaft
wahrgenommen. (ZZ 2) Die Frauenhilfe betreute Kranke
und kochte im Bedarfsfall für deren Familien. In
Neuhof zeichnete sich hier Frau Edith Becker in
besonderem Maße aus. Sie starb nach der Erinnerung
der ZZ 6 erst 2005.
3.5
Zu allen Zeiten wird gestorben.
In
Bleidenstadt
gab es, so wie in Hahn und Wehen, Totenwagen. Der
Friedhof befand sich damals noch an der
evangelischen Kirche. „Die Nachbarschaft trug den
Sarg dann bis ans Grab.“ (ZZ 24) Auch in Orlen gab
es einen Totenwagen. (ZZ 35).
In
Hambach,
Wingsbach und Watzhahn wurden die Särge jedoch bis
um Friedhof getragen. „Das ganze Dorf ging mit“ sagt
ZZ 16 aus Watzhahn. In Wingsbach standen auf dem Weg
zum Friedhof 4 Stühle für den Sarg, damit die
Sargträger diesen dann immer mal absetzen konnten.
Ursprünglich war der Friedhof „hinter dem Ort beim
Bauer Kugelstadt und ist heute mit einer Scheune
überbaut. Der neue Friedhof entstand schon vor dem
Zweiten Weltkrieg. Später gab es dann auch in
Wingsbach einen Totenwagen.“ (ZZ 11) In Wehen
standen, so wie in den anderen Gemeinden, die Särge
zunächst in den Höfen. Dort wurden sie aber auf
einem Leichenwagen zum Friedhof neben dem alten
Gemeindehaus gefahren. (ZZ 34)
4.
Wohnen/Kochen/Essen/Kleidung
Die
Bauern
waren Selbstversorger. Bei ihnen erfolgten jeweils
ab November Hausschlachtungen. Es war verboten,
jährlich mehr als eine Sau zum Eigenverbrauch zu
schlachten. Eine weitere wurde dann jeweils
verkauft, berichtet ZZ 12 aus Seitzenhahn. In
Hambach wurde aber durchaus zweimal geschlachtet:
„Abends kam der Onkel aus Wingsbach und schlachtete.
Dann wurde alles weggeräumt. Der Onkel lief durch
die Nacht zurück und kam am nächsten Morgen wieder,
um offiziell zu schlachten. Es wurde streng
kontrolliert. „Im Dorf gab es einen Aufseher, aber
das vorher weggeräumte Fleisch blieb ja in der
Familie.“ (ZZ 36) „Lappekraut“, Sauerkraut,
Bohnen...alles wurde eingemacht. Koteletts wurden
angebraten und im Topf verschweißt. Das Sauerkraut
war im Topf mit einem Holzdeckel. Dieser wurde mit
einem Stein beschwert. Butter wurde selbst gemacht.
Gekauft wurden lediglich Salz und Zucker. Brot wurde
eingetauscht. Dazu brachten die Seitzenhahner Bauern
im Krieg Korn in die Stiftsmühle und erhielten im
Gegenzug Brot vom Bäcker Mehler in Bleidenstadt.
„Das wurde irgendwie ausgehandelt.“ Davor, bis 1930,
wurde auch noch im Backhaus selbst gebacken. Obst
gab es von den „Baumstückern“. Äpfel gab es so
viele, dass sie nach Bleidenstadt zum Bahnhof
gebracht und in Waggons nach Frankfurt-Sachsenhausen
geliefert wurden. (ZZ 12)
In
den
Dörfern gab es viel Milchvieh. Die Milch wurde an
der jeweiligen Sammelstelle abgeholt und morgens
nach Bad Schwalbach zur Molkerei Berz gebracht. (ZZ
16)
Aus
Hahn
erzählt ZZ 20: „Vor jedem Winter wurden 18-20
Zentner Kartoffeln eingekellert, davon 7-8 Zentner
aus dem eigenen Garten. Der Rest kam vom Bauer
Hölzel. Dazu wurde noch Sauerkraut in großen Töpfen
eingemacht.“ So kam die Familie, Kriegerwitwe mit 4
Söhnen, durch den Winter. Fleisch gab es jeden Monat
vielleicht einmal. „Gemüse und Kartoffeln. Fertig.“
Ab und zu holte man bei Rückers Fisch. Dann gab es
Hering mit Pellkartoffeln. Als Brotaufstrich gab es
„Lequaie“, im großen Kessel gekochte Zuckerrüben und
Zwetschen. Dies hielt fas den ganzen Winter. Die ZZ
34 aus Wehen erinnert sich, dass Zwetschenmus in
großen kupfernen Kesseln im Hof gekocht wurde. „Der
musste mit einem selbst geschnitzten Kochlöffel in
großen Fässern die ganze Nacht gerührt werden.“
Auch
suchte
man in den Wäldern Himbeeren, Brombeeren,
Heidelbeeren und Bucheckern. Letztere wurden zu
Hause getrocknet und zu Fuß nach Dotzheim gebracht.
Dort wurden sie ausgepresst. „Es gab dann im besten
Fall zwei Flaschen Öl daraus. Auch das musste den
ganzen Winter halten. Kirschen gab es nur gegen
„Amizigaretten.“ auf dem Brot gab es keine Butter,
sondern Margarine. „Muckefuck“ wurde der
Kaffeeersatz genannt. Die Wälder waren wie geleckt,
alle Obstbäume wurden abgeerntet. Man holte das Holz
mit Leiterwagen aus dem Wald. Dafür musste man oft
zwei bis drei Stunden laufen. „Das waren Zeiten, die
würde ich niemanden wünschen. Nicht meinem
schlimmsten Feind.“ An Miete zahlte man 1939
monatlich 35 Reichsmark. (ZZ 22) In Orlen waren die
Wiesen in kleine Stücke eingeteilt. „Es wurde dann
vom Ortsdiener ausgerufen, wann und von wo bis wo
gemäht werden durfte. Darüber laufen gab es nicht.
Es war immer alles geordnet, egal was es war.“ Die
Feldwege wurden versteigert und dann immer abgemäht.
„Nichts kam um.“ Auch ZZ 28 berichtet von der
Verpachtung der Feldwege in Wehen: „Die meisten
Leute hatten ein bisschen Landwirtschaft.“ Im
Frühjahr wurde Kleinholz gemacht. Mit Leiterwagen
zogen sie dann in den Wald. Bucheckern wurden in
Tüchern gesammelt oder mit der Hand aufgelesen. Dann
wurden sie in die Hermannsmühle nach Hahn gebracht.
Aus Ziegenmilch wurde Butter gemacht. (ZZ 21)
„Unsere Mutter wusste manchmal nicht, wie sie noch
etwas zu essen besorgen könnte.
Zunächst
kam
der Vater, dann die Kinder. Manchmal musste unsere
Mutter sogar weinen“ erzählt ZZ 34 aus Hahn über die
Nachkriegszeit.
Auf
das
Gerücht hin, dass es in Wehen Gemüse gäbe, liefen
zwei Schwestern von Niederlibbach dorthin, um dann
mit leeren Händen zurückzukommen. Es war nichts mehr
da, bis sie in Wehen angekommen waren. (ZZ 22/23).
Lebensmittelmarken waren noch im Krieg eingeführt
worden. Diese gab es bis zur Währungsreform am 20.
Juni 1948. Sie wurden pro Kopf ausgegeben. Pro Woche
gab es z.B. 50g Fett. Für Schwer- und
Schwerstarbeiter und werdende Mütter gab es
Zusatzmärkchen. Wurde zu Hause geschlachtet, dann
kam dies in Anrechnung. Für eine vorgeschriebene
Zeit und bestimmte Personen gab es dann keine
Fleischmarken. „Selbstversorger wurden damit anders
bedacht als andere.“ (ZZ 36) „Sie waren auch ein
Druckmittel zur Arbeit. Da gab´s keine Arbeitslosen.
Aber alles war knapp bemessen“. (ZZ 5) „Die
Versorgungslage der Bevölkerung mit Lebensmitteln
usw. war vor und im Krieg deutlich besser als in der
ersten Zeit danach.“ (ZZ 6)
„Es wurde viel geschrottelt. Die Bauern
haben das mitunter ganz schön ausgenutzt.“
Amerikaner, die in Werkstätten mit Zigaretten und
Schokolade bezahlten, wurden bevorzugt behandelt.
(ZZ 5) viele Städter kamen nach dem Krieg zum
Tauschen in die Dörfer. Sie kamen zu Fuß oder mit
dem Fahrrad. Einige kamen auch regelmäßig z.B.
einmal die Woche, um eine warme Mahlzeit zu
bekommen. Auch Hausierer waren an der Tagesordnung.
Nach der Währungsreform gab es im Rathaus 40 DM pro
Kopf. „Plötzlich waren die Regale, die vorher leer
waren, wieder voll.“ (ZZ 22, 23, 36). Die Bäcker
verkauften nur Brot. Es war Mischbrot mit Sauerteig,
Brötchen und Stückchen waren zunächst unbekannt.
Fertigbackmittel kamen erst in den frühen 50ern auf.
Und Buttercremetorten gab es, wobei an Eiern und
Butter stets gespart wurde. (ZZ 28)
4.1
Was zog man an?
Mädchen
trugen
Lederschuhe mit gestrickten Strümpfen und kurzen
Hosen, in der Schule Schürzen (ZZ 8) meist bis 14 J.
Die Buben trugen Lederhosen. Als Unterwäsche
verbreitet waren „Leib- und Seelenhosen“. (ZZ 2) In
Stellung waren Strümpfe „körbeweise“ zu stopfen. (ZZ
4) Die Kleidung ging stets von den Älteren an die
Jüngeren. Selten wurde etwas gekauft. Die Frauen
konnten alle selbst nähen. „Auf kaputte Hosen kam
ein Flicken. Fertig war´s. Das war schon eine arme
Zeit.“ (ZZ 12) Hemden, Jacken und Hosen wurden
möglichst selbst genäht. Die Kleidung wurde geändert
und weiter getragen. (ZZ 20)
Vor
dem
Krieg kam ein „Strumpfmann“ auch nach Hambach. Er
hatte eine große Kiez mit „Esslinger Strumpfwolle“
auf dem Rücken. Es wurde im Dorf aber auch noch
gesponnen. Die ZZ 34 und 36 erinnern sich daran, wie
ihre Großmütter noch ihre Wolle selbst gesponnen
haben. Kleider wurden gestrickt, weil die Bauern
Schafe hatten. Die Wolle wurde hier geschoren,
gewaschen und gesponnen erinnert sich ZZ 29, die
1935 geboren wurde. Auch Jacken strickten sie sich
selbst. 1944 zur Konfirmation ein Kleid zu bekommen
war nicht das größte Problem. Es wurde bei Kleidern
einfach „ein Stück reingesetzt.“ Am schlimmsten war
es aber, Schuhe zu bekommen. (ZZ 35) Die Kinder
waren von Kopf bis Fuß in Schafwollsachen
eingekleidet. Die Älteren trugen noch offene
Unterhosen. „Das war praktisch.“ Damenbinden gab es
noch keine. (ZZ 7)
Die
Fa.
Hako hatte in Wehen im Saal Großmann ein
Ausweichlager. Eines Tages gaben die Amerikaner
bekannt, dass diese Schuhe den Bürgern gehören. Wer
Schuhe brauchte, konnte sie sich zu einem bestimmten
Termin holen. „Da war was los.“ Menschenschlangen
hatten sich gebildet. Kreuz und quer flogen die
Kartons. Jeder hatte linke Schuhe oder rechte und
wollte nun tauschen. „Das war ein Chaos.“ Die Schuhe
trug man dann zu einem Zuckerlager unweit von Orlen
und tauschte sie ein. (ZZ 21)
„Bis
1948 hielten die Geschäfte zurück. Dann plötzlich
war alles da.“ (ZZ 35)
4.2
Und die Frisuren?
In
der Woche trugen die Mädchen die Haare zu Zöpfen
geflochten, sonntags offen. (ZZ 4)
5.
Arbeiten/Lehre/Beruf
Nach
längerer
Arbeitslosigkeit war dem Vater des ZZ 30 aus Hahn
1933/34 Arbeit angeboten worden, wenn er denn in die
NSDAP eintreten würde. Das wollte dieser jedoch
nicht, sondern ging in die SA. „Schon am nächsten
Tag bekam er Arbeit als Schreiner in Wiesbaden.“
Meist
gingen
die Mädchen als Dienstmagd zu Bauern oder als
Dienstmädchen in die Stadt. Viele blieben aber auch,
so wie nicht wenige Buben, auf dem elterlichen
Bauernhof. Im Winter schafften die jungen Männer
schon früh mit ihren Vätern im „Holzwald.“ (ZZ 14)
Vereinzelt gingen die jungen Frauen ins Büro. Oft
lernten sie nähen, um als Schneiderin zu arbeiten.
(ZZ 2) Ab 1938 fand die ZZ 4 aus Bleidenstadt eine
Stelle in einem Bäckerhaushalt in Dotzheim,
„zunächst für ein paar Pfennige“. Dort blieb sie
drei Jahre und kam nur vierzehntägig sonntags nach
Hause. Sie bekam damals 20 Mark im Monat. Das Geld
gab sie zu Hause ab, musste dann aber jeweils noch 2
Mark für die Fahrt selbst bezahlen. „Man ist
regelrecht ausgenutzt worden.“ Bis zum Kriegsende
arbeitete sie dann als Näherin bei der Fa. Söhngen
in Wiesbaden. Als alle Außenlager der Firma
geplündert wurden, war sie zunächst arbeitslos.
