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Backes Die Geschichte der Gemeinde

Hahn im Taunus

von seinen Anfängen bis zur Stadtgründung Taunusstein 1971






Jägerheim Eiserne_Hand Aarstraße












Nachfolgende Abschrift erfolgt mit ausdrücklicher Genehmigung von dem Projektverantwortlichen Herrn Dietmar Enders.






Taunussteiner Zeitzeugen berichten
(1924 - 1949)
- Auswertung -
Ein Projekt des Seniorenbeirats der Stadt Taunusstein
Stand: Januar2014

Vorwort

Im Rahmen eines Zeitzeugenprojekts, welches der Seniorenbeirat der Stadt Taunusstein im April 2011 beschloss und mich mit der Durchführung beauftragte, erfolgten im Mai 2011Aufrufe in der Tagespresse und in den „Stadtnachrichten", um eine ausreichend große Zahl von Zeitzeuginnen und -zeugen für eine Dokumentation gewinnen zu können. Ein weiterer Aufruf erfolgte im August 2012 in einem Interview mit dem „Wiesbadener Kurier".

Als Zielgruppe gelten Personen, die in einer der ehemals 10 selbständigen Gemeinden, die heute die Stadt Taunusstein ausmachen, aufgewachsen sind und sich möglichst auch noch an die Zeit vor dem 2. Weltkrieg erinnern können. Die drei letzten noch lebenden Bürgermeister von Wingsbach, Orlen und Hambach gehören ebenso zu den Interviewten wie auch 10 Flüchtlinge bzw. Heimatvertriebene. Jeder der 10 Stadtteile ist dabei mindestens zweimal vertreten:
Lebenswege und Geschichten sollten festgehalten werden, nicht Geschichte im engeren Sinne. Letztere ist hinlänglich beschrieben und kann u.a. auch in zahlreichen Vereinschroniken nachgelesen werden.

Die Resonanz auf die Aufrufe war enttäuschend gering. lch bekam jedoch einen Hinweis auf die in Buchform veröffentlichte Magisterarbeit von Sibylle Brandt, die 1993 von der Johannes Gutenberg Universität Mainz, FB 13, angenommen worden war und den Titel, Kindheit 1900-1925 in Taunusstein trägt. Damals wurden 109 Personen angeschrieben und um Mithilfe gebeten. Die Tagespresse berichtete und die ,,Hessenschau" sendete eine kurze Fernsehdokumentation. Am Ende erklärten sich 16 Personen für ein Interview bereit. Letztlich kam aus verschiedenen Gründen nur mit 12 Zeitzeugen der Jahrgänge 1910 und früher eine Befragung zustande. Diese Erfahrung von Frau Brandt macht mir Mut, das Projekt weiter zu verfolgen, stand es doch nicht unter dem Zeitdruck einer wissenschaftlichen Arbeit. Einen Fragebogen als Gesprächsleitfaden hatte ich bereits entwickelt, ehe ich ihr Buch zu lesen bekam. Auch war die Idee der Gesprächsaufzeichnung da. Um die einzelnen Gespräche protokollieren und dokumentieren zu können. Gerade der Gedanke, die Schilderungen von älteren Zeitzeuginnen und -zeugen (ZZ) im Originalton für spätere Generationen aufzubewahren, scheint mir verlockend.

In einem ersten Schritt war beabsichtigt, lediglich Gesprächsprotokolle zu schreiben und die Tondateien zu speichern. Zusammen sollten sie dann dem Stadtarchiv übergeben werden. Die Auswertung, wie sie hier vorliegt, war also zunächst von mit selbst nicht beabsichtigt, ist mir aber vorab in allen Fällen von den Interviewten genehmigt worden.

Die Materialfülle hätten einem Dritten diese Arbeitsschritte unnötig erschwert. Wie kam ich nun doch noch an eine ausreichende Zahl von ZZ aus allen Stadtteilen? Hinweise von Dritten, wie z.B. von der „Leitstelle Älterwerden“, aus dem Seniorenbeirat, von Ortsbeiräten und auch von Zeitzeuginnen und -zeugen selbst, ließen mich den direkten Weg der persönlichen Ansprache gehen. Ein großer Bekanntenkreis, ich bin selbst Einheimischer, war dabei unerlässlich. Manchmal mehr, manchmal weniger Überzeugungsarbeit war im Vorfeld zu leisten. Wenige Absagen bekam ich.

Innerhalb von zwei Jahren konnte ich 36 Personen bewegen, mir in ihren Zuhause für insgesamt 28 Interviews zur Verfügung zu stehen.

Bleidenstadt
3
Hahn
7
Wehen
4
Neuhof
5
Seitzenhahn
2
Wingsbach
5
Watzhahn
2
Orlen
3
Hambach
2
Niederlibbach
3


Die ZZ verteilen sich auf ff. Geburtsjahrgänge

1921
1
1922
2
1923
1
1925
5
1926
1
1927
3
1929
3
1930
1
1931
3
1932
2
1933
7
1934
1
1935
2
1936
2
1938
2


Alle ZZ sind im Anhang aufgeführt, sind jedoch nicht in allen Fällen Gegenstand dieser Auswertung.

Insgesamt haben die Gesprächsprotokolle etwa den vierfachen Umfang dieser hier vorliegenden Auswertung. Die Gesprächsdateien im mp3-Format haben ein Volumen von rund 40 Stunden. Alle Dokumente zu diesem Projekt befinden sich im Stadtarchiv.

Untergegangene Redewendungen von Wörtern in Niederlibbacher Mundart, bei Frau Sieglinde Bietz im November 2013 aufgenommen, gehören im Originalton ebenfalls zu diesen Dateien.

Der Betrachtungszeitraum beginnt mit der frühesten Erinnerung der ältesten ZZ (1924) und endet in der Nachkriegszeit.

Die Auswertung gibt sehr Persönliches nicht wieder, sondern dieses verbleibt als Bestandteil der Dokumentation im Stadtarchiv. Es gab lustige aber auch dramatische Erzählungen. Zwei Biographien von Unternehmensgründern sind ebenfalls wertvoller Bestandteil des Projekts. Es fällt jedoch nur eine in den Betrachtungszeitraum.

Inhaltlich maßgeblich waren für mich ausschließlich die Darstellungen der ZZ. Nur das, was Erwähnung fand, ist auch Gegenstand des Projekts. Recherchen meinerseits fanden bis auf wenige Ausnahmen nicht statt. Im Einzelfall erfolgten Nachfragen bei den ZZ, Auch diese sind dokumentiert,

Der Alltag der Menschen an der oberen Aar in der Weimarer Republik, dem „Dritten Reich“ und der Nachkriegszeit wird also mehr oder weniger schlaglichtartig und exemplarisch dargestellt.

Auch für mich bestätigte sich bei der Auswertung die Erkenntnis: „Selten konnten sich die Informanten an Jahreszahlen oder ihr damaliges Alter erinnern. Die kindliche Vergangenheit wurde allgemein mit „früher“ bezeichnet.

Für die Bereitwilligkeit, das Vertrauen und die Offenheit danke ich „meinen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ausdrücklich.


Taunusstein, im Januar 2017                        Dietmar Enders



Inhaltsverzeichnis
                                    
1.    Kindergarten ab 1924

                             
2.    Schulzeit ab 1926
                           

3.    Von der Wiege bis zur Bahre
 

3.1   So spielten und vergnügten sich die Kinder  

3.2    ….und so die Erwachsenen 


3.3   Wie kam man von A nach B?


3.4   Wie war es um das Gesundheitswesen bestellt?


3.5   Zu allen Zeiten wird gestorben

4.     Wohnen/Kochen/Essen/Kleidung


4.1   Was zog man an?

4.2   Und die Frisuren?

5.     Arbeiten/Lehre/Beruf 


6.     Geschäfte, Handwerker und Gaststätten

7.     Vorkriegs- und Kriegszeit

7.1   Jüdische Einwohner und Einwohnerinnen

7.2   Es war Krieg

8.     Die Amerikaner kommen

9.     Die Heimatvertriebenen kommen

9.1   So erlebten es die Einheimischen

9.2   Und so erlebten die Betroffenen ihre Flucht und Vertreibung
        
- Liste der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen (nummerisch)       

- Liste der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen (nach Stadtteilen)
       

- Einwohnerzahlen 1939-1944-1950                   

1. Kindergarten ab 1924

Hahn: Die Diakonissen „Tante Mina und Schwester Bertha“ waren schon in den frühen zwanziger Jahren Kindergärtnerinnen. Anm.: Der Kindergarten war im Rudolf-Gedächtnis-Haus, noch heute ev. Kindergarten, welches 1927/28 von der evangelischen Kirchengemeinde Bleidenstadt erbaut worden war. (Nachzulesen in den Erinnerungen des Altbürgermeisters Ludwig Schauss „Meine Heimatgemeinde Hahn im Taunus“.)

Vor den Diakonissen hatten die Kinder Angst (ZZ 1; 1924-26). Für die Kinder im Vorschulalter gab es eine Sonntagsschule. (ZZ 3; 1925) „Dort wurde gesungen und Geschichten wurden erzählt. Frau Pauschmann erteilte diesen Unterricht.“ Den Hahner Kindern blieb so der Weg nach Bleidenstadt erspart. (ZZ 3) Später war „Tante Auguste“ Leiterin. „Sie war eine strenge Diakonissin.“ (ZZ 20; 1936-38) Am Seilchen liefen die Kinder ab dem Gasthaus „Grüner Wald“ in den Kindergarten. Es wurden Klappbettchen aufgestellt und „die Kinder mussten dort ruhen“.