Die
ZZ
8, ebenfalls aus Bleidenstadt kam 1940 als
Büroanfängerin nach Biebrich. Bis zum Bahnhof
Landesdenkmal fuhr sie mit dem Zug und lief dann zur
Firma, um später in deren Außenlager in Bleidenstadt
tätig zu werden. Dieses war dort gegründet worden,
nachdem die Bombenangriffe auf Wiesbaden zugenommen
hatten. Aber weiterhin musste sie täglich die Post
aus Biebrich holen, oft genug von Luftangriffen auf
die Bahn unterbrochen. Die Buben machten oft eine
Lehre, nicht wenige von ihnen, selbst im Krieg, in
Wiesbaden. (ZZ 5)
ZZ
11
aus Wingsbach fand 1940 mit 14 Jahren eine
Lehrstelle als Schreiner in Hahn. Als der Lehrherr
in Frankreich dienstverpflichtet wurde, setzte er
die Lehre in Bad Schwalbach und Wiesbaden fort. Dort
absolvierte er auch seine Gesellenprüfung. Die Ski,
die er im Winter brauchte, um nach Hahn zu kommen,
stellte ihm die Hitlerjugend. Mit 17 kam er dann zum
RAD und mit 18 zur Wehrmacht um kurz darauf bis Ende
1948 in französische Kriegsgefangenschaft zu
geraten.
ZZ
6
aus Neuhof fand 1941 im Alter von 16 Jahren eine
Arbeitsstelle im Arbeitsamt in Bad Schwalbach und
später in Wiesbaden. Ihr Anfangsgehalt betrug 60
Mark monatlich.
ZZ
12
aus Seitzenhahn fing 1943 im Alter von 15 Jahren
beider Eisenbahn in Wiesbaden an. Gleisbau,
Gepäckabfertigung usw. 30 Reichsmark verdiente er
anfangs. 1944 wurde er nach Bad Schwalbach versetzt,
um dann noch Luftwaffenhelfer in Rottweil bzw.
Pforzheim zu werden. Seinen Heimateinsatz
absolvierte er als Richtkanonier und geriet,
17-jährig, in französische Kriegsgefangenschaft.
Weil noch nicht 18, wurde er entlassen, und schon ab
6. Juni 1945 durfte er wieder bei der Bahn arbeiten.
Auch
nach
dem Krieg gingen junge Frauen weiterhin „in
Stellung“ bei Bauern. Dort wurden sie häufig immer
noch schlecht behandelt. (ZZ 28)
Die
ZZ
19 erlebte ab 1946 in Neuhof, dass ihr nicht einmal
ein Apfel gegen ihren Hunger gegönnt war. „Stell Dir
mal vor, das würde jeder hier machen.“ Zum
Abendessen gab es ausgelassenen Speck mit Kartoffeln
(„Gedunktes“) und eine Scheibe Brot mit Wurst oder
Käse. „Das war´s. Für einen jungen Menschen zu
Wenig.“ Sie fuhr deshalb abends mit dem Fahrrad zu
ihrer Mutter nach Wehen und holte sich Äpfel, die
sie dann in ihrem Zimmer versteckte. Im Winter
wurden sie, die Knechte und die Mägde aber nicht
gebraucht. Von „Wandertag“ sprach man, wenn sie die
Höfe verließen, weil sich die Bauern dann ihre
Arbeit selbst machten. Als ortsnahe Arbeitgeber
kamen dann z.B. die Wäscherei Waldschmidt oder die
Firma Hopf in Wehen, damals noch im späteren
„Deutschen Haus“, gelegen.
Wenig
Glück
mit den beiden Schreinereien in Hahn, Bücher und
Roth, hatte ZZ 20. Sie lehnten es ab, ihn
auszubilden. Gerne wäre er Kaufmann geworden. Da
sein Lehrer ihm aber empfohlen hatte, einen
handwerklichen Beruf zu erlernen („Wir brauchen
Handwerker“), wurde er wie sein Vater Schreiner. Er
hat seine Lehrer 1946 bei Karl Groß aus Neuhof
begonnen, der eine Schreinerei in Wiesbaden hatte.
Mit dem Zug ging es nach Dotzheim und zu Fuß in die
Nettelbeckstraße. Das war schon komfortabel in
Vergleich zu den Großeltern, von denen er weiß, dass
ihre Zeitgenossen zur Arbeit auch von Wingsbach,
Orlen und Neuhof früher zu Fuß nach Wiesbaden und
zurück gelaufen sind.
Nachdem
ZZ
26 aus Wehen sich den Beruf Förster wegen der
fehlenden mittleren Reife nicht erfüllten konnte,
erlernte er den Beruf des Schuhmachers.
Orthopädieschuhmacher
war
nun sein neues Ziel, und er suchte lange nach einer
Lehrstelle, die er schließlich 1947 bei August
Usinger in Orlen fand. Er musste dort richtig schwer
arbeiten, da ihn der Lehrherr auch auf seiner
Baustelle einsetzte. In Idstein legte er dann 1950
seine Gesellenprüfung ab.
Ab
1947
besuchte die ZZ 21 aus Orlen die zweijährige
Handelsschule in Wiesbaden in der Manteuffelstraße
(„da waren noch keine Fenster drin“) und erlebte
dort, dass Unternehmer in die Schule kamen und sich
Arbeitskräfte aussuchten.
Im
Handwerk
vor Ort, bei der Firma A. Beck, fand ZZ 24 aus
Bleidenstadt 1948 eine Stelle als Schreiner. Einmal
wöchentlich musste er nach Bad Schwalbach zur
Berufsschule fahren, um dann aber gleich nach dem
Unterricht wieder arbeiten zu müssen.
Die
ZZ
22 aus Niederlibbach ging ab 1948 als „Haustochter“
zu einem praktischen Arzt nach Idstein und war dort
auch als Sprechstundenhilfe tätig. Sie kam nur am
Samstagnachmittag für das Wochenende, oft genug zu
Fuß, nach Hause. Sie hatte Glück mit ihrem
Arbeitgeber und blieb dort über 8 Jahre.
Ihre
Schwester,
die ZZ 29, kam 1949 für zwei Jahre in einen Haushalt
in Wiesbaden und besuchte anschließend die dortige
Haushaltungsschule in der Bleichstraße, um danach
ebenfalls in Idstein Haushaltshilfe und
Kindermädchen zu werden.
ZZ
30
halb zunächst noch als Schulabgänger auf dem
elterlichen Hof, um auch noch als Maurer zu
arbeiten. So übte er über eine lange Zeit zwei
Berufe gleichzeitig aus, was gerade in der
Landwirtschaft keine Seltenheit war.
Diejenigen,
die
zu Hause auf dem elterlichen Hof blieben, mussten
zur Erfüllung ihrer Berufsschulpflicht im Winter
eine landwirtschaftliche Schule in Idstein und Bad
Schwalbach besuchen. Die Schule war oft mit einem
Internat verbunden. „Dort blieb man, weil ja keine
Busse fuhren, und mit dem Fahrrad konnte man die
Strecke nicht fahren“ erzählt die ZZ 36 aus Hambach,
die ab 1948 nach Idstein „ins Internat“ ging. Von
Frühjahr bis Spätherbst wurde wieder in der
elterlichen Landwirtschaft gearbeitet. Nicht selten
lernten sich spätere Eheleute in der Winterschule
kennen. So war es auch ihr ergangen.
Ebenfalls
1948
begann ZZ 28 aus Wehen als Dreizehnjähriger seine
Lehre in Wiesbaden in der Bäckerei seiner Tante. Pro
Woche verdiente er zwei Reichsmark. Für die
wöchentliche Heimfahrt mit dem Zug musste er 1,60
Reichsmark bezahlen. Für den Rest kaufte er sich
noch ein Eis. Taschengeld gab es nicht. „Du
verdienst doch“ hieß es. Als Geselle bekam er 38,--
DM wöchentlich.
„Armut hoch drei“ war bei dem ZZ 27 aus
Neuhof angesagt, als er 1949 in Idstein seine
Mittlere Reife abgelegt hatte. „An eine Lehrstelle
zu kommen war fast aussichtslos.“ Seine Mutter,
Witwe seit 1948, stand mit drei Kindern ohne
Unterstützung da. Seine ältere Schwester lieferte
die 710 Mark, die sie monatlich in einem Haushalt
verdiente, zu Hause ab und die Mutter ging putzen.
In einem Papier- und Schreibwarenhandel in Hoechst
hatte er schließlich im Herbst 1949 Glück und bekam
eine Lehrstelle. Noch während seiner Lehrzeit fuhr
er im Außendienst mit dem Fahrrad täglich rund 50
Kilometer durch Wiesbaden und den Untertaunus auf
der Suche nach neuen Kunden. Mit einer Mustermappe
machte er sich auf den Weg und besuchte
Schreibwaren- und Lebensmittelläden, wegen der
Papiertüten auch Metzger und Bäcker. Mainz und der
Rheingau kamen bald hinzu. Und weiterhin war er auf
das Fahrrad angewiesen, bis er 1952 von einem Onkel,
dem er auch noch bei dessen Arbeit geholfen hat, ein
Leichtmotorrad für 550 Mark erhielt. Damit war er in
der Folgezeit „auch bei Schnee und Eis unterwegs“.
Sein Lehrgeld betrug 22,50 Mark monatlich. Aber von
allen Aufträgen erhielt er 6 % Provision. Alle
hatten Mitleid mit der Lage des fleißigen
Siebzehnjährigen, der nach der Lehre zunächst die
bundesweite Vertretung für einen
Glückwunschkartenverlag übernahm. Nicht lange
dauerte es, bis er sich in die Selbständigkeit begab
und Schritt für Schritt ein eigenes Unternehmen
aufbaute, den „Taunusverlag“ in Wehen.
Nachdem
ihr
Vater mit dem Pferd bei der Arbeit tödlich
verunglückt war, musste die Mutter der ZZ 29 aus
Seitzenhahn die Landwirtschaft aufgeben. Die ZZ 29
hatte 1951 in Bad Schwalbach ihre Mittlere Reife
abgelegt und betrieb nun mit ihrer Mutter das
Ladengeschäft.
Ab
1952
absolvierte die ZZ 34 aus Wehen ihre Lehre in einem
Feinkostgeschäft in Wiesbaden. Ihr Vater hatte ihr
die Stelle besorgt. „Es war eine harte Lehre.
Morgens um 6 Uhr raus und abends um halb neun
zurück.“ Dem Beruf blieb sie treu und lernte bei der
Arbeit ihren späteren Ehemann kennen.
6.
Geschäfte, Handwerker und Gaststätten
In
Hahn gab es drei Bäcker (Rock, Stahl und
Gärtner) und zwei Metzger (Friedrich/Gros in der
Aarstraße und einen Metzger in der Bahnhofstraße).
Einzelhändler
waren
Rock/Best, Rücker, Wallenborn, Koch und Schaab. Die
ZZ 1 erinnert sich: Ihr Vater, Wilhelm Schaab, bekam
vor dem Krieg freitags stets einen Zentner Fisch in
Eis verpackt aus Hamburg angeliefert. Sie nahm
jeweils die Bestellungen im Ort auf und fuhr sie
dann mit dem Fahrrad aus. „Frische Fische, gute
Fische, lasst Euch nicht vom Schaab erwische“ riefen
ihr die Zwillingssöhne aus dem Gasthaus zur Sonne
oft nach. Nachdem Schaabs keinen extra Raum für die
Fischbearbeitung hatten, ging der Verkauf an Rückers
(Anm.: Backsteingebäude an der Aarbrücke)
über. Milchsammelstelle und -verkauf waren beim
„Milchheine“ (Frankenbach.
Gaststätten
waren das Gasthaus „Grüner Wald“ der Familie
Eisenmenger. Das Gasthaus „Zum Taunus“, das
Gasthaus „Zur Sonne“ der Wirtsleute August und
Auguste Best, das Gasthaus „Zum Löwen“ der Familie
Capito und die „Tannenburg“. ZZ 3 berichtet, dass
ihr Großvater väterlicherseits, Philipp
Ohlemacher, Wirt im „Taunus“, war und von 1887 bis
1893 Bürgermeister von Hahn. Aus einer Postkarte
eines französischen Besatzungssoldaten vom
28.12.1918 ergibt sich außerdem die Existenz der
Pension Frieda. Es handelt sich offensichtlich bei
der Pension um das „MKW-Haus“ in der Aarstraße,
schräg gegenüber dem ehemaligen Kaufhaus
Wallenborn. Beide Gebäude stehen heute noch.
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In
der
Aarstraße gab es ein Sägewerk, eine Holzhandlung und
die Backsteinfabrik des Fabrikanten Groß, des
Großvaters mütterlicherseits der ZZ 3. „Fritz Groß –
Ziegelei und Holzhandlung“ war die offizielle
Bezeichnung. Fritz Groß war von 1902 bis 1919
ebenfalls Bürgermeister von Hahn. Die Hahner ZZ
können sich lediglich noch an die Backsteinfabrik
von Herrn Groß erinnern. Das Sägewerk trug nach dem
Krieg den Namen Heuß. (ZZ 35)
Auch
die
Wäscherei Lindenheim findet Erwähnung. Außerdem gab
es die Papiersackfabrik („Tutta“) am Bahnhof. (Anm.:
vorher eine Hanfseilfabrik.) Die ZZ 33
erinnert sich an die Darstellungen ihres Großvaters,
wonach die komplette Trasse am Bahnhof aufgeschüttet
werden musste. Dazu seien die Anlieger enteignet
worden. Ursprünglich sei dessen Grundstück bis an
die spätere „Tutta“ gegangen. Ironie des Schicksals
war, wie ZZ 20 erzählt bekam, dass seine Familie
vorher in der Scheidertalstraße gegenüber der alten
Schule gewohnt hatte. Wegen der Pferdetransporte auf
der „Eisenstraße“ nach Michelbach war ihnen die Lage
zu laut geworden. Sie verkauften und erwarben ein
Grundstück an der Aarstraße. In ihrer Nachbarschaft
wurde dann der Bahnhof errichtet. Schmiede im Dorf
waren Wilhelm Alexi und Heinrich Hilz („Hilze
Heine“). Da es mittlerweile zahlreiche Pferdebauern
gab, Pferdekutschen und Pferdefuhrwerke
durchreisten, hatten sie stets gut zu tun. Vor dem
Anstieg zur Eisernen Hand auf dem Weg nach Wiesbaden
wurden die Pferde am Brunnen vor der Wäscherei
Lindenheim getränkt. Wie sich ZZ 35 aus Wingsbach
erinnert, war der Anstieg für Langholzfuhrwerke, von
zwei Pferden gezogen, selbst auf Gummirädern so
schwer, dass er auf dem Weg zum Sägewerk Heuß stets
auf der Deichsel zwischen den Pferden stehen musste,
damit sie nicht hochschlug. Dabei trieb sein Vater
die Pferde so an, dass ihre Hufeisen auf dem
Straßenpflaster vorbei am Kaufladen Wilhelm Schaab
Funken schlugen.
Neben
der
Bäckerei von Wilhelm Rock bestand seine Handlung für
Samen, Kleie usw. Wilhelm Kaiser betrieb eine
Baustoff- und Kohlenhandlung. Carl Lotz/Albert
Conradi hatten eine Kohle- und Düngemittelhandlung.
Dort deckte sich auch der Vater des ZZ 5 aus
Wingsbach für seinen Bedarf ein. „Herr Rock war ein
sehr angenehmer Gesprächspartner.“
In
Bleidenstadt gab es die Bäckerei Schmidt, das
Elternhaus der ZZ 8, die Bäckerei Mehler und die
Bäckerei Heller. Metzger waren die Familien Müller,
Kahn und Mehler. Auch gab es mehrere
Kolonialwarenläden. Die wöchentliche Versorgung mit
Fischen erfolgte durch Händler, erinnert sich ZZ 8.
Schmied im Dorf war Herr Graffe.
Gaststätten
waren
das Gasthaus „Zur Stadt Wiesbaden“ (K.-H. Jung), das
Gasthaus, Pension und Metzgerei „Goldene Krone“
(Wilhelm Müller), sowie die Gasthäuser Gottlieb (heute
Braustüberl), Conradi mit Saal (später
Kino), „Zur guten Quelle“ (Peter Mehler) und
„Zum goldenen Engel“.
In
Wehen gab es „...unglaublich viele Geschäfte.
Drei Bäcker, drei Metzger, einen Schuster und einen
Schneider gab es hier.“ Tinte und Schulhefte mussten
die Menschen aus den umliegenden Dörfern im Geschäft
Schneider neben dem Rathaus kaufen, (ZZ 24)
Einmal
im
Jahr kamen die Leute aus dem ganzen Umland zum
Wehener Markt. „Das war für die Bevölkerung wie ein
Feiertag.“ (ZZ 34) Der Markt war ursprünglich ein
reiner Vieh- und Krammarkt. (ZZ 26)
Die
Brotfabrik
Herdling, die Bäckerei Imann in der Aarstraße und
die Bäckerei Haischt in der Platter Straße
arbeiteten im Krieg weiter. (ZZ 289
Anm.:
eine
ausführliche Darstellung auch zu diesem Thema
findet man in den „Erinnerungen und Begebenheiten;
Wehen – mein Heimatort“ des ZZ 26 von 2011 im
Kapitel „Arbeiten und Leben in Wehen. Die
„Erinnerungen“ erschienen auszugsweise zum
200jährigen Jubiläum der evangelischen Kirche in
Jahr 2012. Sie liegen vollständig der
Projektdokumentation bei.
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"Hotel-Restaurant,
Pension "Waldfriede", Besitzer: Hubert Schwank,
Wehen i.T." (Postkarte von 1908)
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In
Neuhof gab es vor dem Krieg einen Metzger
(„Schneider-Fritz“), drei Bäcker (Schrank, Gros und
Wittlich) und das Kolonialwarengeschäft von Edmund
Niebergall. Dort konnte man alles für den täglichen
Bedarf kaufen. Schauß, Lautz, Rupperts und Zehners
-Lebensmittel und Drogen- hatten Läden.“ (ZZ 6)
„Verschiedene Händler, so auch Juden aus
dem Saarland, boten Fahrräder, Bettwäsche, etc.
Samstags und sonntags im „Gasthaus zur Burg“ an.
Fahrende Händler waren an der Tagesordnung und
versorgten auch das kleinste Dorf regelmäßig und
zuverlässig. (ZZ 7)
Gaststätten
waren
die „Burg“ (Wirtschaft seit 1893; Besitzer urspr.:
Fam. Bierod) und der „Nassauer Hof“ mit Saal. ZZ 2:
„Im Saal wurde Musik gemacht. Er befand sich
oberhalb der Bäckerei Wittlich und wurde später
abgerissen.“ Außerdem gab es die Gastwirtschaft und
Bäckerei Schrank, das „Aartal“ und den Platter Hof.
Am
Ende
des Ziegelhüttenwegs war es eine Ziegelei, die
ebenfalls den Eheleuten Bierod gehörte. Anm.:
Diese Ziegelei hat kein ZZ mehr gesehen. „Das
gegenüber gelegene „Moschgelände“ wird auch Lahmkaut
genannt. Dort war auch ein Schieferbruch.“ (ZZ 2)
In
Seitzenhahn bestand über 4 Generationen
hinweg (Philipp, Freund, Fink, Frankenbach) der
„Tante-Emma-Laden“ der ZZ 29, welcher von ihrem
Urgroßvater gegründet worden war. Sie selbst hat es
über 50 Jahre betrieben. „Alles gab es fort lose aus
Schubladen, Öl und Essig aus großen Dosen. Im Dorf
lebten ausschließlich Kleinbauern. Die waren alle
Selbstversorger“ (ZZ 29) Ein weiterer Laden (Wink)
existierte dennoch. „Für kurze Zeit gab es auch
einen Metzger. Händler aus dem Limburger Raum kam
und versorgten uns z.B. mit Kleidern, Bettwäsche,
Aussteuer. Gaststätten gab es drei bis vier.“ (ZZ
29)
In
Wingsbach gab es außer dem „Nassauer Hof“
(Guckes) noch das Gasthaus Körner. Mehrere Geschäfte
wurden nebenbei geführt. Der „Allerweltsladen“ von
„Waaners Settche“ stand neben dem Gasthaus Körner.
„In diesem konnte man alles bekommen: Schuhsohlen,
Nägel zum Besohlen, Hufeisen, Schaufeln, Rechen
usw.“ Auch so etwas wie einen Zigarettenladen gab es
neben der Gaststätte. Bäcker Lederer unterhielt
bereits vor und im Krieg eine Bäckerei mit
Lebensmittelladen. (ZZ 35) Als Hausmetzger kamen die
Hahn Friedrich und später Gros, aber auch Metzger
aus Steckenroth und Strinz. „Zum Schlachten war aber
ein Berechtigungsschein erforderlich. Während des
Kriegs wurde Schwarzschlachten in einem Fall mit der
Einberufung in eine Strafkompanie geahndet. „Damals
wurden sogar die Hühner registriert.“ (ZZ 11)
In
Watzhahn
gab es zwei „Geschäftchen“ und die Gastwirtschaft
Holtmann.
Auch
hierhin
kamen Händler, aber erst, seitdem es Autos gab, also
nicht in meiner frühen Kindheit.“ (ZZ 16, 1931
geboren)
Anm.:
Für
Orlen sei auf das dreibändige Werk „Das war
ihr Leben“ von Helge Schmidt verwiesen, das von
1985 bis 1989 erschien. Der dritte Teil
„Schwierige Zeiten im Dorf“ stellt die Zeit von
1918 – 1947 dar. Es kommen auch mehrere Zeitzeugen
zu Wort.
„In
Niederlibbach gab es die Bäckerei Krieger und das
Lädchen Limbarth. Die Metzger kamen aus Wehen“
schildert ZZ 30 aus Niederlibbach. Gaststätten
waren die von Hofmanns und Kimpels. Bei Hofmanns
traf sich die Jugend aus der Umgebung. „Hier
feierten wir.“
Herr
Kimpel
war 1900 geboren und „hatte Koch gelernt und war
sogar schon im Ausland.“ (ZZ 36). Er übersetzte nach
dem Krieg die Post von ehemaligen Kriegsgefangenen.
In Hambach gab es zwei
Geschäfte: Fraund (Kolonialwaren) und Limbarth.
Die einzige Gaststätte vor und im Krieg war die
von Wittlichs. Nach dem Krieg entstand das
Gasthaus der Fam. Bodenheimer.
7.
Vorkriegs- und Kriegszeit
Die
Zeit
der Weimarer Republik liegt bei den ältesten
Zeitzeugen dieses Projekts, nämlich ab Jahrgang
1921, in deren Kindheit bzw. frühen Schulzeit.
Erinnerungen gehen so naturgemäß meist auf die
Schilderung ihrer Eltern und Großeltern zurück. Sie
sind dann im engeren Sinne des Wortes also keine
Zeitzeugen mehr.
Ein
Ereignis
hält sich in der Erinnerung von Generationen: Wir
schreiben das Jahr 1928: Inflation ist das
beherrschende Thema. ZZ 28 erzählt, dass ihm ein
Bäcker aus Neuhof, der bei seinem Vater in Wehen
beschäftigt war, erzählte, dass er samstags Geld
bekommen habe, damit nach Wiesbaden zum Einkaufen
fuhr und dafür nichts mehr bekam. Einer der Onkel
des ZZ hatte ein Grundstück verkauft und das Geld
zurückgelegt. Es reichte anschließend noch nicht
einmal für seinen Grabstein.
Auch
das
Jahr 1933, das Jahr der „Machtergreifung“ Hitlers,
ist den ZZ nicht konkret in Erinnerung, aber die
Folgezeit durchaus: So schildert der ZZ 5 seine
Beobachtungen, als ein ortsbekannter Kommunist in
Hahn an Lichtmasten plakatierte.
Der Hahner Fähnleinführer der
Hitlerjugend riss diese Plakate jedoch wieder ab.
Schon
hatte er den Kommunisten auf den Fersen. Eines
Tages wurde der Kommunist abgeholt und kam nach 6
Wochen in brauner SA-Uniform zurück. In Hahn war
man sprachlos. „Es hieß, er sei umerzogen worden.
Das hat keiner für möglich gehalten.“ Der
Kommunist überlebte den Krieg.
In Orlen musste in jedem Haus
die Fahne sein. Wer sich das nicht leisten konnte,
dem wurde die Fahne bezahlt.“ (ZZ 11) Die
Durchgangsstraße wurde in Adolf-Hitler-Straße
umbenannt, so wie in Wehen. 1935 sei Adolf Hitler
auf der Platte zu Besuch gewesen. „Ganz Orlen war
auf den Beinen“ wurde der damals zweijährige ZZ 21
später von ihrer Mutter erzählt. „Es sprach sich
rum wie ein Lauffeuer.“ Hitler habe der ZZ damals
die Hand geschüttelt.
Der Schwiegervater
des ZZ 11 war Bürgermeister von Wingsbach von 1938 bis 1968.
Aber NSDAP-Mitglied war er nicht. Als seine
Wiederwahl während des Krieges anstand, wurde
diese vom zuständigen Gauleiter angefochten. „Er
wurde aber wieder gewählt.“
Der Kram- und
Viehmarkt in Wehen vor dem 2. Weltkrieg
zählt zu den ältesten Erinnerungen des ZZ 26,
Jahrgang 1933. Gerne spielten sie dort als Kinder.
Es war das Ereignis jedes Jahr.
1938 wurde das
Schwimmbad in Hahn vom „Zweckverband Hahn,
Bleidenstadt, Wingsbach“ gebaut. „Wingsbach
spendierte alles Holz.“ (ZZ 11) Bis es offiziell
eröffnet wurde, konnten viele Buben und Mädchen
schon Schwimmen, denn man durfte bereits vorher
übern. „Es kostete nichts und Wasser war schon
drin.“ (ZZ 5) Die beiden ersten Bademeister, Herr
Strack aus Wehen und im Krieg Herr Döringer,
konnten allerdings nicht schwimmen.
Buben und Mädchen
waren beim Jungvolk. Anm.:
Das Jungvolk (DJ) war die der Hitlerjugend
vorlaufende Jugendorganisation für Jungen zwischen
10 und 14 Jahren. (s. Wikipedia)
„Alle waren dabei. Am
Anfang waren es viele, die nicht mitgemacht haben.
Am Ende konnten sie aber gar nicht mehr anders.“
Als Kind oder Schüler wäre man ausgegrenzt
gewesen. „Konnte man gar nicht“. (ZZ 5) Aber die
jungen Leute aus katholischen Familien erhielten
die Erlaubnis eher nicht. (ZZ 4, ZZ 5)
„Beim Jungvolk war alles spielerisch“.
Zeltlager fanden in Bad Schwalbach statt. Dort waren
in Nachtwachen schon die Zelte zu bewachten. Vor
Weihnachten bastelten die Neuhofer Mädchen für die
Kinder von Gefallenen. Die Buben halfen mit
Laubsägearbeiten. „Es wurde auch sehr viel
gesungen.“ (ZZ 6) Im Alter von 10 Jahren kam ZZ 14,
ehemaliger Bürgermeister von Orlen, zum Jungvolk. Er
erinnert sich gut an die Aufmärsche in Bad
Schwalbach unter der Regie des Gauleiters Sprenger
mit rund 400 Buben und Mädchen in Uniform. Auch ZZ
26 aus Wehen musste mit 10 Jahren zum Jungvolk,
obwohl sein Vater dagegen war. Sie veranstalteten
schon Schießübungen. Als 1944 in Hannover ein
Massenmörder aus dem Zuchthaus geflohen war, musste
das Jungvolk aus Wehen ihn auf der Platte suchen, da
er sich angeblich dort aufhielt.