Nach Bleidenstadt kamen 1928 drei katholische Schwestern (Franziskanerinnen). Auch sie müssen wohl sehr streng gewesen sein. „Ich hatte Angst vor ihnen.“ (ZZ 8 bis 1931) Dort, wo sich jetzt das Pfarrbüro befindet, waren das Schwesternhaus und der Kindergarten. (ZZ 4 bis 1928). Im Schwesternhaus waren auch zwei öffentliche Bäder. Dort konnte man samstags für 50 Pfennige baden. (ZZ 4) eine Nähschule für junge Frauen gab es ebenfalls. Der Wehener Kindergarten befand sich in einem Teil des alten Rathauses an der Aarstraße, der in den 50er Jahren abgerissen wurde. Rosel Christmann und eine Tante Inge waren Kindergärtnerinnen. Auch Helga Presber half dort. Die Kinder hatten sogar ein Karussell. (ZZ 19; 1936-38) In diesem Gebäude wurden auch das 1. und 2. Schuljahr unterrichtet.

Zwei ZZ aus Neuhof (ZZ 2 und ZZ 6) sagen, dass es vor und im Krieg keinen Kindergarten gab. „Wohl erst in den 50er Jahren.“ (ZZ 6) Anm.: Aushang an der Alten Schule: „Im Zweiten Weltkrieg hier Kindergarten“. In Orlen gab es lt. ZZ 14 auch im „Dritten Reich“ einen Kindergarten.

2. Schulzeit ab 1926 

Hahn: Lehrer war die Herren Lehr, Bruggeier, Adam, Minor, Carl, Posenenske, Kratzeller, Zech und „Fräulein“ Kunert. Die Mädchen mussten Ärmelschoner und Schürzen tragen. (ZZ 1; 1926-34) Im alten Schulhaus in der Scheidertalstraße war auch das Bürgermeisteramt untergebracht. Es gab auch Empfehlungen für eine weitergehende Schule in Wiesbaden, die aber an den Eltern scheiterten. (ZZ 1) Ab 1939 unterrichtete Herr Adam. „...ein Nazi, aber ein guter Lehrer. Wir haben viel gelernt bei ihm.“ (ZZ 5; 1931-39)

Wurden die Kinder abends nach 20 Uhr noch von ihrem Lehrer Carl, er war Rektor, auf der Straße gesehen, mussten sie morgens in der Schule antreten und bekamen Stockschläge auf die Hände.

Lehrer Posenenske war Heimatvertriebener und ein sehr guter Lehrer. (ZZ 20; 1938-46) Meist waren zwei Jahrgänge in einer Klasse. „Einzelne Lehrer waren sehr streng, oft wurden wir auch geschlagen. Aber wir haben was gelernt.“ (ZZ 33; 1940-48) „Lehrer Zech war später der Organisator des Sportplatzbaus 1952/53 in Hahn. Ein ganz feiner Mann.“ (ZZ 5)

Neuhof: Lehrer waren die Herren Klamp, Pfeifer, Müller und Kilian. Die Schule bestand aus den Klassen 1 – 4 und 5 – 8. Sie befand sich an der Kirche. Durchschnittlich waren 10 – 12 Kinder in jedem Jahrgang, aber es gab auch Jahrgänge mit 18 bis 19 Schülern. Pro Klasse waren dies dann 30 bis 40 Schülerinnen und Schüler. Die Kinder, die in der Siedlung Platte („Neu-Dotzem“) wohnten, liefen täglich bei Wind und Wetter zur Schule. Einzelne Schülerinnen trugen während ihrer „Dienstzeit“ BdM-Uniformen, worüber die Angehörigen nicht in allen Fällen begeistert waren, aber dem Drängen der Kinder nachgegeben hatten. Schon mit 11 Jahren trugen sie 1936 eine Uniform als Jungmädel. (ZZ 6;1931-39) Die Lehrer waren streng, bis auf Herrn Klamp. Aber auch bei ihm gab es mit dem Stöckchen auf die Finger. (ZZ 2; 1928-36)

So hatten die Kinder Angst vor ihren Lehrern. Ärgerte sich jemand in Neuhof über ein Kind, ging er in die Schule, um sich beim Lehrer zu beschweren. Dann bekamen sie umgehend Schläge. (ZZ 2) Auf Schiefertafeln wurde geschrieben, bis 1941 in Sütterlinschrift.

An den Tafeln hingen an einer Kordel Schwamm und Lappen für Nass und Trocken. Griffel waren in Holzkästen mit einem Schiebedeckel untergebracht. Einmalig an der oberen Aar war, dass Lehrer Klamp mit der Klasse vierstimmige Lieder einübte und Mandolinen und Gitarren für die Kinder kaufte. Er und seine Frau erteilten auch kostenlosen Gitarrenunterricht. Alle Kinder konnten damals Noten lesen. Als der Schulrat kam, mussten die Lehrer etwas Zeigen können. Die Kinder spielten mit Mandolinen und Gitarren den „Hoch- und Deutschmeistermarsch“ vor. Der Schulrat war sprachlos. „Wildgänse rauschten durch die Nacht“ gehörte auch zum Repertoire der Schülerinnen und Schüler. Von diesem Unterricht profitieren die Neuhofer Sängerinnen noch heute. Zu Weihnachten bastelten die Schülerinnen und Schüler für die Kinder von gefallenen Soldaten. Laubsägearbeiten waren bei den Buben besonders beliebt. (ZZ 6) „Die Lehrer waren zwar politisch organisiert, aber keine Politiker.“ (ZZ 7)

In die Kirche ging nicht jeder. „Das war für die „Organisierten“ schon schwierig.“ (ZZ 6)

Bleidenstadt: Bis zum 4. Schuljahr wurden die Kinder im Gebäude der späteren Post an der Aarstraße unterrichtet. Die „Oberstufe“ 5 - 8 wurde dann im Gebäude des späteren Rathauses geschult. Dieses war 1875 gebaut worden. 1909 und 1914 wurde es erweitert. (ZZ 24; 1939-43) Lehrer waren die Herren Hummer, Kopp und Pfeifer. Letzterer bewohnte die dortige Lehrerwohnung. Mehrere Jahrgänge wurden gemeinsam unterrichtet. Die Mädchen trugen „im Normalfall“ während der ganzen Schulzeit Schürzen. Wer ein Kleid trug, erregte das Missfallen seiner Mitschülerinnen. (ZZ 8; 1931-39) Dann kam ein Nationalsozialist als Lehrer an die Schule. Er befragte die Kinder zunächst, ob sie im BdM oder in der HJ seien. Wer nicht, der musste aufstehen. Über 14 Tage bekamen sie dann Schläge mit dem Stock auf den Rücken. (ZZ 49) Jeden Morgen wurde die Befragung fortgesetzt. Mehr Buben als Mädchen waren organisiert, katholische Buben und Mädchen wiederum deutlich weniger als evangelische. Oft konnten die Eltern auch das Geld für die Uniformen nicht aufbringen oder wollten dies aus Prinzip nicht. Ihr Vater: „Das fangen wir erst gar nicht an“. (ZZ 4; 1928-36) Wer von den Kindern wollte, konnte einem „Marienverein“ beitreten. Dieser war von Schwester Wilhelmina gegründet worden.

ZZ 24 besuchte bereits ab 1943 die Mittelschule in Bad Schwalbach. Um 7.30h verließ der Zug den Bahnhof. Ab 1944 führte er einen Güterwagen von Bahnhof Eiserne Hand bis Bad Schwalbach mit einem Flak-Geschütz mit sich. ZZ 20 erlebte mehrfach Luftangriffe auf den Zug, mit dem er von Hahn aus zur Schule nach Bad Schwalbach fuhr. Wegen der schlechten Zugverbindung liefen die Kinder oft zu Fuß nach Hause zurück. Bei Fliegeralarm in Bad Schwalbach mussten die Schüler dann in den Keller der „Backsteinschule“, den Luftschutzbunker in der Bahnhofstraße oder aber in einen Stollen (Bierkeller der Fa. Eierle) gegenüber dem Bahnhof fliehen.

An ruhigen Tagen durften die Schüler, wenn der Kutscher es erlaubte, auf dem Trittbrett einer Kutsche zum Bahnhof mitfahren.

Wehen: Lehrer war ab dem 3. Schuljahr Herr Röder, Weißbinder und Nationalsozialist. Er schikanierte seine Schüler. (ZZ 26; 1939-47) Wenn er seine Schüler bestrafen wollte, schickte er sie in seinen Garten am Halberg, um dort zu arbeiten. Im 6. Schuljahr war dann Herr Schneider sein Lehrer.

Von März bis August 1945 fand zunächst keine Schule statt. Kurzzeitig unterrichtete Herr Stoll aus Wiesbaden. „Opa Stoll“ sagten die Kinder zu ihm, weil er ein pensionierter Lehrer war. Er unterrichtete das 6. bis 8. Schuljahr, „...kam aber mit den Kindern nicht zurecht.“ Sein Nachfolger war Herr Schauß aus Orlen. Lehrerin des ZZ 26 war „Fräulein“ Herr. „Es gab eine gute Erziehung und da ist was gelernt worden.“ Aber auch Schläge gab es für die Schulkinder immer wieder. „Das hat damals kein Kind zu Hause erzählt.“

Die Schülerinnen und Schüler mussten auch Beerenblätter sammeln, die auf dem Schulspeicher getrocknet und später als Arznei verarbeitet wurden. Kartoffelkäfer waren abzulesen und auch Flugblätter mit feindlicher Propaganda mussten eingesammelt werden. Dann fiel die Schule jeweils aus. „Von meinen acht Schuljahren habe ich noch keine sieben richtig gehabt. Trotz allem kein schlechter Unterrichtserfolg im Rückblick.“ Zahlreiche Fliegeralarme störten die Schulzeit. Dann klopfte der Bürgermeister an die Klassenraumtür und gab bekannt: „Feindliche Flugzeuge haben soeben bei Koblenz den Rhein überflogen.“ (ZZ 19; 1939-47) Die Kinder „stoben dann in allen Richtungen auseinander.“ Meist flohen sich nach Hause. Wenn sie dieses nicht rechtzeitig erreichen konnten, dann versteckten sich in Kellern auf dem Weg, falls noch Zeit war. Einmal detonierte eine Luftmine in der Nähe der evangelischen Kirche. „Wir lagen alle im Dreck“. (ZZ 19) Manchmal ging es auch in den Luftschutzkeller am Fuß des Halbergs (Bergstraße). Abends kontrollierten die Lehrer, dass kein Kind nach Einbruch der Dunkelheit noch draußen war.