In der Hitlerjugend
erfuhren sie dann schon eine vormilitärische
Ausbildung. Anm.: Die HJ war ab 1933
staatlicher und einziger Jugendverband, dem 98%
aller Jugendlichen angehörten. Der weibliche Zweig
für Mädchen von 10-18 Jahren war der BdM (Bund
deutscher Mädchen). Ab 1936 bestand eine
gesetzlich geregelte Pflichtmitgliedschaft. (s.
Wikipedia)
Zur
Anwerbung
von Nachwuchs kam eine Kommission in die Schule und
nahm Schülerinnen und Schüler in die Hitlerjugend
auf. Gerne Hätte ZZ 28 (1940-48) auch eine Uniform
getragen, doch erlaubte ihm seine Mutter das nicht.
So trat er im Trainingsanzug an. Das Zeltlager der
HJ in Bad Schwalbach wurde ihm aber von seinen
Eltern verboten. HJ-Führer in Wehen war der Sohn des
Lehrers Schneider. Dieser ließ die HJ Flaschen
sammeln und befreite sie auch man von der Schule.
Sein Vater, der damit gar nicht einverstanden war,
„verpasste ihm eine Ohrfeige.“
„Für die Mitarbeiter der HJ fanden
Geländeübungen mit festen Terminen in Bad Schwalbach
statt“ so ZZ 16 aus Watzhahn. 1941, er war 10 Jahre
alt, lief er stets zu Fuß dorthin. Auch musste die
Hitlerjugend den Brandschutz übernehmen, gerade
dann, als die Feuerwehrleute im Krieg waren. Dazu
hatten sie bei der Feuerwehr eine Ausbildung
erhalten. Einen Großeinsatz hatten sie im Krieg, als
die alte Hafermühle Herdling in Hahn, von Wehen
kommend an der Aarstraße rechts, abbrannte. „Da hat
Erich Best, Zwillingssohn aus dem Gasthaus zur Sonne
in Hahn, ganz wunderbar gelöscht und wunderbar
mitgewirkt.“ (ZZ 5).
ZZ
35
aus Wingsbach trug in der HJ ein Braunhemd, welches
ihm ein Jude aus Breithardt verkauft hatte. „man war
ja als junger Mensch Feuer und Flamme dafür.“
Für
die
Schulentlassene nach 8 Schuljahren folge ein „Landjahr“,
welches
die jungen Leute ab 14 Jahren z.B. bis nach Pommern
führte. Anm.: Ab 1934 war das Landjahr, welches
schon in der Weimarer Republik als „Landhilfe“ aus
arbeitsmarktpolitischen Gründen für Buben und
Mädchen eingeführt worden war, verpflichtend
eingeführt worden (s. Wikipedia).
Dazu
wurden,
wie ZZ 5 berichtet, nur gute ausgesucht, die von den
Lehrern gemeldet wurden“. Anfangs wurde dort viel
Sport getrieben. Auch eine vormilitärische
Ausbildung gab es. Dann ging es zu den Bauern, um
diesen zu helfen. 15 Buben aus dem ehem.
Untertaunuskreis erlebten in ihrem „Landjahrlager“
so den Luftangriff auf Polen am 1 September 1939,
als die Geschwader über ihr Köpfe flogen. „Es hat
die ganze Nacht gebrummt.“ Auf sein Landjahr folgte
dann nahtlos eine dreijährige Lehre in Wiesbaden,
der sich ab 1943 der Wehrdienst anschloss. Dieser
führte ihn schließlich als Panzersoldat u.a. bis
nach Königsberg. Die dramatischen Ereignisse in der
Folgezeit sind im unvergesslich. Dass er es
unbeschadet nach Hause geschafft hat, ist dem Hahner
noch heute ein Rätsel. Den Wingsbacher ZZ 35 führte
das Landjahr in die Nähe von Worms. Daran schloss
sich die landwirtschaftliche Winterschule in Bad
Schwalbach an. Mit 17 Jahren erhielt er schon eine
Einberufung in ein Wehrertüchtigungslager im
belgischen Spa.
Nicht so weit von zu
Hause erlebte ZZ 132 aus Hambach, der spätere
Bürgermeister, das Landjahr, im Alter von 14
Jahren, nämlich in der Wetterau. Davor war er in
Wiesbaden bei der Hitlerjugend gewesen, danach
musste er 1945 im Alter von dann 16 Jahren nach
Warschau zur Reichslandesführerschule. Von dort
wollte er kurz vor Kriegsende nach Hause fliehen,
wurde jedoch von seinem Vater aus Angst wieder weggeschickt:
„Falls der Krieg doch noch gewonnen würde.“
Junge
Leute
wurden auch in den RAD (Reichsarbeitsdienst)
einberufen.
Anm.:
Ab
Juni 1936 musste jeder junge Mann eine
sechsmonatige, dem Grundwehrdienst vorgelagerte,
Arbeitspflicht ableisten, ab Beginn des 2. WK auch
die weibliche Jugend. AB Mitte 1944 übernahm er
die sechswöchige militärische Grundausbildung am
Gewehr (s. Wikipedia).
ZZ
11
wurde mit 17 Jahren in den RAD einberufen, ehe er
mit 18 Jahren im Februar 1945 Soldat wurde. Schon
zwei Monate später geriet er bis November 1948 in
französische Kriegsgefangenschaft. ZZ 35 wurde 1945
nach dem Wehrertüchtigungslager in das RAD-Lager in
Rhaunen geschickt. Diesem Lager folgten solche in
Lollar und Plauen (Bayern), wohin sie alle mit dem
Fahrrad gefahren waren. Dort wurde er von der
Wehrmacht übernommen und noch am 20.4.1945
vereidigt. 18 Jahre war er. An der Elbe ging sein
Bataillon „in Sechserreihen“ in amerikanische
Gefangenschaft. Auf einer Weide lagerten sie mit
einer Decke („Kult“) als Zelt. Er wurde
glücklicherweise entlassen, weil er sich als
Landwirt ausgegeben hatte und kam nach Diez. Von
dort lief er zu Fuß nach Wingsbach. Dort kam er am
30.5. an.
Anm.:
1938
wurde ein Pflichtjahr für Frauen unter 25 Jahren
eingeführt, welches in Konkurrenz zum etablierten
Landjahr sowie ab 1939 zum Dienst im RAD stand.
Ohne Nachweis über das abgeleitete Pflichtjahr
konnte keine Lehre oder eine anderweitige
Ausbildung begonnen werden. Die jungen Frauen
mussten ein Jahr in der Land- und Hauswirtschaft
arbeiten. (s. Wikipedia)
7.1
Jüdische Einwohner und Einwohnerinnen
ZZ
1
erinnert sich an zwei jüdische Familien namens
Ullmann Lewi. Beide wohnten in der Aarstraße neben
der Viehverwertung. „Die Familie Lewi hat Hahn wohl
rechtzeitig verlassen“. (ZZ
3)
In
der
„Tannenburg“ war ein jüdischer Arzt tätig. „Er wurde
zunächst auch von PGs aufgesucht.“ ZZ 1
Der
Klassenkamerad
des Juden Stefan Nassauer aus Wehen war Friseur in
Hahn geworden. Dorthin kam Stefan immer Haare
schneiden, bis dies einem Hahner SS-Mann („Schwarze
SS – das waren Schlägertypen“) auffiel. „Er stauchte
den Friseur zusammen: Was fällt Dir ein, dem Judd
die Haare zu schneiden. Wenn ich das noch einmal
sehe, kommst Du nicht so ohne Weiteres davon.“
Stefan Nassauer bekam die Haare dann montags
geschnitten, wenn der Friseur zu hatte. „Dazu kam er
durch den Hintereingang so lange, bis die Familie
Nassauer abgeholt wurde.“ (ZZ 5)
In
Bleidenstadt hatte der jüdische Metzger Kahn
eine Metzgerei. Sie hatten auch einen Viehhandel und
eine große Viehhalle. Die Kinder wurden „hintenrum“
zum Metzger geschickt, damit der andere Metzger in
Bleidenstadt, ein „Nazi von Anfang an“, dies nicht
mitbekam. Als Frau Kahn starb und auf dem jüdischen
Friedhof in Wehen beigesetzt wurde, durften die
Bleidenstädter dem Trauerzug nur bis zum Ortsausgang
folgen. „Der jüdische Metzger von Bleidenstadt hatte
Geld und machte sich aus dem Staub. Er wanderte nach
Argentinien aus.“ (ZZ 12)
In
Wehen gehörten „die Rosa und das Jakobsche“
mit ihren Judensternen zum Alltag, erinnert sich ZZ
19. Die Familie Nassauer hatte 1936 noch eine
Metzgerei und einen Viehhandel in der Weiherstraße,
die spätere Metzgerei Kaiser. Otto Nassauer betrieb
einen Viehhandel in der Adolf-Hitler-Straße. „Einige
Juden hatten Wehen zu diesem Zeitpunkt verlassen und
waren nach Amerika ausgewandert. Die Häuser wurden
meist zu einem niedrigen Preis an gute
Parteimitglieder verkauft. Ich kann mich noch sehr
gut dran erinnern, dass im Jahr 1938 der Jude Karl
Simon, begleitet von SA-Leuten, mit Trommeln durch
Wehen getrieben wurde. Er trug ein großes Schild auf
der Brust und dem Rücken mit der Aufschrift: „Ich
bin das größte Schwein der Welt und wollte ein
christliches Mädchen schänden“. Ob dies der Wahrheit
entsprach, wurde schon zu dieser Zeit stark
angezweifelt. Im November 1938 wurde die Synagoge in
der Weiherstraße angezündet. Da wir nicht weit weg
wohnten, konnten wir von unserem Schlafzimmer diesen
Brand sehr gut sehen. Die Geschwister Nassauer
wohnten noch in der Weiherstraße, durften aber zu
dieser Zeit kein Geschäft mehr betreiben. Auch das
Einkaufen war für sie nicht mehr möglich. Meine
Mutter hat längere Zeit für die Familie Nassauer
eingekauft und die Waren bei uns in die Scheune
gelegt, wo Jakob Nassauer sie dann abends abholte.
Aber irgendein Nachbar bemerkte dies wohl und so
wurde mein Vater zum Bürgermeister Meier bestellt.
Dieser machte ihm unmissverständlich klar, dass die
Sache eingestellt werden müsse, ansonsten er sofort,
der Krieg hatte schon begonnen, zur Wehrmacht
eingezogen würde. Dieses Risiko wollte mein Vater
nicht eingehen und somit wurde dies eingestellt. Die
Familie Nassauer wurde 1942 abgeholt. Über deren
weiteres Schicksal ist mir nichts bekannt. In dieser
Zeit mussten alle Juden einen gelben Stern tragen.“
(vorgelesen v. ZZ 26). Anm.: nachzulesen auch in
seinen „Erinnerungen und Begebenheiten“. Otto
Nassauer hat überlebt und kam nach dem Krieg immer
wieder nach Wehen. Er saß am Stammtisch im Café
Schrank, angezogen wie früher: schwarze Strickjacke,
weiße Knöpfchen links und rechts. Sein Glück war,
dass er mit den Nazis in Wehen gefeiert hat. Die
sagten ihm, dass er in Gefahr sei. Er machte sich
dann weg.“ (ZZ 28) Ein unehelicher Sohn Nassauers
(E. K.) erbte schließlich „sein ganzes Vermögen“,
auch die Metzgerei, die er dann in Wehen weiter
betrieb, dort, wo früher die Synagoge stand. (ZZ 28,
ZZ 26 und ZZ 19)
In
Neuhof gab es keine Juden. Aber die Wehener
Juden, Kriegsteilnehmer aus dem Ersten Weltkrieg,
kamen in die Gaststätte zu Burg. „Als es mit Hitler
losging, durften sie nicht mehr bewirtet werden,
sondern tranken ihr Bier in unserer Waschküche.“ (ZZ
7) Dafür zeigte ein Nachbar den Wirt dann an. Sie
seien eine Judenwirtschaft.
7.2
Es war Krieg
Als
der Krieg begann, verabschiedeten sich die
Wehrpflichtigen jungen Männer meist mit einer
kleinen Feier von ihren Freundinnen und Freunden.
„Sie wären unglücklich gewesen, wenn sie nicht
Soldaten geworden wären.“ (ZZ 7) Ein Sohn der Sohn
der Familie Albus in Watzhahn „war noch vor Freude
über die Einberufung die Treppe an der Post hinunter
gesprungen.“
Nicht
selten
traf schon kurz darauf die Nachricht von ihrem
frühen Tod ein. Auch er war unter den Gefallenen.
„Dies war in den Dörfern jeweils fürchterlich. Die
ganze Dorfgemeinschaft litt mit.“
Von
elf
Klassenkameraden der ZZ 7 in Neuhof kamen nur vier
wieder nach Hause. Allein die Familie Müller mit
fünf Kindern verlor drei Söhne und den
Schwiegersohn. (ZZ 2)
Die
Nachricht
wurde den Angehörigen meist von dem jeweiligen
NSDAP-Ortsgruppenleiter überbracht. Es waren meist
nur noch Kinder, Frauen und alte Männer im Dorf. (ZZ
4)
Sonntags,
wenn
in Bleidenstadt um 10 Uhr Gottesdienst war, rief ein
SA-Mann die wenigen verbliebenen Männer zusammen.
Sie mussten antreten und Dienst versehen: Hinter der
evangelischen Kirche Richtung Seitzenhahn mussten
sie in den Graben und ihre Übungen absolvieren. Das
traf auch Kriegsteilnehmer aus dem Ersten Weltkrieg.