Schultafeln gab es für die Kinder nicht in allen Fällen (ZZ 34; 1-44-52) Man behalf sich. Ihr Großvater schliff ihr ein Stück Schiefer zurecht. Als dann Leute aus Wiesbaden zum „Schrotteln“ kamen, bekam sie endlich auch eine richtige Tafel.

Nach dem Krieg durften die bisherigen Lehrer nicht mehr unterrichten, weil sie in der Partei gewesen waren (ZZ 26). Schulspeisung wurde eingeführt. Dazu wurden die Kinder in der Schule gewogen. Aber der Lehrer, Hr. Großmann, „...hatte die Klasse nicht im Griff. Er war zu alt für die Kinder.“ Zwei Buben gingen zur Schule nach Bad Schwalbach, Mädchen gar keine. „War eben die Zeit nicht.“ (ZZ 34)

Orlen: Als Junge war man in Orlen in der Hitlerjugend. (Z 11; 1933-41)
Alle waren dabei. Sicher“. Das „Dritte Reich“ war in den Köpfen der Orlener sehr präsent. Als Schüler trug man eine Jungvolkuniform. „Wir hatten schöne Jungmädeluniformen mit Knoten, Schal. Ich war ganz begeistert.“ 56 Kinder waren in einer Klasse. Der Lehrer war im Nebenberuf Schreiner. Eine Hobelbank stand für den Werkunterricht im Klassenraum.

Er war NSDAP-Ortsgruppenleiter. „Er hat fürchterlich geschlagen. Immer wieder hat er einen behinderten Mitschüler fürchterlich verprügelt.“ (ZZ 21) Auch schwächere Schülerinnen wurden mit einem Stock geschlagen. Wenn die Schüler morgens in die Schule kamen, hieß es „Aufstehen! Heil Hitler!“ Dann kam der Morgenspruch: z.B. „Wo der deutsche Soldat steht, kommt kein anderer hin. Jawoll. Setzen.“ Im Sommer gab es Sportunterricht auf dem Sportplatz am Hambacher Weg. Auch sonst waren „wir Kinder dauernd unterwegs. Wir hatten einen Wagner, der uns aus Kirschbaumholz Skier geschnitten hat. Der Schuster machte Schuhe, aus Leder mit Nägeln auf den Sohlen, dafür ließen die Großeltern Schweinshäute für eine Gerberei in Idstein dort. Der Schmied Kilian fertigte Bleche an. Das Ganze wurde mit Strohkordel verschnürt. Mit Kerzen („Stearin“) wurde gewachst.

In der Schule wurden viel aus dem „Liederkönig“ und Soldatenlieder gesungen. „Ich kenne alle Hitlerlieder und alle Lieder, die auch die Soldaten sangen.“ (ZZ 21) Dazu gab es drei Heftchen. Daraus kann man alle Lieder „Die waren auch sehr begeisternd, weil der Rhythmus so schön war.“ Handarbeit hatten die Kinder bei einer Frau Alexi. Naturkunde wurde ebenso unterrichtet wie Geschichte. Die Orte der Schlachten, auch Niederlagen, wurden an einer Karte verfolgt. Letztere erregten dann jeweils den Zorn der Kinder: Auch Erdkunde wurde erteilt: Eine Weltkarte hatten sie auch. Daran wurde die Lage von Ländern geübt. Länder wurden von Schülern genannt und ein Mitschüler musste sie an der Karte zeigen. Selbst Afghanistan wurde aufgerufen. Manche Kinder hatten zu Hause eine Weltkarte und übten dort für die Schule. Auch die Gemarkungen des Ortes waren bekannt. „Jeder wusste, was wo war.“

Gerne wären einzelne Schülerinnen und Schüler in eine weiterführende Schule gegangen. „Dafür gab es aber keine Gelegenheit.“ Statt Konfirmation fanden Jugendweihen in der Gaststätte Witt statt. In jedem Haus musste „die Hakenkreuzfahne sein“. Wer sich da nicht leisten konnte, dem wurde die Fahne bezahlt. 1945 „haute Herr Fay mit seiner Familie ab.“ Vorher aber „verteilte er in Orlen Zigarren von Haus zu Haus, um sich lieb Kind zu machen.“ (ZZ 11) Es kam zunächst Herr Fink wieder, den die Orlener Nationalsozialisten mit Schimpf und Schande verjagt hatten.“ Seit 1937 hatte er dort unterrichtet. Mit ihm wurden nun meistens nur Kirchenlieder gesungen. „War sehr schön, weil man dann in der Kirche mitsingen konnte.“ Der Konfirmandenunterricht fand, zusammen mit den Neuhofern, in Wehen statt. Den besuchten alle Orlener jungen Leute. Katholiken gab es im Dorf keine.

Seitzenhahn: Bis 1928/29 war die Schule in der Eltviller Straße. Sie wurde durch einen Neubau ersetzt. Annähernd 40 Kinder besuchten sie. Diese wurden in einer einzigen Klasse unterrichtet. Die älteren Jahrgänge halfen den Kindern im 1. und 2. Schuljahr.

Der Lehrer ab 1940 Herr Thiedemann, war sehr streng und Nationalsozialist. „Ein Westerwälder Bauer. Tüchtig war er. Er legte die Mädchen über die Bank. Dann gab es mit dem Stock.“ Die Buben mussten diese Stöcke aus dem Wald holen. Zwei Tage hielten sie dann aus.

„Der wusste alles. Ein guter Lehrer. Er war nur zu streng. Die Kinder hatten Angst davor, etwas Falsches zu sagen. Es war furchtbar.“ (ZZ 12; 1934-42) Ab 1941 waren nur noch etwa 28 Kinder in der Schule. (ZZ 29; 1941-49) Es gab damals keine Hefte, sondern kleine Schiefertafeln waren angesagt, die in Tafelschonern steckten. Die Kinder hatten Angst, zu Schule zu gehen. „Der ekelhafte Lehrer hat die Kinder verhauen.“ Zwar galten die Schläge nicht ihr selbst, ab sie musste es mit ansehen. Heilkräuter mussten sie für ihn sammeln (Brennnesseln, Hagebutten, Schafsgarbe und Johanneskraut). Sie wurden getrocknet und dann abgeholt. Beim Sammeln mussten manchmal auch die Eltern mithelfen, da ein Kontingent zu erfüllen war. Sonst drohten wieder Schläge. Sehr zu ihrem Leidwesen  wurden aber getrocknete Brennnesseln auch von den Vätern gebraucht. Das fehlte den Kindern aber nachher zu ihren Nachteil. Ein Schüler, der spätere Ehemann von ZZ 29, musste sich wegen der Schläge sogar in Bad Schwalbach im Gesundheitsamt vorstellen. Einmal war der Lehrer so in Rage geraten, das er einen Schlüsselbund an die Tafel warf, die daraufhin zerbarst. Dafür stellte ihn der Großvater von ZZ zur Rede. Sie selbst besuchte dann zusammen mit drei weiteren Schulkameraden ab 1949 die Mittelschule in Bad Schwalbach um festzustellen, dass sie für den Besuch dieser Schule „...super vorbereitet war, obwohl der Lehrer fürchterlich war.“ Zu Fuß mussten sie nach Bleidenstadt zum Bahnhof laufen.

Im Winter schob die Bevölkerung einen Pfad dorthin. Oft genug gab es kein Heizmaterial in der Mittelschule, weswegen sich die Kinder dann nur die Hausaufgabe für eine Woche abholten.

Watzhahn: Die Watzhahner Kinder gingen bis 1949 in Born zur Schule. (ZZ 16) „wenn morgens im „Wecker“ Kampfflugzeuge im Angriff auf Deutschland angekündigt wurden, dann schickte der Lehrer die Kinder ohne Hausaufgaben nach Hause. Wir kamen saudumm aus der Schule raus. Wichtiges für das Leben mussten wir uns selbst aneignen.“ (ZZ 16;1937-45) Der Lehrer, Herr Kircher, war Kreispropagandaleiter der NSDAP. Dass es nach dem Krieg keine Jugendweihe mehr gab, wurde von vielen Jugendlichen bedauert.

Niederlibbach: Das Schulhaus befand sich im jetzigen Dorfgemeinschaftshaus. Hier gab es eine einklassige Volksschule. (ZZ 30; 1942-50) Lehrer waren die Herren Witt, Reith, Rost und Domke. Anm.: der spätere Busunternehmer. Auch hier halfen die älteren Schülerinnen und Schüler den Jüngeren (ZZ 20/23 1946-48). Die ZZ 36 aus Hambach erinnert sich noch an den Lehrer Müller in Niederlibbach, der zum Kriegsdienst eingezogen wurde. „Ein stolzer Mann und kein Parteimitglied.“ Er fiel im Krieg. Der Konfirmandenunterricht fand bei Pfarrer Adolf in Strinz-Margarethä statt.