(ZZ 4) Der Vater des ZZ 4 musste 1940, im Alter von
41 Jahren, mit dem Fahrrad in Frankreich zum
Kriegsdienst antreten. Im Krieg wurden auch
englische „Feindsender“ (deutsche Nachrichten)
heimlich abgehört. (ZZ 26)
ZZ
35
aus Wingsbach erinnert sich, dass manchmal deutsche
Soldaten bei den Bauern einquartiert waren. Sie
kamen mit Pferdegespannen und Kanonen. Diese Pferde
wurden dort untergestellt und gefüttert. Den Bauern
selbst wurden die Pferde meist weggeholt. Dies
erfolgte aber stets nur für etwas drei Wochen, in
denen die Pferde bei Manövern gebraucht wurden. Dann
konnten sie in Wiesbaden am Güterbahnhof wieder
abgeholt werden. Unser „Max“ fand den Weg in einen
Stall sofort wieder.“ Wenige dieser Soldaten blieben
auch nach dem Krieg, wie z.B. in Wehen, und
heirateten dort, so z.B. die Familie Lehmann. (ZZ
26)
Auch
Fremdarbeiter
waren für längere Zeit in den Dörfern bei den
Bauern. Nach dem Frankreich-Feldzug 1939/40
erfolgten Einquartierungen zunächst mit
französischen Kriegsgefangenen. Sie wurden nach den
Berichten der Zeitzeugen meist gut behandelt,
durften aber, wie mehrere ZZ betonen, eigentlich
nicht mit den Familien am gemeinsamen Tisch essen.
Dieses Verbot wurde aber offenbar häufig umgangen.
ZZ 34 erinnert sich an einen kriegsgefangenen
Franzosen in Wehen („Schorsch“): Er durfte mit der
Familie essen, obwohl es verboten war.“ Wenn es
klopfte, musste er zum „Polentischchen“. „Schorsch“
hielt auch nach dem Krieg Kontakt zur Familie.
Auch
in
Wingsbach waren Franzosen als Arbeiter einquartiert.
Sie schliefen im Saal bei Arnold Guckes. Morgens
kamen sie immer zum Arbeiten zu den Bauern. Als der
Hof des Bauern Forst in Wingsbach im Krieg
abbrannte, waren Franzosen auch am Wiederaufbau dann
jedoch gegenüber der Turnhalle beteiligt.
Bei
den
Eltern des ZZ 35 arbeitete Marcel. „Er saß mit uns
am Tisch. Aber wenn das Türchen ging, war er zack an
seinem Platz, weil das verboten war.“ Marcel kam
nach dem Krieg mehrmals mit dem Zug nach Wingsbach
zu Besuch. Nicht alle besuchte er allerdings. Einer
der Bauern habe ihm das Brot immer nur
hingeschmissen. „Egal Hund“ sagte er. Umgekehrt
besuchte in der ZZ in der Folgezeit dreimal in
Chalons.
Auch
die
ZZ 7 schildert, dass Kriegsgefangene bei ihnen zu
Hause in Neuhof mit am Tisch gegessen hätten und
sich ihr Großvater über das Verbot hinweg gesetzt
hätte: „Die schaffen mit uns, also essen sie auch
mit uns.“ Diese Haltung brachte ihm eine Anzeige
durch einen Nachbarn ein.
Kriegsgefangenenlager
bestanden
in Hahn (ZZ 1) und in Bleidenstadt. (ZZ 20)
Russische Kriegsgefangene waren auf dem Gelände der
Backsteinfabrik in der Aarstraße untergebracht. Die
Fabrik selbst war außer Betrieb. Wenn die
Kriegsgefangenen morgens zum Steinbruch nach Wehen
zur Arbeit geführt wurden, hatten sie aus Holz
geschnitzte Figuren dabei. Diese tauschten sie bei
der Bevölkerung gegen Essen ein. „Sie konnten sehr
gut schnitzen.“ Drei dieser russischen Gefangenen
starben und wurden in Wehen beigesetzt. (ZZ 26
Auch
war
der Bai eines Konzentrationslagers im Wald östlich
von Bleidenstadt im Gange. (ZZ 20) „Die
Verbrennungsöfen waren schon begonnen worden.“
Häuser waren dort rund gebaut worden. Das Ofenrohr
war zu erkennen. (ZZ 20) Während des Kriegs war dies
der Bevölkerung wohl unbekannt. „Sickerte erst dann
durch.“ In Bleidenstadt munkelte man: „Da wären wir
auch dabei gewesen.“ „Alles, was kein Hitler war.“
(ZZ 4) Eine Materialbahn existierte von dort zum
Bahnhof eiserne Hand. Am Wochenende fuhren die Buben
mit ihr zur Eisernen Hand und liefen weg. Ach war
ein Steinbruch in der Nähe.
Die
Arbeiter
im Konzentrationslager kamen aus dem Gefangenenlager
auf dem Sportplatz, dem späteren Simokat-Gelände.
„Das Gefangenenlager war schlimm. Die Männer, nur in
blauen Anzügen, froren bei Wind und Wetter. Alle
Nationalitäten waren vertreten. Reden durften sie
aber keinen Ton mit ihnen.“ Aber die Bauern konnten
sie zur Feldarbeit ausleihen. (ZZ 4/24) Ein
Bleidenstädter Zeitzeuge (ZZ 24) hatte noch bis 2009
Kontakt mit einem der Insassen. „Man wusste nicht,
war das Lager ein Krankenhaus oder ein
Konzentrationslager.“ (ZZ 24) „Die russischen
Strafgefangenen wurden von SS-Leuten bewacht. Die
Bevölkerung durfte sie zum Arbeiten rausholen. Das
tat man schon, um ihnen was Richtiges zu essen geben
zu können. Sie kamen gern zu den Leuten und halfen
bei den Bauern oder in den Gärten. Sie wurden auch
immer wieder zurück gebracht.“ (ZZ 8)
Einer
dieser
Fremdarbeiter, ein Russe, wurde in Hahn erwischt,
als er in ein Haus in der Aarstraße (Ecke
Gottfried-Keller-Str.) eingebrochen war. Er wurde
gefangen und sollte dem örtlichen Polizisten Becker
demonstrieren, wie er durch das Kellerfenster
eingedrungen war. Dabei blieb er diesmal stecken.
Der Polizist „...schlug auf ihm rum und nahm ihn
mit“. Anschließend wurde der Gefangene angeblich auf
der Flucht von dem Polizisten im Wald erschossen.
(ZZ 20 und 24) „Becker war ein ganz großer
Schweinehund“. (ZZ 20) „Er war kein Guter“. (ZZ 26)
Er galt zwar als guter Schiedsrichter bei
Fußballspielen, aber sonst als gnadenlos. Nach einem
gewonnenen Fußballspiel zog ZZ 5 mit seinen
Mannschaftskameraden nach Bleidenstadt in die „Stadt
Wiesbaden“, um dort den Sieg zu feiern. Es wurde
getrunken. Aber Alkohol gab es nicht. Ab 21 Uhr war
Ausgangssperre. Schon 10 Minuten danach stand Becker
in der Tür und bestrafte sie mit einem Knollen. Dann
ging er weiter zum „Engel“. Diese Gelegenheit nutzte
Herrmann Best, Bruder von Erich Best. Er fuhr mit
Beckers Rad weg und warf es fort. Dabei war er aber
von einem Bleidenstädter beobachtet worden. Er
meldete die jungen Männer. Am nächsten Tag
verhaftete Becker sie. Zur Strafe mussten sie im
Amtsgericht Wiesbaden Ordner sortieren. Auf
Holzbänken übernachteten sie dort. Später zum
Wehrdienst eingezogen, fielen die beiden
Zwillingssöhne Herrmann und Erich kurz
hintereinander auf dem Balkan. (ZZ 20) Ihr Bruder
August, der im Hotel Rose in Wiesbaden eine
Kochlehre absolviert hatte, arbeitete, wie in Hahn
immer wieder erzählt wurde, bei der Leibstandarte
Hitlers auf dem Obersalzberg. Später übernahm er das
Gasthaus von seinen Eltern. (ZZ 5)
In
Wingsbach
waren Kriegsgefangene im Saal des Gasthauses
„Nassauer Hof“ untergebracht gewesen. Sie schliefen
dort und wurden morgens auf die Landwirtschaft
aufgeteilt, da die meisten Bauern im Krieg oder
gefallen waren. Von den 198 Einwohnern Wingsbachs
waren 9 oder 10 umgekommen. „Die Kriegsgefangenen
wurden gut behandelt“ betont ZZ 11.
Luftangriffe
erfolgten nicht nur auf Wiesbaden, Frankfurt und
Mainz, sondern auch auf Hahn und Wehen. Dort
explodierten auch Luftminen. Die Bomberpulks der
Alliierten wurden von deutschen Kampffliegern
angegriffen, die in Erbenheim aufgestiegen waren.
Dann kam es über Wehen auch immer mal zum Luftkampf.
In einem Fall wurde eine Maschine im Bereich der
Eschbach abgeschossen. Der Pilot hin in einem Baum
und wurde von Wehener Bürgern geborgen und in ein
Lazarett gebracht. (ZZ 19) Ein weiteres Flugzeug
stürzte bei Wingsbach ab. (ZZ 11, 26, 31) Ende 1943
hatte sich der Wingsbacher Bürgermeister Kugelstadt
bei dem NSDAP-Kreisleiter unbeliebt gemacht, als er
ihm einen Flugzeugabsturz in der Nähe des Dorfes
nicht gleich gemeldet hatte. „Dafür bekam er ein
mords Rüffel“ erinnert sich ZZ 11. Man habe den
Piloten nach Bad Schwalbach bringen sollen. Auf dem
Weg habe er versucht zu fliehen. „Im Zug auf der
einen Seite rein und auf der anderen wieder raus. Er
wurde aber wieder eingefangen.“ (ZZ 11) Es sei die
gesamte Besatzung, 6 bis 7 Mann gefangen genommen
worden. „Es müssen Engländer gewesen sein. Man hat
von ihnen nichts mehr gehört.“ Später habe ZZ 31 in
Wiesbaden einen Dekan getroffen, der von sich
behauptete, er habe damals mit der Flak bei
Bierstadt dieses Flugzeug abgeschossen.
ZZ
35
erinnert sich daran, dass die Besatzung damals von
einem Bürger angespuckt worden sei, weil sie Bomben
abgeworfen hätten. „War nicht richtig.“
1942/43
war
ZZ 11 auch Augenzeuge gewesen, als über Watzhahn und
über Orlen je ein deutsches Jagdflugzeug
abgeschossen wurde. Über Orlen sei es ein deutsches
Jagdflugzeug gewesen (ME 109), das sich auf einem
Ausbildungsflug von Erbenheim kommend befand. „Die
Piloten waren in einen Schwarm amerikanischer
Jagdflugzeuge geraten.“ Über der Aarquelle am
Zugmantel ging die Maschine zu Boden. ZZ 11 und
einige Kameraden fanden zunächst die Kanzel des
Flugzeugs. Sie holten dann zunächst den Piloten und
anschließend zwei weitere Besatzungsmitglieder aus
der zerstörten Maschine. Die Beisetzung erfolgte in
selbst gefertigten Särgen („Kisten“). Für die
Besatzung sei es ein Glück gewesen, so beerdigt
worden zu sein. ZZ 21 erinnert sich an den Absturz
eines kanadischen Flugzeugs nach einem Luftangriff
auf den Raum Mainz/Wiesbaden in der Nähe von Orlen.
Den hat sie zusammen mit einer Freundin erlebt, als
sie gerade aus der Schule nach Hause geschickt
worden waren. Zwei bis drei Soldaten konnten
geborgen werden. Sie wurden auf dem Orlener Friedhof
„vorne in der Ecke an der Mauer“ beerdigt. Gleich
nach Kriegsende wurde nach ihnen gefragt. Amerikaner
gruben die Särge aus und nahmen die Erkennungsmarken
an sich. „Es war ein Glück für die Orlener, dass man
die Leichen noch gefunden hat. „Sonst hatte der
Verdacht bestanden, dass sie verbrannt worden
seien.“
In
Orlen
wurden Erdbunker in der Obergasse und an dem Weg
nach Wehen gebaut. Sie wurden aus Holzstämmen
konstruiert, die mit erde überdeckt wurden. „Dieses
wurde von den Bauern rangeschafft“ berichtet ZZ 21.
Dorthin flohen die Bürger dann jeweils, Ihr Vater
nahm dann immer die Geldkassette der Familie mit.
Auch in Hambach fielen Bomben. Wie sich ZZ 36
erinnert, fiel eine direkt neben das Dorf südlich
der alten Schule. „Da gingen die Fensterscheiben zu
Bruch“. Und dort, wo heute der Wasserhochbehälter
ist, war ein Tannenwald, in dem der Vater der ZZ und
weitere Männer aus dem Dorf Holz machten, als eine
Luftmine hineinfuhr und „alles ab machte. Drei Meter
weiter hätte sie allen die Lunge zerrissen.“
Als
Eisenbahner
erlebte ZZ 12 aus Seitzenhahn Luftangriffe im Sommer
1944 auf den Hauptbahnhof in Wiesbaden und am 8. und
22.10.1944 auf den Bahnhof in Bad Schwalbach. „Die
Decken des Schwalbacher Bahnhofs hingen schon
runter. Sechs Tote gab es damals. Rettung gab es vor
den Tieffliegerangriffen auf dem Bahnhof nur unter
einem Packwagen. Im Gestänge des Wiesbadener
Hauptbahnhofs hingen nach den Angriffen die
Fleischfetzen von jungen Soldaten. Diese sollten zu
einem Wehrertüchtigungslager.