Wingsbach: Die alte Schule war 1844 gebaut worden. Bänke daraus stehen heute als einzige im Museum in Wehen (ZZ 11; 1933-41 in Orlen). Im Gegensatz zu Orlen sei, wie ihm seine spätere Ehefrau, die Tochter des Wingsbacher Bürgermeisters, schilderte, „das Schulsystem in Wingsbach grundverschieden“ gewesen. Sie hätten ausnahmslos gute Lehrer gehabt. Lehrer bis 1937 war Herr Mons. Dann kam Henrici bis nach dem Krieg. (ZZ 35) 17 Schülerinnen und Schüler aus 8 Jahrgängen waren in einer Klasse. Täglich liefen sie im Sommer nach Hahn ins Schwimmbad. Dort erteilte ihnen Lehrer Henrici Schwimmunterricht. „Er war ein strenger Lehrmeister, aber wir konnten, im Gegensatz zu den Orlenern, alle schwimmen.“ Morgens mussten sie ihren Lehrer stets mit dem Hitlergruß begrüßen. Aber Uniformen trugen wir keine.“ (ZZ 36)

Hambach: Die alte Schule war 1912 zusammengebrochen, weil sie aus „Tuffsteinen“ gebaut worden war. Die ZZ wurde 1936 hier eingeschult. Alle 17 Kinder aus 8 Jahrgängen wurden in einer einzigen Klasse unterrichtet. Der Lehrer war Adolf Schmitt aus Wiesbaden. „Er war zwar ein Nazi, aber keiner wie in Orlen. Es war ein himmlischer Unterricht.“ Sie mussten keine Jungvolkuniformen tragen, wenn auch ihre drei Jahre ältere Schwester dies durchaus tat, „...mit Weberknoten und so.“ Als Lehrer Müller in Niederlibbach zum Kriegsdienst eingezogen wurde, gingen die Hambacher Schülerinnen und Schüler zusammen mit ihrem Lehrer Schmitt und den Schülerinnen und Schülern aus Oberlibbach in Niederlibbach zur Schule. Sie waren dann 70 Kinder in einer Klasse. Sie liefen oder fuhren mit dem Rad. Die Konfirmandenstunden fanden ebenfalls in Strinz-Margarethä statt.

3. Von der Wiege bis zur Bahre

Hebamme in Wehen war Frau Greiner und in Bleidenstadt Schwester Barbara. Nach ihr wurde später eine Straße unterhalb des Bahnhofs benannt. (ZZ 12) In Neuhof praktizierte Frau Deuser „Amme Minchen“. „Sie konnte alles. Sie fuhr mit dem Fahrrad bis nach Orlen und Eschenhahn, um bei Hausgeburten zu helfen.“ (ZZ 7) Zwar war die Säuglingssterblichkeit hoch, es gab aber durchaus auch Familien mit 9 Kindern.“ (ZZ 2)
Nach Seitzenhahn kamen bis Anfang der fünfziger Jahre ein Geburtshelfer aus Born, Herr Hofmann, und eine Hebamme aus Bad Schwalbach, Frau Kulik. (ZZ 12)
In Niederlibbach war Frau Schäfer als Hebamme tätig. Sie wirkte auch in Hambach. Mehrere Gemeindeschwestern versahen darüber hinaus ihren segensreichen Dienst. In Hahn z.B. war die eine Diakonisse, Schwester Minna. „Niemand ging wegen einer Krankheit ins Krankenhaus. Kranke blieben zu Hause. Auch Geburten fanden fast alle zu Hause statt“ erinnert sich. (ZZ 7) Für die Gemeindeschwester in Neuhof zahlte jede Familie monatlich einen Beitrag von zwei oder drei Mark an den örtlichen Schwesternverein. Die Schwestern machten täglich ihre Runden und behandelten vormittags und abends nach ärztlicher Verordnung. „Sie maßen Fieber und machten Wadenwickel.“

3.1 So spielten und vergnügten sich die Kinder

Gerne vergnügte man sich: im Winter liefen die Kinder sogar auf den Straßen Schlittschuh. „Oft war das Aartal von der Brücke in Bleidenstadt bis nach Hahn eine einzige Eisfläche. Die Schuster mussten immer wieder Absätze ankleben. Besondere Schuhe dafür gab es ja nicht. Mit einem „Dudelche“ wurden die Schlittschuhe an die Absätze angeschraubt.“ Mit dem Schlitten rodelten sie von der Eisernen Hand bis zur alten Hahner Schule. (ZZ 20) Lenkbare Bobschlitten und Kastenschlitten hatten sich die Buben selbst gebaut. (ZZ 5/35) Viele Bauern hatten auch Pferdeschlitten, zur Personenbeförderung auch mit Decken und wärmenden Backsteinen. (ZZ 34/35) Auch Ski lief man nach dem Krieg gerne mit alten Wehrmachtsskiern. „Wir waren immer draußen und das im Strickzeug.“ (ZZ 20) Selbstgebaute Ski waren häufig anzutreffen. „Im Kessel mit heißem Wasser wurden bei Herrn Kaiser die Bretter von ca. 1,20 m gekocht und etwas gebogen. Schuhe oder Riemchen wurden draufgenagelt.“ (ZZ 35) Wochenlang lag der Schnee auf den Straßen. „Im Winter 1946/47 waren in Wehen alle Wasserleitungen eingefroren. Vorausgegangen war 1946 eine Hitzewelle, bei der die Bauern ihr Vieh in den Wald treiben mussten.“ (ZZ 26) Im Sommer waren Rollschuhe, ohne Gummibänder, bei den Kindern beliebt. Das Hahner Schwimmbad war der Anziehungspunkt im Sommer, wenn auch Wehener Kinder oft in der „Rübenwäsche“ im Sonnental schwammen, denn Fahrräder hatten die wenigsten von ihnen. „Sie hatten immer frisches Wasser. Erst mit der Schule ging es ins Hahner Schwimmbad.“ (ZZ 34) Die örtlichen Schreiner stellten Stelzen her, auf denen die Kinder durch die Straßen liefen.

Und Klickerspielen war angesagt. Dazu wurden in die Bürgersteige kleine Löcher gekratzt. „Hickeln“ und Seilhüpfen waren ebenfalls beliebte Spiele für Kinder und Jugendliche. Vor dem Krieg spielten die Wingsbacher Kinder gerne in der Dreschhalle im Backes. Daneben befand sich der leer stehende Kuhstall des Lehrers. Dort war auch das Holzlager für den Werkunterricht. „Schibbelrad“ nannten die Kinder es, wenn sie dort eine Radfelge mit einem Stock vor sich hertrieben. (ZZ 35)

Zu Hause wurde oft „Mensch ärger Dich nicht“ gespielt. (ZZ 36) Auch Schach stand hoch im Kurs. (ZZ 20)  ZZ 21 aus Orlen weiß noch um ff. Spiele: „Landabstecken mit Pfeilen: Jeder hat ein Land markiert und erklärte nun den Krieg gegen ein anderes Land. In dieses Land warf man seinen Pfeil und machte einen Strich. So wurde Deutschland immer größer. Russland haben wir bis zum Ural besiegt. Und „Brettball“ mit kleinen Tennisbällen: Mit zwei Bällen machte man dann die 8er oder „10er Probe“ an die Wand, mit Kopf, Arm, Kreuz usw., Fäden abheben zwischen den Fingern, Völkerball und Versteck spielen waren auch sehr beliebt. Im ganzen Dorf hat man sich versteckt, auch in Häusern, Kellern und Ställen. Keiner hat sich daran gestört.“

3.2 ...und so die Erwachsenen

Tanzveranstaltungen der Vereine fanden im Saal des „Taunus“ statt. Aber auch auf der Hahner Kerb wurde schon 1937 getanzt. Nach dem Krieg waren es insbesondere Fastnacht, Kerb und Silvester, die bald wieder gefeiert wurden.

Die Hahner Silvesterfeiern waren auch im Umkreis beliebt. Immer wieder zog es die Bleidenstädter dorthin. (ZZ 24) Wer jünger als 18 Jahre war, musste um 22.00 Uhr nach Hause. „Dies wurde streng kontrolliert.“ (ZZ 20) In Bleidenstadt wurde Kerb auf dem Festplatz Richtung Hahn gefeiert. „Ganz früher im Dorf“ (ZZ 8) Nach der Kerb ging man nachts noch mal mit Freunden zum Kuchenessen und Kaffeetrinken nach Hause. Ostern, Pfingsten und an der Kerb wurde Kuchen gebacken. „Dann kam die Verwandtschaft, auch die, die fort geheiratet hatten.“ (ZZ 2) „Kerb hatten wir eigentlich nie in Watzhahn“ erzählt (ZZ 16). Zu den Maskenbällen liefen die jungen Leute bis nach Lindschied. „Aber ein Feuerwehrfest gab es schon ganz früh hier. Watzhahn war irgendwie fortschrittlich. Rundherum war alles noch mehr am Schlafen. Auf der Wiese war eine Tanzfläche und nebenan eine Schiffschaukel.“ Auch Erntedankfeste feierten die Watzhahner. Sie fuhren dann mit großen Wagen bis nach Bad Schwalbach. Die Wingsbacher Kerb wurde schon ab 1946 mit Kerbezug und Pferdekutsche gefeiert. (ZZ 35) Noch 1938 fand in Wehen die Kerb statt. Ab 1947 im Deutschen Haus und ab 1948 wieder in der Krone, erinnert sich (ZZ 26). „Die Kern in Seitzenhahn begann 1947 schon wieder“ betont    (ZZ 12). „Es gab immer einen Umzug. Die Kerben, z.B. in Hettenhain, wurden gemeinsam besucht.“ (ZZ 29) In das Jahr 1947 datiert (ZZ 12) auch den Gesangverein.