Die
Körper
der Toten musste ich mit ausladen.“ Auch kann er
sich noch an die Deportation jüdischer Mitbürger von
der Rampe am Schlachthof erinnern. „Wir wussten
nicht, wo sie hinkamen. Wir wussten nicht, dass sie
deportiert wurden.“
Auf
dem
Weg nach Bleidenstadt wurden auch Hahner
Konfirmanden von Tieffliegern beschossen. (ZZ 20)
Wegen der nahen Flakstellung auf der Platte erlebten
die Neuhofer häufiger Luftangriffe. Sie mussten dann
in einen Erdbunker fliehen. Abends konnte man die
Flak-Scheinwerferkegel beobachten, die den Himmeln
ach Bombern absuchten. Es gab durchaus Abschüsse von
solchen „fliegenden Festungen“ aber auch die
Bombardierung Neuhofs mit Brandbomben. Eine landete
unmittelbar in der Wiese an der Straße nach Idstein,
direkt an der Zufahrt nach Engenhahn. Im
Kreuzungsbereich der Straßen von Wiesbaden nach
Limburg und Bad Schwalbach nach Idstein befand sich
eine Tankstelle unmittelbar vor dem „Gasthaus zur
Burg“. ZZ 7 verrichtete dort mit 14 Jahren bereits
ihren Dienst. „Täglich gab es Unfälle wegen der
Unübersichtlichkeit der Kreuzung. Auch eine
Polizeistation gab es dort und bereits eine
KFZ-Werkstatt. Die Wiese vor dem Haus wurde auch
bombardiert. Auch über Neuhof wurde ein Flugzeug
abgeschossen (ZZ 7).
Das
„Gasthaus
zur Burg“ war im Krieg stets gut besucht von
Soldaten, die auf dem Flughafen in Erbenheim oder in
der Flakstellung auf der Platte ihren Dienst
versahen. Immer wieder mal drehte ein Pilot aus
Erbenheim eine Ehrenrunde über der „Burg“.
Lebhaft
hat
ZZ 14 einen Jagdbomberangriff auf ihn in Hahn in
Erinnerung. Er war auf dem Heimweg nach Orlen und
konnte sich nur noch durch Flucht in den verrohrten
Bachlauf des Eschbachs unter der Aarstraße retten. „Hahn
wurde zweimal mit Spreng- und Brandbomben belegt.“
die Luftangriffe Anfang 1945, die beträchtlichen
Schaden anrichteten, sind nachzulesen in den
bereits zitierten Erinnerungen von Ludwig Schauss.
Ein
Wehener
Bürger wurde mit seinem Auto nach Frankfurt
beordert, wenn dort Luftangriffe stattgefunden
hatten und die Menschen aus den brennenden Trümmern
befreit werden mussten. (ZZ 19) Sie wurden evakuiert
und z.B. in Bad Homburg oder auch in den Dörfern an
der Oberen Aar in Sicherheit gebracht. Es erfolgten
dann Zwangseinquartierungen in den Familien. (ZZ 26)
Aus Angst vor Luftangriffen wohnten z.B. auch
Wiesbadener in Hahn und Wehen. Sie waren aber auch
hier nicht verschont, sondern mussten oft genug in
die jeweiligen Luftschutzbunker, in Hahn z.B. am
Kreckelberg, fliehen.
Ein
sich
in der Aarstraße 127 befindlicher Luftschutzbunker
aus dem Ersten Weltkrieg, er existiert noch heute
unter einem Vorgarten, wurde aber eher gemieden.
„Den hat der Kaiser Wilhelm gebaut.“ (ZZ 20) Die
Geflohenen hatten in ihren Autos alles mitgebracht,
was sie unterbringen konnten, nur um raus aufs Land
zu kommen. „Die Fahrer konnten kaum aus den Fenstern
der Autos schauen.“ (ZZ 19) Die ZZ 1 aus Hahn
erinnert sich, dass in ihrem Elternhaus Ausgebombte
aus Frankfurt und Wiesbaden untergebracht waren.
„Aus Frankfurt kam eine ganze Schulkasse Evakuierter
mit ihrem Lehrer nach Wingsbach“ schildert ZZ 31.
Die Schüler wurden auf Familien aufgeteilt, der
Lehrer erteilte hier Unterricht. Nach dem Krieg
bleiben einige dieser Schüler in Wingsbach, gerade
dann, wenn sie Vollwaisen geworden waren. „Ein
Schüler aus Frankfurt, der sich mit einem Klo über
den Hof nicht auskannte, „pinkelte nachts in den
Ofen, weil er nicht wusste, wo er hingehen sollte“
erzählt ZZ 11. „Etliche Bombengeschädigte kamen aber
auch nur zum Betteln in die Dörfer, um Kartoffeln,
Eier etc. zu bekommen, meist ohne Gegenleistung. Es
wurden aber z.B. auch Schuhe gegen eine Gans
eingetauscht“ schildert ZZ 29 aus Seitzenhahn. „Hier
wohnten ausschließlich Kleinbauern, die eigentlich
Selbstversorger waren.“
„Luftbeobachtungstürme“
gab
es auf dem Halberg in Wehen und auf der Hohen
Wurzel. Ein Zeitzeuge, ZZ 28, dessen Vater nur
heimatverwendungsfähig war und auf dem Halberg
Dienst versah, kann sich gut daran erinnern,
dass er seine Hausaufgaben oft in dem Turm
erledigte. „Anfangs war dies nur eine Hütte
mit Hochsitz.“ Nach dem Krieg wurde der Turm
auf dem Halberg, wie sich ZZ 28 erinnert, von
den Amerikanern abgerissen bzw. abgebrannt.
Zur Nachrichtenübermittlung gab es
„Blitzmädchen“. Davon gab es in Wehen zwei
oder drei junge Frauen. Ab Ende 1944 und dann
1945 wurden über Wehen Flugblätter abgeworfen.
(ZZ 26) Diese mussten von den Schülerinnen und
Schülern eingesammelt werden. Aber auch durch
Radio BBC war man informiert. „Es wurde alles
gemacht, um dies abends hören zu können“
erzählt ZZ 21 aus Orlen. „Klopf, Klopf,
Klopf...hier ist England“ hat
sie
die jeweilige Ansage gut in Erinnerung. „So
waren wir von der Gegenseite informiert.“ Das
Ergebnis sei für sie auch als Kinder
enttäuschend gewesen, bekamen sie in der
Schule doch eine andere Version des
Kriegsverlaufs geschildert.
Eine
„vertrackte
Geschichte“ ereignete sich in Bleidenstadt. Der
katholische Pfarrer Schermuly hatte angeblich ein
Verhältnis mit einer verheirateten Frau. Diese ließ
sich scheiden. Beim Scheidungstermin musste der
Pfarrer schwören, dass er kein Verhältnis mit ihr
hatte. Es kam aber raus, dass dieses Verhältnis doch
bestand. Wegen Meineids musste er ins Zuchthaus und
starb dort nach halbjähriger Haft. (ZZ 8)
Evangelischer
Geistlicher
in Bleidenstadt war zunächst Pfarrer Färber,
vor dem die ZZ 1 aus Hahn 1935 konfirmiert
wurde. Sein Nachfolger war Pfarrer Donsbach.
Er war auch für die Pfarreien bis nach
Laufenselden zuständig. Die betreute er,
Sommer wie Winter, mit dem Fahrrad. Benzin war
rationiert und sein Auto beschlagnahmt worden.
Er und seine Frau kümmerten sich auch in
besonderem Maße um die Leute im Dorf. „Echte
Pfarrersleut.“ (ZZ 24) Auch in Wehen war
Pfarrer Donsbach tätig und vertrat dort den
Pfarrer Bremmer, welcher zum Kriegsdienst
eingezogen worden war. Pfarrer Bremmer, „tatkräftig
und
hilfsbereit“, kam aus dem Krieg zurück und
blieb Pfarrer in Wehen bis 1947/48. (ZZ 26)
„In der Hitlerzeit ging
nicht
jeder in die Kirche. Das war schon schwierig.
Von SS-Leuten wurde verlangt, dass sie aus der
Kirche austreten“. (ZZ 6)
Konfirmationen
wurden
in
Orlen durch Jugendweihen ersetzt. Diese fanden
in einer Gaststätte statt. „Der Lehrer war
Nazi. Er drängte die Familien dazu, aus der
Kirche auszutreten und übernahm selbst die
Pfarrerrolle. Er beerdigte und taufte.“ (ZZ
11) In Wingsbach gab es weiterhin nur
Konfirmationen. (ZZ 35) Die Orlener und
Neuhofer jungen Leute wurden erst 1946, dann
z.T. mit 17, von Pfarrer Bremmer in Wehen
konfirmiert. „Er war froh, dass er uns los
war.“ (ZZ 14) Die Ehefrau des ZZ 35 aus Orlen
musste sich auch noch von ihm konfirmieren
lassen, bevor sie heiraten konnte. Als „klein
und handgreiflich“ beschreibt ZZ 35 den
Pfarrer.
Die
Züge
der Aartalbahn verkehrten auch während des
Kriegs von und nach Wiesbaden. Schon früh am
Morgen, ab 5 Uhr im Stundentakt, war die Fahrt
nach Wiesbaden möglich, wenn die Loks und
Wagen auch häufig von Tieffliegern angegriffen
wurden. Oft genug versteckten sich die Leute
im Wald auf der Eisernen Hand und liefen dann
zu Fuß nach Hause. (ZZ 8) Der Transport von
Post, Personen und Gütern vom Bahnhof Hahn-Wehen
wurde
auch im Krieg z.B. für die Wehener Bevölkerung
mit einer Pferdekutsche von einem Bauern, dem
Großvater der ZZ 34, bewerkstelligt, der
seinen großen Hof mit zwei Pferden unterhalb
des Rathauses hatte. Wenn ihr Opa wieder mal
mit der Kutsche Post in Hahn abholte, legte
sich ihre Großmutter besorgt auf die Straße in
wehen, drückte ihr Ohr fest auf das Pflaster
und hörte ihren Mann schon am „Waldfrieden“
kommen. Im Winter, wenn alle Straßen
wochenlang von Schnee bedeckt waren, für er
mit dem Pferdeschlitten. Bei Überlandfahrten
mit der Familie legte er seinen Lieben heiße
Backsteine an die Füße. Mit Pferdefuhrwerken
vom Bahnhof Hahn-Wehen kommend wurde auch
Neuhof mit Kohle usw. versorgt. Aus Neuhof,
Orlen usw. fuhr man mit dem Fahrrad nach Hahn,
um dann mit dem Zug nach Wiesbaden zu fahren.
Einer Unterschriftensammlung auf Initiative
der ZZ 6 und ihrer Freundin Ilse in Neuhof war
es zu verdanken, dass ein täglicher Bus von
Kirberg bis Hahn eingeführt wurde. Da zu
dieser Zeit Bombenangriffe auch auf Mainz
erfolgten und Handwerker aus „Libbach“ usw.
dienstverpflichtet wurden, um dort zu helfen,
bekam sie auch deren Unterschriften für eine
bessere Verkehrsanbindung an Wiesbaden. Auch
die jeweiligen Lehrer und Pfarrer der
einzelnen Anliegergemeinden engagierten sich
dafür, dass die Kinder dann leichter nach
Wiesbaden zur Schule fahren konnten. „Und so
fuhren schließlich zwei Busse aus Wiesbaden
zurück: Einer für die Schülerinnen und Schüler
mittags und der andere abends für die
Arbeiter. Und das mitten im Krieg.“
Schon
lange
vor dem Zweiten Weltkrieg („zwanziger Jahre“) war
mit den Rodungen für den Bau der Siedlung Platte bei
Neuhof begonnen worden, erzählen ZZ 6 und ZZ 7. Die
Familien Kunze, Fischer und Krause waren die ersten
Ansiedler. Sie kam aus Dotzheim, weswegen das
Baugebiet bald „Neu-Dotzem“ genannt wurde. Sie
siedelten dort, um Landwirtschaft zu betreiben. „Die
Männer brachten Backsteine aus Wiesbaden im Rucksack
mit. Damals hatten wir noch eine französische und
englische Besatzung in Neuhof.“ (ZZ 6) Nicht weit
entfernt verkehrte die Prominenz auf Jagdschloss
Platte. „Alles war sehr elegant. Die Wiesbadener
übernachteten da, wie ZZ 7 berichtet, „wenn es denen
in der Stadt zu heiß geworden war.“ Auch der Bruder
von Generalfeldmarschall Rommel soll nach ihrer
Information dort gewesen sein und habe angeblich
seine Abschiedsrede geschrieben. „Dann marschierte
er nach Neuhof und erschoss sich noch im Wald.“
Zum
Kriegsende
(„Ende März/Anfang April 1945“) wurde das
Munitionslager in Hahn von der Wehrmacht gesprengt.
„Glück für das Dorf, dass nur die Hälfte
hochgegangen war. Es waren gewaltige Detonationen2
schildert ZZ 20. Kurz danach, es war am 5. April,
hatte er einen schweren Unfall. Er hatte mit
Freunden Granaten aus dem „Muni“ geholt. Von den
Stielhandgranaten wollten sie die Kordeln
abmontieren. Dies gelang auch zunächst bei 30 bis 40
Exemplaren. Aber die Buben hatten übersehen, dass
dort noch die Zünder steckten. Ein solcher wirkte
wie ein Sprengsatz und riss dem Zeitzeugen drei
Finger weg. Dr. Sprenger aus Hahn ordnete an, dass
er innerhalb von zwei Stunden operiert werden müsse.
Bäcker Rock erklärte sich sofort bereit, ihn in
Begleitung einer Krankenschwester aus Hahn in das
Standortlazarett in Bad Schwalbach am Kurhaus zu
fahren. „Ein beinamputierter Arzt operierte mich
sehr erfolgreich.“ Auch ZZ 28 aus Wehen kann sich
noch gut an diese Sprengungen durch die Wehrmacht
erinnern. Große Mengen an Flakgranaten 8,8 cm
blieben jedoch unversehrt und lagen dort noch lange
Jahre zusammen mit andrer Munition nicht tief im
Waldboden. Wie ZZ 1 sich erinnert, soll in
unmittelbarer Nähe zum Munitionslager auch eine
Einrichtung des Lebensborns bestanden haben („wir
schenken dem Führer ein Kind.“) „Dort standen nach
meiner Beobachtung viele Kinderbadewannen rum.“
Mit
dem
Rückzug der deutschen Truppen kam es auch zu
Einquartierungen wie z.B. in Orlen. „Über die
Hühnerstraße zogen die deutschen Soldaten mit ihren
Trecks zurück“ erzählt ZZ 21. In jedem Haus musste
ein Soldat für eine gewisse Zeit aufgenommen werden.
In ihrer Familie lebte ein Stabsfeldwebel, der ihr
damals noch einen Vers in ihr Poesiealbum schrieb.
Dieses hat sie gut aufgehoben. Den Vers kann sie
ohne Zögern aufsagen: „Der Freund, der dir den
Spiegel zeiget, den kleinsten Flecken nicht
verschweiget, das ist Dein Freund, so wenig er es
auch zeiget.“
Die
amerikanischen
Truppen befanden sich bereits in Kemel, als
„Einberufungszettel“ für den Volkssturm verschickt
wurden. Da mussten deutsche Soldaten die Brücke
hinter der ev. Kirche sprengen, um den Vormarsch
aufzuhalten. 10 bis 20 Soldaten zogen singend durch
die Kirchstraße, dazu waren sie gezwungen worden,
Richtung Seitzenhahn. Es hieß: „Wir verteidigen
Seitzenhahn bis auf den letzten Mann.“ Die Empörung
in der Bevölkerung darüber war groß. Kurz darauf
kamen Sanitätswagen „von oben runter und hatten
gefallene Soldaten kreuz und quer darauf liegen.
Diese wurden auch hier an der ev. Kirche beerdigt.
Die Verwundeten kam in die alte Schule, dem späten
Postgebäude.“ (ZZ 4)
Buben
und
alte Männer auch aus Hahn wurden nach einer
Schnellausbildung beim Volkssturm mit Gewehren nach
Idstein geschickt, um dort die Amerikaner
aufzuhalten. „Ein Bild für die Götter“ Einige junge
Leute flohen in den Wald und versteckten sich.
Später vergruben sie noch ihre Gewehre aus Angst vor
den Amerikanern. (ZZ 20)
Auch
ZZ
14 musste gegen Kriegsende mit 16 Jahren zum
Volkssturm und erhielt dort eine Ausbildung.
Anschließend wurden sie im offenen LKW nach
Frankfurt gefahren, um dort nach Bombenangriffen
durch die Amerikaner bei Aufräumarbeiten zu helfen.
Der Fuhrunternehmer kam aus Hahn. Sie sangen dort
noch Lieder aus der Hitlerjugend, wogegen sich viele
Frankfurter jedoch wehrten: „Ihr Drecksbuben!“
Ihr
Essen
bekamen sie dennoch: aus einer Gulaschkanone der
Wehrmacht.
8.
Die Amerikaner kommen
In
Bleidenstadt erschienen die Amerikaner aus
dem Borner/Watzhahner Wald. „Dort sahen wir sie
eines Morgens.“ Sie wollten mit einem Wägelchen vor
ihnen fliehen, wussten aber nicht wohin. (ZZ 4) „Wir
sind als hin und her gezogen, vom Unterdorf in
Oberdorf und zurück.“ Herr Poulet hängte in dieser
Situation ein weißes Bettlaken raus. Die Amerikaner
hatten auch Angst, als sie die Häuser durchsuchten.
Viele Männer wurden mitgenommen, auch ihr Bruder.
Ihr Haus wurde zwar für 6 Wochen beschlagnahmt, sie
durften aber zum Waschen der Wäsche reinkommen. Ihr
Nachbar, Bürgermeister Geier, durfte ebenfalls drin
bleiben. „die annern Nachbarn unner uns warn ganz
schöne Nazis“. Deren Haus wurde Hauptquartier. Dort
war der Kommandeur mit seiner Schreibkraft. Dann
tauchte der Bürgermeister mit einem Amerikaner in
ihrem Elternhaus auf. Befehl war: Alle Möbel drin
lassen, aber Schubladen leer machen. Jeder half
dabei. 16 Mann lebten im Haus. „Über die Amis
konnten wir uns nicht beklagen.“ Ein Amerikaner
hackte ihrem Großvater sogar das Holz. Die Eltern
der ZZ 8 betrieben die Bäckerei Otto Schmidt. Bei
den Hausdurchsuchungen kam auch deren Bäckerei dran.
„Unter dem sog. Deutschen Ofen befand sich ein
Treibraum für Kuchen. Das dunkle Loch machte ihnen
zu Schaffen.“ Wie so viele Zeitzeugen machte sie
hier ihre erste Begegnung mit einem „Neger“.
ZZ
24
erinnert sich daran, dass sich russische
Fremdarbeiter noch lange nach dem Krieg, etwa ein
Jahr, zum Teil als Einbrecher im Dorf herumtrieben.
„Einmal räumten sie einen Keller aus, während die
Mutter mit dem Baby im ersten Stock saß.“
„Was ein Glück“ sagten die Hahner
zunächst, als die ersten Amerikaner über die
Eisenstraße ins Dorf kamen. ZZ 1 erinnert sich, dass
die Bevölkerung dann aber bald aus den Betten gejagt
wurde. Die Häuser wurden durchsucht.
Kriegsauszeichnungen des Vaters des ZZ 20 mussten
abgehängt werden. Einzelne Häuser wurden
beschlagnahmt. Zerstörungen kamen dann vor, wenn
z.B. Messerwerfen auf Türen und Schränke geübt
wurde. „Sie hausten ganz schön.“ (ZZ 30) Der Vater
der ZZ 1 passte gut auf seine drei Töchter auf. Die
Zeitzeugin selbst war damals 24 Jahre alt. Schnell
gewöhnte man sich aber an die Amerikaner, die es
besonders gut mit den Kindern meinten: Sie bekamen
oft Schokolade geschenkt. Abends tanzten sie dann
mit den „Russenmädchen“ in der Scheune. Einige
Frauen im Dorf mussten Kleider für diese
Fremdarbeiterinnen nähen. Keinen Spaß verstanden
sie, wenn jemand nach verhängter Ausgangssperre noch
vom Einkaufen kam: Dem wurde auch im Einzelfall die
Fleischwurst beschlagnahmt. Umgekehrt „beklauten“
auch die Hahner Buben die Amerikaner, deren
Essensrationen auf dem Bahnhofsgelände in Fahrzeugen
verstaut waren und durchaus bewacht wurden. Als
Bürgermeister setzten die Amerikaner Herrn Barthmann
ein, da er Englisch sprach. Außerdem habe er im
Krieg „Spionage von hier aus betrieben, mit Fund.
Der war ja ein Drecksack.“ (ZZ 20)
Etwa
8
Wochen blieben sie, in der Altensteiner Straße noch
etwas länger. (ZZ 33)
„Einzelne Soldaten, die gegen Kriegsende in
der Hahner Umgebung angetroffen worden waren, wurden
von den Amerikanern erschossen.“ „Vor dem
Munitionslager hatten sie Angst.“ (ZZ 20) Die Villa
Groß, heute ZOB-Gelände, wurde von den Amerikanern
beschlagnahmt. Später gehörte sie dem Unternehmer
Wehner, „ein Förderer des Sportvereins“ (ZZ 5) Anm.:
und schließlich dem Ex-Geheimdienstler Friedrich
W. Heinz.
ZZ
19
aus Wehen war noch Schülerin. Schon als die
Amerikaner in Hahn angekommen waren ordnete der
Wehener NSDAP-Ortsgruppenleiter Peußer an, dass an
der evangelischen Kirche ein weißes Betttuch
aufgehängt wurde. Am 28. März kamen sie mit
„aufgepflanztem Maschinengewehr“ durch die Gärten.
Dann wollten die ersten Panzer über die Platter
Straße ins Dorf. Am Marktplatz blieben sie mit ihren
Panzern stehen. Zum „Essenfassen“ gingen die
Soldaten jeweils in die „Krone“. Dort gab es eine
Gulaschkanone. Anfang April passierten zwei
Zwischenfälle. Zwei deutsche Soldaten kamen in
voller Uniform und Gewehren die Platter Straße
runter und wollten wissen, ob die Amis schon da
seien. Ihr Vater bestätigte ihnen das und empfahl
ihnen, ihre Gewehre in eine tiefe Pfütze zu werfen.
„Geht dann zum Rathaus und stellt Euch.“ Dort wurden
sie wahrscheinlich gefangen genommen.
Am
Eichelberger
Weg hatte wohl jemand auf die Amerikaner geschossen.
Alle männlichen Einwohner mussten sich daraufhin auf
der Weiherwiese versammeln. Die Häuser wurden dafür
durchsucht, während die ZZ 19 bei ihrem kranken
Bruder unbehelligt am Bett blieb. Abends war immer
Ausgangssperre. Auch daran erinnert sie sich: Eines
Tages fuhr sie mit ihrer Freundin mit Fahrrädern
nach Hahn, um dort Brot zu holen. Da es kalt war,
zog sie ihre dickere Jungmädchenjacke über. Auf dem
Rückweg überholte sie ein Jeep mit Amerikanern. Sie
bekam dafür im Vorbeifahren „...eine Hundepeitsche
übergezogen. Das war für die ein rotes Tuch.“ Angst
hatten die amerikanischen Soldaten vor versprengten
deutschen Soldaten in den Wäldern rund um Wehen.
Diese waren noch bis Juni im Gebiet der Platte
untergetaucht und warteten dort auf den Abzug der
Amerikaner. „Die Amis mieden die Suche im Wald“
erinnert sich ZZ 26, Als sie das Haus von Dr. Lampe
durchsuchen wollten, wurden sie von dessen Hund
angebellt. „Dafür wurde das arme Tier erschossen.“
(ZZ 28)
Auch
in
Seitzenhahn mussten Familien ihre Häuser
verlassen und kamen bei Verwandten im Dorf unter,
schildert ZZ 29. Eine Uniform ihres Onkels, die den
Amerikanern in die Hände gefallen war, wurde auf der
Straße verbrannt, „In den Häusern gab es
Zerstörungen. Schränke wurden mit Messern beworfen.“
Der
Watzhahner ZZ 16 hat das Kriegsende „recht
angenehm erlebt.“ Zwei französische Kriegsgefangene
waren nämlich aus dem Wingsbacher Lager im Dorf.
„Sie kündigten zwar ihre Flucht an, blieben aber
über Nacht noch in Egerts Scheune.“ Sie nahmen dann
mit den anrückenden Amerikanern Kontakt auf und
legten ein gutes Wort für die Bevölkerung ein
„...ist ein friedliches Dörfchen.“ Von Westen nach
Osten durchzogen sie mit vielen Panzern das Dorf und
nahmen im Wingsbacher Wald geflohene deutsche
Soldaten gefangen, die sich dort versteckt hatten.
In
Wingsbach war ein französischer Lehrer als
Kriegsgefangener. Er sprach englisch und Deutsch. Er
vermittelte zwischen den anrückenden Amerikanern und
der Bevölkerung: „Hier braucht ihr keine Angst zu
haben. Hier ist kein Militär.“ Sie zogen deshalb
ohne einen Schuss ein. (ZZ 11) Zu Schusswechseln sei
es allerdings vorher in Strinz-Trinitatis gekommen.
Dort war noch SS in einem ehemaligen RAD-Lager
untergebracht.
Die
Hambacher ZZ 35 erlebte den Einzug der
Amerikaner als „ganz friedlich.“ Dort wohnte nämlich
ein Weinkommissionär aus Rüdesheim, Herr Kendermann.
„Der war der englischen Sprache Herr“, war er doch
schon vor dem Krieg in Amerika gewesen. Er lief den
Amerikanern (evtl. mit einem weißen Tuch) entgegen
und sagte: „Hier ist kein Widerstand. Es ist ganz
friedlich gelaufen.“ Ab und zu seien sie in den
folgenden Wochen im offenen Jeep durch das Dorf
gefahren. „Sie belästigten aber niemanden.“
Aus
Richtung
Strinz-Margarethä kamen die Amerikaner nach Niederlibach.
Häuser wurden für sie zwangsgeräumt. „Die
Einheimischen durften nur zum Viehfüttern morgens
und abends in die Ställe kommen. Sie blieben zwei
bis drei Wochen.“ ZZ 30
Die
Kinder
hatten zahlreiche Kontakte zu den Amerikanern, waren
sie umgekehrt doch auch sehr freundlich zu ihnen.
Ehe
die
Amerikaner in Orlen ankamen, war deren
Artillerie schon nachts zu hören gewesen, erzählt ZZ
14. er war 16 Jahre alt. Sein Onkel, Bäcker Krieger
aus Wiesbaden, hatte ihm befohlen, sich ins Bett zu
legen. Ich musste eine Erkrankung vortäuschen.“ er
freute sich über deren Ankunft. „Zum Glück kamen die
Amerikaner.“ ZZ 35 berichtet, dass polnische
Zwangsarbeiter im Haus seines Schwiegervaters Feix
einbrachen. „Als er das Fenster aufmachte, schossen
sie ihm durch den Mund.“ Amerikaner brachen ihn
sofort im offenen Jeep nach Wiesbaden ins
Krankenhaus. Er konnte aber nicht mehr gerettet
werden.
Betttücher
mussten
aus den Fenstern gehängt werden, erinnert sich ZZ
21. Es hieß: „Wir werden nicht kämpfen. Wir ergeben
uns. Früh am Sonntagmorgen erschienen die Amerikaner
so gegen 9 Uhr. „Sie kamen auch in ihr Haus. „Der
erste war ein Schwarzer.“
Sie
kontrollierten
die Zimmer und nahmen sich ihren Vater vor. Ein
Parfümkästchen aus Frankreich, welches ihr gehörte,
steckte sich ein Amerikaner wortlos ein. Dann
verschwanden sie wieder. Ansonsten waren sie
„...sehr höflich – nicht unangenehm.“ Sie suchten
nach versteckten Soldaten. Auch erlebte sie, dass
sich in diesen Tagen zwei junge hungrige deutsche
Soldaten in einem Wäldchen zwischen Orlen und
Hambach versteckt hatten. Diese nahmen ihre Mutter
und sie mit zur „Hambacher Emma“ (Bücher).
Dort konnten sie sich richtig satt essen. Brot
durften sie sich noch einstecken, ehe sie wieder
verschwanden.