In Niederlibbach fand die Kerb ab 1948 bei Kimbels statt. (ZZ 21) erinnert sich noch an die erste Kerb 1947 mit Umzug in Orlen nach dem Krieg. Karl Schneider war der „Kerbepräsident mit einer Schärpe um.“ In der Gemeindehalle wurde die Kerb jeweils eröffnet.

Auf der „Bleischter Fassnacht“ sah man bis zu einhundert Masken im Saal Conradi. „Beim Feiern hatten wir Nachholbedarf.“ (ZZ 8) „Die Leute waren wild aufs Feiern. Später wurde Fastnacht im Saal Müller gefeiert.“ (ZZ 24) Die Wehener Fastnacht war bekannt für ihre Maskenbälle im Deutschen Haus und bei Großmann ab 1946 und später auch in der Krone. In Seitenhahn gab es Masken- und Lumpenbälle „schon früh“. „Die Kriegsteilnehmer haben sich so richtig ausgetobt.“ (ZZ 12) In Niederlibbach gab es eine Clique von überwiegend jungen Leuten, die nach dem Krieg zum Tanzen nach Kesselbach, Orlen und Steckenroth lief. „Auch Ältere waren dabei, die aus dem Krieg zurückgekommen waren. Wer sich nicht gut benahm, durfte nicht mehr mit. Man war immer in Gesellschaft.“ Auch den „Heiratsmarkt“ in der Hühnerkirche besuchten die ZZ 22/23. „War nichts Besonderes: Da stand man rum.“ Die Kerben „rundum“ wurden ebenfalls besucht. Zu Fuß liefen sie nach Breithardt, manchmal barfuß zurück. Und Markenbälle und das Feuerwehrfest wurden gefeiert. „Nach dem Krieg waren die Leute wie ausgehungert.“ Die Orlener Fastnacht „wurde toll gefeiert. 70 Masken waren dann anwesend.“ (ZZ 14) In Neuhof wurden Kerb und Fastnacht im Saalbau Schrank gefeiert. Nach der Kerb ging es oft in den Nassauer Hof. (ZZ 6) Auch dieser hatte einen Saal. Eigentümer war der Großvater der ZZ 2. Die Hühnerkirche wird zwar mehrfach als „Heiratsmarkt“ bezeichnet, getanzt wurde dort jedoch aus Platzmangel nicht.

Laientheater mit Schauspielern aus den Vereinen „waren ein Erlebnis für die Bevölkerung“. (ZZ 20) In Bleidenstadt fanden diese z.B. vom Gesangverein im Saal Conradi statt. (ZZ 8) In Niederlibbach gab es jedes Jahr zur Weihnachtszeit Aufführungen. Auch lustige Stücke wurden gegeben, wie z.B. der „Meineidbauer“. Die ZZ 22, 23 und 30 zitieren noch heute daraus. Beim Laientheater in Orlen vor Weihnachten mussten bis zu 600 Personen untergebracht werden. Dazu brachten die Leute Stühle von zu Hause mit, und die Kirchenbänke wurden ausgeräumt. „Es war eine tolle Kulisse. Die Halle ist 1928 gebaut worden und war die modernste im ganzen Untertaunuskreis. Es war die einzige weit und breit.“ (ZZ 14)

Das Kino in Bleidenstadt gab es erst ab 1951/52. „Ein Herr Wiegand aus Biebrich führte die Filme im Saal Conradi vor“. (ZZ 24) Auch in Wehen gab es „nach dem Krieg“ ein Kino in der „Krone“, bei Ilse Makowka. Im Krieg gingen sie in Oberlibbach zum „Alfredche“ zu Filmvorführungen. Ein Filmdienst kam damals regelmäßig in verschiedene Orte. ZZ 11/36 Als dann das erste Fernsehgerät nach Wingsbach kam, saßen die Leute auf der Treppe, „um zu lauschen“. (ZZ 11)

Eine ganz besondere Feier hat ZZ 15 aus Watzhahn in Erinnerung: „Als 1949 das Spritzenhaus zusammen mit der Schule eingeweiht wurde, ist sogar eine Schiffschaukel aufgestellt worden.“

Hochzeiten waren auch immer ein Grund zum Feiern. Einen Protestanten zu heiraten, war für Katholiken auch nach dem Krieg problematisch. „Das war schlimm. Es war gar nicht so einfach damals. Man heiratete dann katholisch, um den Kirchenausschluss zu vermeiden.“ (ZZ 19)

Und ein reges Vereinsleben ist schon früh zu verzeichnen: Zwei Gesangvereine gab es in Bleidenstadt: den „Club“ und den „Gesangverein“. Daraus wurde später die „Sängervereinigung Bleidenstadt“. (ZZ 8) In Wehen gab es vor und im Krieg sogar vier Gesangvereine: „Quartett“ von SA/SS, „Liederkranz“, „Teutonia“ von Landwirten und Gewerbetreibenden und seit 1922 den „Arbeitergesangverein“. 1949 wurden diese im MGV neu gegründet. ZZ 26 war Gründungsmitglied. Erster Vorsitzender war Bürgermeister Blum. „Die beiden ersten Jahre waren schwer, weil die alten Fronten wieder aufbrachen.“ Erst in den sechziger Jahren sei der alte Zwist durch den vermehrten Zugang von jungen Sängern überwunden gewesen. Die Wingsbacher gründeten sowohl ihren Gesangverein als auch den Turnverein schon 1913. Die Turner bauten dann 1922 eine Turnhalle. „Damals hatte Wingsbach 200 Einwohner und es geschah alles in Eigenhilfe.“ (ZZ 11) Einen Gesangverein gab es auch in Hambach. „Der Verein ist wohl im Krieg eingeschlafen.“ (ZZ 36)

1946 kam es zur Neugründung der Feuerwehr in Bleidenstadt. „Vorher gab es ja das Versammlungsverbot.“ (ZZ 24) „Und einen Sportverein gab es wieder“. (ZZ 8)

1953 entstand in Seitzenhahn der Reitverein zusammen mit dem Sportverein. Später trennten sich.“ (ZZ 12)

1934 sind die Feuerwehren in Hambach (lt. ZZ 36) und Watzhahn (lt. ZZ 16) gegründet worden. An der Stelle des alten Backhauses in Watzhahn wurde dann 1949 „in viel Eigenleistung“ das Feuerwehrgerätehaus im Erdgeschoss der Schule gebaut. „Watzhahn war durch ein hohes Waldaufkommen gut situiert.“ In Niederlibbach gab es die Feuerwehr und den Gesangverein wieder ab 1948. (lt. ZZ 30)

ZZ 5 aus Hahn erinnert sich, dass seit 1930 in der Turnhalle an der Jahnstraße geturnt wurde. Davor turnte man über lange Jahre im Saal des „Taunus“.

Eine aktive Handballmannschaft der Damen gab es vor dem Krieg in Bleidenstadt. (ZZ 8) Als diese aber mit ihrem Trainer, Herrn Zorn, gegen die Hahner Damen verloren („das war schlimm damals“), sahen sie nur noch die Möglichkeit, den Hahner Trainer abzuwerben. 1946 heiratete er die Zeitzeugin. (Anm: Es war der spätere Bürgermeister von Bleidenstadt und Taunusstein, Arthur Fuhr).

Nach einer Auflage der Amerikaner durfte nur noch ein einziger Sport treibender Verein im Dorf bestehen. „Der TuS war der einzige Verein weit und breit, der eine Fußballabteilung hatte, außer Bad Schwalbach und Idstein. In unserer Mannschaft spielten auch Bleidenstädter und Wehener Fußballer.“ (ZZ 5) Sie spielten Fußball in der Turnhalle, was den Turnern „ein Dorn im Auge“ war. „Das Türschloss wurde geändert, obwohl die Fußballer bei allen Arbeiten in der Hallte aktiver waren.“ So war es auch nachher beim Sportplatzbau: „Da half niemand vom Turnverein mit.“ In Neuhof waren früh Kunstradfahren und Geräteturnen beliebt. (ZZ 7)

Die Neuhofer Turner waren sehr bekannt.“ (ZZ 6) Ein über die Region hinaus bekannter Turner war der spätere Bürgermeister Alfred Gros. Er fuhr Neuhofer Jugendliche nach dem Krieg mit Traktor und Hänger zu den Sportfesten im großen Umkreis. Wo sie oft Erstplatzierungen erreichten. Der Turnverein war nämlich auch in der Leichtathletik aktiv. Es kamen auch in Neuhof Spikes auf. Das traurige Ende von Herrn Gros ist allen Neuhofer Zeitzeuginnen in Erinnerung: „...durch Verleumdung quasi in den Tod getrieben. Eine ganz schlimme Sache.“ (ZZ 6) In Orlen wurde 1949 der Sportverein gegründet. „Zuerst spielte man auf einem Acker. Dann folgte der Sportplatzbau am Limes, was heute sicher nicht mehr möglich wäre.“

ZZ 14 war Gründungsmitglied und fuhr mit zwei Pferden Holz von dort ab.

3.3 Wie kam man von A nach B?

Der Schwiegervater des ZZ 13 lief täglich zu Fuß von Hambach nach Wiesbaden zur Arbeit und zurück. Oft waren die Milchautos das Verkehrsmittel, um nach Wehen zum Arzt oder nach Hahn zum Bahnhof zu kommen. In Hambach war es der „Seppl von Dotzem“. Er bekam dafür z.B. ein paar Eier. Busse fuhren auch schon vor dem Krieg auf der Hühnerstraße. Aber wenn man da hin kam und er war besetzt, hatte man Pech. Dann konnte man wieder heimgehen.