In
Neuhof
besetzten die Amerikaner die „Burg“ für drei Monate.
„Die Gewehre standen in der Speisekammer. Es war
eine schöne Zeit.“ (ZZ 7)
9.
Die Heimatvertriebenen kommen
„In der allgemeinen Diskussion haben sich
die Worte „Flüchtlinge“ und „Heimatvertriebene“
angeglichen und werden als gemeinsamer Begriff
gebraucht….“ aus: Historisches Lexikon Bayern.
Die ersten Heimatvertriebenen kamen 1946.
9.1 So erlebten es
die Einheimischen
Der
ZZ
24 aus Bleidenstadt, er war 13 Jahe alt,
erinnert sich wie folgt: „Die erste Flüchtlingsfrau
kam aus dem Zug und fragte nach dem Bürgermeister.
Das war damals Adolf Müller. Sie kamen alle in ein
Massenlager bei Conradi. Ein Flüchtlingskommissar
ging mit zwei bis drei Mann durch die Häuser und
beschlagnahmte Wohnungen und Stuben. Das gab damals
zum Teil böses Blut auf beiden Seiten.“ Ganze
Familien wohnten in einem Zimmer. „Das waren schon
schlimme Zeiten. Die Nachkriegsjahre waren
schlechter als die Kriegsjahre.“ Bald aber
entstanden erste Wohnungen, z.B. in der
Rossbergstraße.
Die
ZZ
1 erinnert sich: „Als die Heimatvertriebenen kamen,
rissen sie sich im Geschäft meines Vaters um die
Konserven mit Trockenkartoffeln. Einquartierungen
erfolgten auch gegen den Willen der Einheimischen.“
Das Sammellager befand sich im Saal des Taunus. Dort
gab es ein Strohlager. „An der alten Turnhalle in
der Jahnstraße standen zunächst auch noch Baracken,
bis die Gemeinde schnell und günstig Bauplätze zur
Verfügung stellte. Die Ungarnflüchtlinge hielten
besonders zusammen. In kürzester Zeit hatten sie ihr
Häuschen gebaut.“ (ZZ 20/33)
„In Hambach gab es in jedem Haus
Einquartierungen. Ein Mann blieb hier, heiratete und
baute. Da z.B. in Wörsdorf die Gemeinde günstiges
Bauland anbot, zogen viele aus Hambach dorthin, weil
es das hier nicht gab.“ (ZZ 36)
„Die ganze Ungarn kam, zum Teil ohne Schuhe
und die Frauen mit Kopftüchern. Ganze Familien
hausten in einem Zimmer, die Kartons und den
Betten.“ so erzählt es ZZ 2 aus Neuhof,
deren Eltern keine Einquartierung hatten. Dagegen
wurden in der Burg zwei Familien einquartiert. (ZZ
7). Auch Sudetendeutsche kamen, wie z.B. der ZZ 10,
später Ehemann der ZZ 7. „Schnell bauten sie Häuser
und wurden sesshaft.“ (ZZ 2): Viele Flüchtlinge
kamen nach Neuhof und wurden von einer Kommission
einquartiert. Das ältere Ehepaar Zeh kam zur Mutter
der ZZ 6. Herr Zeh hatte eine Säge und eine Axt aus
dem Sudetenland mitgebracht und ging mit zum
Holzmachen. Bald fing er an zu bauen, obwohl er noch
keine Baugenehmigung hatte. Die bekam er dann als
Sondergenehmigung vom Bürgermeister.“ (ZZ 6)
ZZ
14,
der ehemalige Bürgermeister von Orlen, erinnert
sich: „Über 100 Heimatvertriebene kamen 1946 nach
Orlen, das damals 370 Einwohner hatte. Darunter war
auch die ZZ 17. Sie wurden durch eine Kommission
einquartiert. Der Bürgermeister ging mit. Jeder
Bauwillige erhielt in der Folgezeit ein
zinsgünstiges Darlehen von fünftausend bis
sechstausend Mark.“ „Der Orlener Ortsdiener,
Gustelbabe wurde er genannt, rief es mit der Schelle
aus. Auf dem Platz vor der Halle wurden die
Vertriebenen ausgeladen. Sie hatten gerade mal ein
Päckchen. Mehr durften sie nicht mitnehmen. Das war
schon schlimm. Zunächst wohnten sie in der Halle und
wurden dann aufgeteilt. Und die Schüler sammelten
Kartoffeln im Dorf und mussten sie nach Wehen zum
Pfarrer bringen. Sie waren für Heimatvertriebene
gedacht.“ (ZZ 21)
Die
ZZ
29 aus Seitzenhahn erinnert sich an die
Einquartierung einer sudetendeutschen Familie bei
ihren Eltern. „Das Ehepaar und dessen Tochter
blieben vier bis fünf Jahre bei uns.“ Die Tochter
brachte sich aber aus unbekannten Gründen um und die
Eltern zogen nach Bleidenstadt. „einige
Heimatvertriebene heirateten hier und blieben.“ ZZ
12, auch aus Seitzenhahn, erlebte als Eisenbahner,
wie Flüchtlinge in Güterwagen in Bad Schwalbach
ankamen. „Diese Züge kamen einmal wöchentlich,
jeweils drei bis vier Wagen waren an Güterzüge
angehängt. In jedem Wagen waren etwa 30 Personen
untergebracht.“
Nach
Watzhahn
kam eine große Zahl von Heimatvertriebenen. Sie
wurden einquartiert. Erst mit ihnen kam das
Arbeitsleben hier auf. Bisher gab es nur einen
Arbeitnehmer im Dorf. Dieser arbeitete in einem
Sägewerk in Wiesbaden. Alle anderen waren
selbständige Bauern. So nach und nach kam eine
Arbeiterschaft auf. Die Heimatvertriebenen
heirateten oft hier oder in der Umgebung.“ (ZZ 16)
Der
Vater
von ZZ 19 aus Wehen „...musste nach Hahn zum Bahnhof
fahren und Heimatvertriebene von dort mit seinem LKW
auf die einzelnen Ortschaften verteilen. Die Wehener
Heimatvertriebenen wurden zunächst in der „Krone“
gesammelt und versorgt. Von dort erfolgte die
Aufteilung auf Wohnungen. Die Unterbringung erfolgte
auch in der alten Schule.“ Mit einem dieser
Transporte kam auch ihr späterer Ehemann und
erfolgreicher Firmengründer. Dass er katholisch und
sie evangelisch war, machte die Sache nicht
leichter.
„Großen Respekt vor der Aufbauleistung der
Heimatvertriebenen in dieser schlechten Zeit“ zollt
ZZ 28. „Sie hausten mit ihren Kindern in einem Raum.
Diese Leute hatten ja nichts.“ Nach der Erinnerung
des ZZ 26 wurden sie im Wehener Schloss gesammelt.
ZZ
35
aus Wingsbach erinnert sich: „Sie kamen mit Schipp
und Rechen. Im Einzelfall heirateten sie auch hier.
Sie haben sich in Wingsbach wohlgefühlt.“
9.2
Und so erlebten die Betroffenen ihre Flucht und
Vertreibung
Die
ZZ
22 und 23, als Zwillinge 1933 geboren, kamen mit
ihrer Mutter und der Tante aus Südmähren nach Niederlibbach.
Der Bürgermeister ihrer Heimatgemeinde war von
Russen mit Kriegsende sofort erschossen worden.
„Chaotische Verhältnisse herrschten rundum. Am 19.
Mai gingen die Tschechen rum und sammelten alle
Männer auf einem LKW. Sie wurden in der Kreisstadt
Znaim eingekerkert. Schlimme Misshandlungen und
Totschlag folgten. Auch unser Vater war dabei.
Frauen und Kinder waren nun alleine. Die Russen
wüteten weiter. Eine Achtzehnjährige aus dem Dorf
verschwand spurlos. Als die Russen uns auch noch
trennen wollten, um uns nach Sibirien zu
verschicken, besorgten sich unsere Tante und unsere
Mutter eine Schubkarre und flüchteten mit uns
unerkannt über die Grenze nach Österreich. Dort
lebten wir zunächst unter Kornhausten und in einer
verlassenen Scheune, bis wir bei Bauern und einer
Tante unterkamen.“ Über drei Wochen sind sie
schließlich im April 1946 in Viehwaggons durch
Österreich und Deutschland nach Bad Schwalbach
transportiert worden. Von Dort wurden sie auf die
Gemeinden aufgeteilt.
Ca.
40
bis 50 Personen wurden in Niederlibbach eingewiesen.
Jedes Haus war betroffen. „Es waren ja schon die
Ausgebombten aus den Städten hinzu gekommen.“ Beide
bringen noch heute ihre Verwunderung darüber zum
Ausdruck, „...dass unsere Zwangseinweisung überhaupt
ging.“
ZZ
15
aus Watzhahn bzw. dem Ost-Sudetenland,
Regierungsbezirk Troppau, schildert: „Anfang Mai
1945 kamen die Russen an, Kampftruppen und dann
Partisanen. Alle Deutschen im Dorf mussten sich
versammeln, Kriegsgefangene wurden freigelassen.
Dann kamen im Laufe des Monats Mai die ersten
Tschechen. Einige Deutsche mussten sofort aus ihren
Häusern raus. Durften nichts mitnehmen und kamen in
ein Lager. Andere durften bleiben. Die aus dem Lager
mussten in einer Kolchose arbeiten. Ich blieb mit
der Mutter, der Vater war gefallen, als Knecht auf
dem ehemals eigenen Hofgut. Ich war 15 Jahre alt.
Meine Mutter war krank. Am 15.5.1946 mussten wir mit
einem Transport weg. Von allem, was wir zunächst
mitnehmen durften, ursprünglich 50 kg, blieb am Ende
durch weitere Beschlagnahmung fast nichts mehr
übrig. Wir kamen für vier bis fünf Tage über Limburg
nach Kettenbach in das ehemalige RAD-Lager. Dann
ging es mit einem LKW nach Watzhahn. Vor dem Dorf
stand noch eine Panzersperre. Ich wohnte dann mit
meiner Mutter in einem Zimmer von 9 qm beim Bauer
Schneider und arbeitete dort als Knecht. Später kam
mein Bruder noch dazu. Wir waren drei Personen auf 9
qm. Ein Öfchen, ein kleiner Schrank und das Bett.
Ich hatte ein Feldbett. Das kann sich heute keiner
mehr vorstellen. Ich war dort bis 1949. Die Jugend
unter sich in Watzhahn verstand sich gut. Die
Älteren waren wegen der Einengung aber verärgert.“
er hatte jedoch in der Heimat selbst
Einquartierungen auf dem väterlichen Hof erlebt. Der
ZZ war 34 Jahre lang Vorsitzender der
Landsmannschaft aus seinem Heimatort.
Mit
demselben
Transport aus dem Sudetenland war die ZZ 32
gekommen. „Wir haben die ersten Nächte im „Taunus“
in Hahn im Saal zusammen mit anderen Familien
gewohnt. Ich war 10 Jahre alt. Dort gab es auch
Doppelbetten. Nach fünf Tagen kamen wir dann in eine
Wohnung bei der Familie Seifert/Schranz. Drei
Familien hatten dort eine Küche für alle und je ein
Zimmer für die beiden anderen Familien. Die Frauen
des Hauses waren hilfsbereit. Vater Seifert war zwar
eher erschrocken über die vielen Leute, die ins Haus
gesteckt worden waren. Es dauerte ein Jahr in der
Enge, bis zwei Familien andere Wohnungen erhielten.
Im Laufe der Zeit spielte es sich ein. Wir blieben
dort 11 Jahre. Ein guter langfristiger Kontakt blieb
auch danach erhalten. Auch in der Schule hatten wir
es schwer. Ich wurde um ein Jahr zurückgesetzt, da
das Jahr, in dem die Russen gekommen waren, gefehlt
hat. Dann fehlte noch ein halbes Jahr wegen der
unterschiedlichen Einschulungstermine. Die Kinder
waren schon heftig und haben sich gekracht. Meine
Mutter half Bauern auf dem Feld. Das verschaffte mir
und der Familie Ansehen im Dorf.“
ZZ
31
aus Wingsbach wurde aus Mährisch-Neustadt in
Nordmähren (Sudetenland) vertrieben, als er 10 Jahre
alt war. „Ich kam mit meiner Mutter, Großmutter und
dem zweijährigen Bruder im Transport zunächst nach
Bad Schwalbach und dann nach Bleidenstadt ins Lager,
den Saalbau Conradi. Dort erschien auch mein Vater
nach seiner Kriegsgefangenschaft zusammen mit Dr.
Strohschneider, der sich als Arzt in Bleidenstadt
niederließ. Der Bürgermeister meiner Heimatgemeinde
bis zur Machtergreifung Hitlers kam auch nach
Bleidenstadt und wurde hier Vorsitzender der
Gemeindevertretung. Mährisch-Neustadt ist
geschichtsträchtig durch das Treffen von Kaiser
Joseph II und Friedrich d. Großen. Sie trafen sich
hier, um Polen aufzuteilen. Am Ostermontag 1946
zeigte uns mein Vater Wingsbach. Dort waren wir dann
in eineinhalb Zimmern sehr gut untergebracht. Die
Kaisers waren Seelen von Menschen.“ sein Vater war
Schreiner und tauschte selbst gemacht Kochlöffel,
Nähkästchen, Lampen etc. von Ort zu Ort. „Wir
hausierten“.
Ab
1947 besuchte der
ZZ zusammen mit
drei anderen „Flüchtlingsmädchen“ aus Wingsbach
die Mittelschule in Bad Schwalbach. Bis 1949
liefen sie täglich zu Fuß zum Bahnhof Hahn-Wehen
und nachmittags zurück. 1968 wurde der ZZ
Bürgermeister von Wingsbach, bald nach dem
Zusammenschluss mit der Stadt Taunusstein
hauptamtlicher Stadtrat.
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