Wer nach dem Krieg allerdings eine Monatskarte für den Bus hatte, der wurde mitgenommen. „Die waren fein raus.“ Das erste Auto vor dem Krieg in Hambach war das Milchauto, „ein Lastauto“, von Hermann Brühl. (ZZ 36) Meist war man auf ein Fahrrad angewiesen. Die Berufspendler, die nicht aus Hahn kamen, stellten dazu ihre Räder oft bei den Hahner Bauern oder den Anwohnern rund um den Bahnhof Hahn-Wehen ab und fuhren mit dem Zug weiter. In einigen Fällen mussten sie fürs Unterstellen auch bezahlen. ZZ 11 erinnert sich daran, dass die Scheidertalstraße in Wingsbach erst 1903 befestigt wurde. „Im Ort war sie gepflastert. Vorher war sie ein Feldweg.“ Vor dem Krieg fuhr der Vater der ZZ 1 einen amerikanischen Chrysler und nach dem Krieg einen teuren Opel Olympia. Weil er NSDAP-Mitglied war und angezeigt wurde, tauschte man ihn in einen billigeren „alten P 4“ um. In Wingsbach gab es vor dem Krieg mindestens zwei Autos, eines von Bäcker Lederer und das andere von Lehrer Mons. Das erste Auto in Orlen gehörte Karl Schmidt. Es fuhr als Taxi. In Wehen hatten nach dem Krieg die Brotfabrik Herdling, Dr. Lampe, der Viehhändler Crecelius und evtl. Herr Döringer ein Auto. „Das war´s.“ (ZZ 26) Abends fuhr auch bereits vor dem Krieg ein Bus von Kirberg über Neuhof nach Wiesbaden und kam dann spät als „Lumpensammler“ mit Theatergästen zurück. (ZZ 7) Der Güterverkehr kam vom Bahnhof Hahn-Wehen mit Pferdefuhrwerken in den Dörfern an. So wurde z.B. auch die Kohle geliefert. (ZZ 7) Nach dem Krieg mussten die Eltern der Orlener ZZ 21 für die monatliche Buskarte ihrer Tochter zur Fahrt in die Schule in Wiesbaden 20 Eier und zwei Pfund Butter bezahlen. Die Gemeinde hatte eine Bushaltestelle errichtet, damit Busse auch dort anfahren konnten. Dies war bis dann nur am Orlener Stock möglich. Verwandtenbesuche z.B. in Hennethal waren immer mit dem Fahrrad zu bewältigen. (ZZ 29) „Noch lange nach dem Krieg musste man von Watzhahn nach Bleidenstadt zu Fuß zum Bahnhof laufen. Fahrräder hatten nur wenige.“ ZZ 15

Auch Telefone waren eine Rarität. In Wingsbach und Orlen z.B. gab es sie nur bei den Bürgermeistern. ZZ 14 erzählt, dass ein Gespräch von dort 25 Pfennige kostete, der Anruf beim Tierarzt in Idstein sogar 50 Pfennige. „Damals verdiente ein Arbeiter 70 Pfennige in der Stunde“.

3.4 Wie war es um das Gesundheitswesen bestellt?

Ärzte gab es bis 1946 nur in Hahn und Wehen. Von seinen Eltern erzählt ZZ 14 aus Orlen, dass „früher“, es war wohl vor dem Ersten Weltkrieg, ein Wehener Arzt auf seinem Heimweg aus Niederlibbach nach Orlen geritten kam. Er machte dann in der Gastwirtschaft der Großeltern des ZZ Rast. Eines Tages, es sein in einem kalten Winter gewesen, saßen die Bauern am Stammtisch und tranken Schnaps, als der Arzt durchgefroren eintrat. „Lisa, ach fort, geb dem ach ein Schnaps. Mer was nit, wie mer so en Kalle mol brauch.“ 1911 sei erst die Straße von Wehen nach Orlen gebaut worden. Bis dann war sie ein Wiesenweg gewesen. In Wehen war Dr. Habicht schon sehr früh Arzt. „Er war sehr hilfsbereit. Im Notfall kam er, das war etwa 1930, in besonderen Fällen auch zweimal täglich mit dem Fahrrad nach Neuhof, wenn etwa eine Mutter mal ein Kind in der Wiege verbrüht hatte.“ (ZZ 6)

Dr. Lampe wird häufig genannt. Sein Einzugsbereich erstreckte sich über alle 10 Dörfer. Dabei benutzte er wohl auch ein Moped, wie ZZ 16 aus Watzhahn berichtet. Wie sich ZZ 35 erinnert, war er „ziemlich streng.“ So manche Auseinandersetzung zwischen seiner Mutter und Dr. Lampe ist ihm gut in Erinnerung. Während des Krieges (1940) wurde Dr. Lampe zum Kriegsdienst eingezogen. (ZZ 26) Außerdem erwähnt ZZ 26 aus Wehen die Ärzte Dr. Tilger, Dr. Müller und Dr. Straub.

In Hahn praktizierten Dr. Höser („Villa Höser“) im Wald westlich der Wiesbadener Straße, heute „Am Lauterbach“, und Dr. Sprenger. In der „Tannenburg“ soll nach Erinnerung der ZZ 1 ebenfalls ein Arzt tätig gewesen sein. Er sei Jude gewesen, wurde aber auch von örtlichen Parteigängern der NSDAP aufgesucht, wie sie sich erinnert. Dr. Sprenger hatte z.B. auch in Watzhahn Patienten. „Er kam auch schon im Krieg mit dem Auto nach Wingsbach, stets mit lederner Motorradmütze, und rauchte wie ein Schlot.“ (ZZ 35) Dr. Höser betreute seine Patientinnen und Patienten z.B. auch in Neuhof. (ZZ 7)

In Bleidenstadt ließ sich erst nach dem Krieg ein Arzt nieder: Dr. Strohschneider. Er war Heimatvertriebener. ZZ 24 erinnert sich, wie dieser damals mit „Ultrastrahlen“ zum Durchleuchten arbeitete. Und eine Anekdote fällt ihm ein: Als Dr. Strohschneider sich in Watzhahn als neuer Arzt vorstellen wollte, traf er auf eine Bäuerin. „Strohschneider“ stellte sich vor, um zu hören: „Strohschneider brauchen wir nicht. Wir schneiden unser Stroh mit der Sens.“

Der einzige Zahnarzt an der Oberen Aar war Herr Weinrich in Wehen, der Vorgänger von Dr. Gütter, sen. (ZZ 4)

Tierärzte kamen vor dem Krieg aus Idstein und Bad Schwalbach, wobei der Idsteiner Tierarzt meist für die Pferde geholt wurde. (ZZ 35)

Die einzige Apotheke in Bereich der 10 Gemeinden befand sich in Wehen („Ohlysche Apotheke“). Viele der Medikamente wurden damals vor Ort Hergestellt, erinnert sich ZZ 24 aus Bleidenstadt. „Die Apothekerin, Frau Lauer, war wie ein Arzt“ betont ZZ 34. Soldatenmütter kauften dort Medikamente und schickten sie ihren Söhnen, die beim RAD tätig waren. (ZZ 35)

Die Frauenhilfe der evangelischen Kirche sorgte sich von ca. 1900 bis in die frühen dreißiger Jahre und dann wieder nach dem Krieg um die Familien. Im „Dritten Reich“ wurde diese Aufgabe von der NS-Frauenschaft wahrgenommen. (ZZ 2) Die Frauenhilfe betreute Kranke und kochte im Bedarfsfall für deren Familien. In Neuhof zeichnete sich hier Frau Edith Becker in besonderem Maße aus. Sie starb nach der Erinnerung der ZZ 6 erst 2005.

3.5 Zu allen Zeiten wird gestorben.

In Bleidenstadt gab es, so wie in Hahn und Wehen, Totenwagen. Der Friedhof befand sich damals noch an der evangelischen Kirche. „Die Nachbarschaft trug den Sarg dann bis ans Grab.“ (ZZ 24) Auch in Orlen gab es einen Totenwagen. (ZZ 35).

In Hambach, Wingsbach und Watzhahn wurden die Särge jedoch bis um Friedhof getragen. „Das ganze Dorf ging mit“ sagt ZZ 16 aus Watzhahn. In Wingsbach standen auf dem Weg zum Friedhof 4 Stühle für den Sarg, damit die Sargträger diesen dann immer mal absetzen konnten. Ursprünglich war der Friedhof „hinter dem Ort beim Bauer Kugelstadt und ist heute mit einer Scheune überbaut. Der neue Friedhof entstand schon vor dem Zweiten Weltkrieg. Später gab es dann auch in Wingsbach einen Totenwagen.“ (ZZ 11)  In Wehen standen, so wie in den anderen Gemeinden, die Särge zunächst in den Höfen. Dort wurden sie aber auf einem Leichenwagen zum Friedhof neben dem alten Gemeindehaus gefahren. (ZZ 34)

4.  Wohnen/Kochen/Essen/Kleidung

Die Bauern waren Selbstversorger. Bei ihnen erfolgten jeweils ab November Hausschlachtungen. Es war verboten, jährlich mehr als eine Sau zum Eigenverbrauch zu schlachten. Eine weitere wurde dann jeweils verkauft, berichtet ZZ 12 aus Seitzenhahn. In Hambach wurde aber durchaus zweimal geschlachtet: „Abends kam der Onkel aus Wingsbach und schlachtete. Dann wurde alles weggeräumt. Der Onkel lief durch die Nacht zurück und kam am nächsten Morgen wieder, um offiziell zu schlachten. Es wurde streng kontrolliert. „Im Dorf gab es einen Aufseher, aber das vorher weggeräumte Fleisch blieb ja in der Familie.“ (ZZ 36) „Lappekraut“, Sauerkraut, Bohnen...alles wurde eingemacht. Koteletts wurden angebraten und im Topf verschweißt. Das Sauerkraut war im Topf mit einem Holzdeckel. Dieser wurde mit einem Stein beschwert. Butter wurde selbst gemacht. Gekauft wurden lediglich Salz und Zucker. Brot wurde eingetauscht. Dazu brachten die Seitzenhahner Bauern im Krieg Korn in die Stiftsmühle und erhielten im Gegenzug Brot vom Bäcker Mehler in Bleidenstadt. „Das wurde irgendwie ausgehandelt.“ Davor, bis 1930, wurde auch noch im Backhaus selbst gebacken. Obst gab es von den „Baumstückern“. Äpfel gab es so viele, dass sie nach Bleidenstadt zum Bahnhof gebracht und in Waggons nach Frankfurt-Sachsenhausen geliefert wurden. (ZZ 12)

In den Dörfern gab es viel Milchvieh. Die Milch wurde an der jeweiligen Sammelstelle abgeholt und morgens nach Bad Schwalbach zur Molkerei Berz gebracht. (ZZ 16)

Aus Hahn erzählt ZZ 20: „Vor jedem Winter wurden 18-20 Zentner Kartoffeln eingekellert, davon 7-8 Zentner aus dem eigenen Garten. Der Rest kam vom Bauer Hölzel. Dazu wurde noch Sauerkraut in großen Töpfen eingemacht.“ So kam die Familie, Kriegerwitwe mit 4 Söhnen, durch den Winter. Fleisch gab es jeden Monat vielleicht einmal. „Gemüse und Kartoffeln. Fertig.“ Ab und zu holte man bei Rückers Fisch. Dann gab es Hering mit Pellkartoffeln. Als Brotaufstrich gab es „Lequaie“, im großen Kessel gekochte Zuckerrüben und Zwetschen. Dies hielt fas den ganzen Winter. Die ZZ 34 aus Wehen erinnert sich, dass Zwetschenmus in großen kupfernen Kesseln im Hof gekocht wurde. „Der musste mit einem selbst geschnitzten Kochlöffel in großen Fässern die ganze Nacht gerührt werden.“

Auch suchte man in den Wäldern Himbeeren, Brombeeren, Heidelbeeren und Bucheckern. Letztere wurden zu Hause getrocknet und zu Fuß nach Dotzheim gebracht. Dort wurden sie ausgepresst. „Es gab dann im besten Fall zwei Flaschen Öl daraus. Auch das musste den ganzen Winter halten. Kirschen gab es nur gegen „Amizigaretten.“ auf dem Brot gab es keine Butter, sondern Margarine. „Muckefuck“ wurde der Kaffeeersatz genannt. Die Wälder waren wie geleckt, alle Obstbäume wurden abgeerntet. Man holte das Holz mit Leiterwagen aus dem Wald. Dafür musste man oft zwei bis drei Stunden laufen. „Das waren Zeiten, die würde ich niemanden wünschen. Nicht meinem schlimmsten Feind.“ An Miete zahlte man 1939 monatlich 35 Reichsmark. (ZZ 22) In Orlen waren die Wiesen in kleine Stücke eingeteilt. „Es wurde dann vom Ortsdiener ausgerufen, wann und von wo bis wo gemäht werden durfte. Darüber laufen gab es nicht. Es war immer alles geordnet, egal was es war.“ Die Feldwege wurden versteigert und dann immer abgemäht. „Nichts kam um.“ Auch ZZ 28 berichtet von der Verpachtung der Feldwege in Wehen: „Die meisten Leute hatten ein bisschen Landwirtschaft.“ Im Frühjahr wurde Kleinholz gemacht. Mit Leiterwagen zogen sie dann in den Wald. Bucheckern wurden in Tüchern gesammelt oder mit der Hand aufgelesen. Dann wurden sie in die Hermannsmühle nach Hahn gebracht. Aus Ziegenmilch wurde Butter gemacht. (ZZ 21) „Unsere Mutter wusste manchmal nicht, wie sie noch etwas zu essen besorgen könnte.

Zunächst kam der Vater, dann die Kinder. Manchmal musste unsere Mutter sogar weinen“ erzählt ZZ 34 aus Hahn über die Nachkriegszeit.

Auf das Gerücht hin, dass es in Wehen Gemüse gäbe, liefen zwei Schwestern von Niederlibbach dorthin, um dann mit leeren Händen zurückzukommen. Es war nichts mehr da, bis sie in Wehen angekommen waren. (ZZ 22/23). Lebensmittelmarken waren noch im Krieg eingeführt worden. Diese gab es bis zur Währungsreform am 20. Juni 1948. Sie wurden pro Kopf ausgegeben. Pro Woche gab es z.B. 50g Fett. Für Schwer- und Schwerstarbeiter und werdende Mütter gab es Zusatzmärkchen. Wurde zu Hause geschlachtet, dann kam dies in Anrechnung. Für eine vorgeschriebene Zeit und bestimmte Personen gab es dann keine Fleischmarken. „Selbstversorger wurden damit anders bedacht als andere.“ (ZZ 36) „Sie waren auch ein Druckmittel zur Arbeit. Da gab´s keine Arbeitslosen. Aber alles war knapp bemessen“. (ZZ 5) „Die Versorgungslage der Bevölkerung mit Lebensmitteln usw. war vor und im Krieg deutlich besser als in der ersten Zeit danach.“ (ZZ 6)

Es wurde viel geschrottelt. Die Bauern haben das mitunter ganz schön ausgenutzt.“ Amerikaner, die in Werkstätten mit Zigaretten und Schokolade bezahlten, wurden bevorzugt behandelt. (ZZ 5) viele Städter kamen nach dem Krieg zum Tauschen in die Dörfer. Sie kamen zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Einige kamen auch regelmäßig z.B. einmal die Woche, um eine warme Mahlzeit zu bekommen. Auch Hausierer waren an der Tagesordnung. Nach der Währungsreform gab es im Rathaus 40 DM pro Kopf. „Plötzlich waren die Regale, die vorher leer waren, wieder voll.“ (ZZ 22, 23, 36). Die Bäcker verkauften nur Brot. Es war Mischbrot mit Sauerteig, Brötchen und Stückchen waren zunächst unbekannt. Fertigbackmittel kamen erst in den frühen 50ern auf. Und Buttercremetorten gab es, wobei an Eiern und Butter stets gespart wurde. (ZZ 28)

4.1 Was zog man an?

Mädchen trugen Lederschuhe mit gestrickten Strümpfen und kurzen Hosen, in der Schule Schürzen (ZZ 8) meist bis 14 J. Die Buben trugen Lederhosen. Als Unterwäsche verbreitet waren „Leib- und Seelenhosen“. (ZZ 2) In Stellung waren Strümpfe „körbeweise“ zu stopfen. (ZZ 4) Die Kleidung ging stets von den Älteren an die Jüngeren. Selten wurde etwas gekauft. Die Frauen konnten alle selbst nähen. „Auf kaputte Hosen kam ein Flicken. Fertig war´s. Das war schon eine arme Zeit.“ (ZZ 12) Hemden, Jacken und Hosen wurden möglichst selbst genäht. Die Kleidung wurde geändert und weiter getragen. (ZZ 20)

Vor dem Krieg kam ein „Strumpfmann“ auch nach Hambach. Er hatte eine große Kiez mit „Esslinger Strumpfwolle“ auf dem Rücken. Es wurde im Dorf aber auch noch gesponnen. Die ZZ 34 und 36 erinnern sich daran, wie ihre Großmütter noch ihre Wolle selbst gesponnen haben. Kleider wurden gestrickt, weil die Bauern Schafe hatten. Die Wolle wurde hier geschoren, gewaschen und gesponnen erinnert sich ZZ 29, die 1935 geboren wurde. Auch Jacken strickten sie sich selbst. 1944 zur Konfirmation ein Kleid zu bekommen war nicht das größte Problem. Es wurde bei Kleidern einfach „ein Stück reingesetzt.“ Am schlimmsten war es aber, Schuhe zu bekommen. (ZZ 35) Die Kinder waren von Kopf bis Fuß in Schafwollsachen eingekleidet. Die Älteren trugen noch offene Unterhosen. „Das war praktisch.“ Damenbinden gab es noch keine. (ZZ 7)

Die Fa. Hako hatte in Wehen im Saal Großmann ein Ausweichlager. Eines Tages gaben die Amerikaner bekannt, dass diese Schuhe den Bürgern gehören. Wer Schuhe brauchte, konnte sie sich zu einem bestimmten Termin holen. „Da war was los.“ Menschenschlangen hatten sich gebildet. Kreuz und quer flogen die Kartons. Jeder hatte linke Schuhe oder rechte und wollte nun tauschen. „Das war ein Chaos.“ Die Schuhe trug man dann zu einem Zuckerlager unweit von Orlen und tauschte sie ein. (ZZ 21)

Bis 1948 hielten die Geschäfte zurück. Dann plötzlich war alles da.“ (ZZ 35)

4.2  Und die Frisuren?

In der Woche trugen die Mädchen die Haare zu Zöpfen geflochten, sonntags offen. (ZZ 4)

5.  Arbeiten/Lehre/Beruf

Nach längerer Arbeitslosigkeit war dem Vater des ZZ 30 aus Hahn 1933/34 Arbeit angeboten worden, wenn er denn in die NSDAP eintreten würde. Das wollte dieser jedoch nicht, sondern ging in die SA. „Schon am nächsten Tag bekam er Arbeit als Schreiner in Wiesbaden.“

Meist gingen die Mädchen als Dienstmagd zu Bauern oder als Dienstmädchen in die Stadt. Viele blieben aber auch, so wie nicht wenige Buben, auf dem elterlichen Bauernhof. Im Winter schafften die jungen Männer schon früh mit ihren Vätern im „Holzwald.“ (ZZ 14) Vereinzelt gingen die jungen Frauen ins Büro. Oft lernten sie nähen, um als Schneiderin zu arbeiten. (ZZ 2) Ab 1938 fand die ZZ 4 aus Bleidenstadt eine Stelle in einem Bäckerhaushalt in Dotzheim, „zunächst für ein paar Pfennige“. Dort blieb sie drei Jahre und kam nur vierzehntägig sonntags nach Hause. Sie bekam damals 20 Mark im Monat. Das Geld gab sie zu Hause ab, musste dann aber jeweils noch 2 Mark für die Fahrt selbst bezahlen. „Man ist regelrecht ausgenutzt worden.“ Bis zum Kriegsende arbeitete sie dann als Näherin bei der Fa. Söhngen in Wiesbaden. Als alle Außenlager der Firma geplündert wurden, war sie zunächst arbeitslos.

Die ZZ 8, ebenfalls aus Bleidenstadt kam 1940 als Büroanfängerin nach Biebrich. Bis zum Bahnhof Landesdenkmal fuhr sie mit dem Zug und lief dann zur Firma, um später in deren Außenlager in Bleidenstadt tätig zu werden. Dieses war dort gegründet worden, nachdem die Bombenangriffe auf Wiesbaden zugenommen hatten. Aber weiterhin musste sie täglich die Post aus Biebrich holen, oft genug von Luftangriffen auf die Bahn unterbrochen. Die Buben machten oft eine Lehre, nicht wenige von ihnen, selbst im Krieg, in Wiesbaden. (ZZ 5)

ZZ 11 aus Wingsbach fand 1940 mit 14 Jahren eine Lehrstelle als Schreiner in Hahn. Als der Lehrherr in Frankreich dienstverpflichtet wurde, setzte er die Lehre in Bad Schwalbach und Wiesbaden fort. Dort absolvierte er auch seine Gesellenprüfung. Die Ski, die er im Winter brauchte, um nach Hahn zu kommen, stellte ihm die Hitlerjugend. Mit 17 kam er dann zum RAD und mit 18 zur Wehrmacht um kurz darauf bis Ende 1948 in französische Kriegsgefangenschaft zu geraten.

ZZ 6 aus Neuhof fand 1941 im Alter von 16 Jahren eine Arbeitsstelle im Arbeitsamt in Bad Schwalbach und später in Wiesbaden. Ihr Anfangsgehalt betrug 60 Mark monatlich.

ZZ 12 aus Seitzenhahn fing 1943 im Alter von 15 Jahren beider Eisenbahn in Wiesbaden an. Gleisbau, Gepäckabfertigung usw. 30 Reichsmark verdiente er anfangs. 1944 wurde er nach Bad Schwalbach versetzt, um dann noch Luftwaffenhelfer in Rottweil bzw. Pforzheim zu werden. Seinen Heimateinsatz absolvierte er als Richtkanonier und geriet, 17-jährig, in französische Kriegsgefangenschaft. Weil noch nicht 18, wurde er entlassen, und schon ab 6. Juni 1945 durfte er wieder bei der Bahn arbeiten.

Auch nach dem Krieg gingen junge Frauen weiterhin „in Stellung“ bei Bauern. Dort wurden sie häufig immer noch schlecht behandelt. (ZZ 28)

Die ZZ 19 erlebte ab 1946 in Neuhof, dass ihr nicht einmal ein Apfel gegen ihren Hunger gegönnt war. „Stell Dir mal vor, das würde jeder hier machen.“ Zum Abendessen gab es ausgelassenen Speck mit Kartoffeln („Gedunktes“) und eine Scheibe Brot mit Wurst oder Käse. „Das war´s. Für einen jungen Menschen zu Wenig.“ Sie fuhr deshalb abends mit dem Fahrrad zu ihrer Mutter nach Wehen und holte sich Äpfel, die sie dann in ihrem Zimmer versteckte. Im Winter wurden sie, die Knechte und die Mägde aber nicht gebraucht. Von „Wandertag“ sprach man, wenn sie die Höfe verließen, weil sich die Bauern dann ihre Arbeit selbst machten. Als ortsnahe Arbeitgeber kamen dann z.B. die Wäscherei Waldschmidt oder die Firma Hopf in Wehen, damals noch im späteren „Deutschen Haus“, gelegen.

Wenig Glück mit den beiden Schreinereien in Hahn, Bücher und Roth, hatte ZZ 20. Sie lehnten es ab, ihn auszubilden. Gerne wäre er Kaufmann geworden. Da sein Lehrer ihm aber empfohlen hatte, einen handwerklichen Beruf zu erlernen („Wir brauchen Handwerker“), wurde er wie sein Vater Schreiner. Er hat seine Lehrer 1946 bei Karl Groß aus Neuhof begonnen, der eine Schreinerei in Wiesbaden hatte. Mit dem Zug ging es nach Dotzheim und zu Fuß in die Nettelbeckstraße. Das war schon komfortabel in Vergleich zu den Großeltern, von denen er weiß, dass ihre Zeitgenossen zur Arbeit auch von Wingsbach, Orlen und Neuhof früher zu Fuß nach Wiesbaden und zurück gelaufen sind.

Nachdem ZZ 26 aus Wehen sich den Beruf Förster wegen der fehlenden mittleren Reife nicht erfüllten konnte, erlernte er den Beruf des Schuhmachers.

Orthopädieschuhmacher war nun sein neues Ziel, und er suchte lange nach einer Lehrstelle, die er schließlich 1947 bei August Usinger in Orlen fand. Er musste dort richtig schwer arbeiten, da ihn der Lehrherr auch auf seiner Baustelle einsetzte. In Idstein legte er dann 1950 seine Gesellenprüfung ab.

Ab 1947 besuchte die ZZ 21 aus Orlen die zweijährige Handelsschule in Wiesbaden in der Manteuffelstraße („da waren noch keine Fenster drin“) und erlebte dort, dass Unternehmer in die Schule kamen und sich Arbeitskräfte aussuchten.

Im Handwerk vor Ort, bei der Firma A. Beck, fand ZZ 24 aus Bleidenstadt 1948 eine Stelle als Schreiner. Einmal wöchentlich musste er nach Bad Schwalbach zur Berufsschule fahren, um dann aber gleich nach dem Unterricht wieder arbeiten zu müssen.

Die ZZ 22 aus Niederlibbach ging ab 1948 als „Haustochter“ zu einem praktischen Arzt nach Idstein und war dort auch als Sprechstundenhilfe tätig. Sie kam nur am Samstagnachmittag für das Wochenende, oft genug zu Fuß, nach Hause. Sie hatte Glück mit ihrem Arbeitgeber und blieb dort über 8 Jahre.

Ihre Schwester, die ZZ 29, kam 1949 für zwei Jahre in einen Haushalt in Wiesbaden und besuchte anschließend die dortige Haushaltungsschule in der Bleichstraße, um danach ebenfalls in Idstein Haushaltshilfe und Kindermädchen zu werden.

ZZ 30 halb zunächst noch als Schulabgänger auf dem elterlichen Hof, um auch noch als Maurer zu arbeiten. So übte er über eine lange Zeit zwei Berufe gleichzeitig aus, was gerade in der Landwirtschaft keine Seltenheit war.

Diejenigen, die zu Hause auf dem elterlichen Hof blieben, mussten zur Erfüllung ihrer Berufsschulpflicht im Winter eine landwirtschaftliche Schule in Idstein und Bad Schwalbach besuchen. Die Schule war oft mit einem Internat verbunden. „Dort blieb man, weil ja keine Busse fuhren, und mit dem Fahrrad konnte man die Strecke nicht fahren“ erzählt die ZZ 36 aus Hambach, die ab 1948 nach Idstein „ins Internat“ ging. Von Frühjahr bis Spätherbst wurde wieder in der elterlichen Landwirtschaft gearbeitet. Nicht selten lernten sich spätere Eheleute in der Winterschule kennen. So war es auch ihr ergangen.

Ebenfalls 1948 begann ZZ 28 aus Wehen als Dreizehnjähriger seine Lehre in Wiesbaden in der Bäckerei seiner Tante. Pro Woche verdiente er zwei Reichsmark. Für die wöchentliche Heimfahrt mit dem Zug musste er 1,60 Reichsmark bezahlen. Für den Rest kaufte er sich noch ein Eis. Taschengeld gab es nicht. „Du verdienst doch“ hieß es. Als Geselle bekam er 38,-- DM wöchentlich.

Armut hoch drei“ war bei dem ZZ 27 aus Neuhof angesagt, als er 1949 in Idstein seine Mittlere Reife abgelegt hatte. „An eine Lehrstelle zu kommen war fast aussichtslos.“ Seine Mutter, Witwe seit 1948, stand mit drei Kindern ohne Unterstützung da. Seine ältere Schwester lieferte die 710 Mark, die sie monatlich in einem Haushalt verdiente, zu Hause ab und die Mutter ging putzen. In einem Papier- und Schreibwarenhandel in Hoechst hatte er schließlich im Herbst 1949 Glück und bekam eine Lehrstelle. Noch während seiner Lehrzeit fuhr er im Außendienst mit dem Fahrrad täglich rund 50 Kilometer durch Wiesbaden und den Untertaunus auf der Suche nach neuen Kunden. Mit einer Mustermappe machte er sich auf den Weg und besuchte Schreibwaren- und Lebensmittelläden, wegen der Papiertüten auch Metzger und Bäcker. Mainz und der Rheingau kamen bald hinzu. Und weiterhin war er auf das Fahrrad angewiesen, bis er 1952 von einem Onkel, dem er auch noch bei dessen Arbeit geholfen hat, ein Leichtmotorrad für 550 Mark erhielt. Damit war er in der Folgezeit „auch bei Schnee und Eis unterwegs“. Sein Lehrgeld betrug 22,50 Mark monatlich. Aber von allen Aufträgen erhielt er 6 % Provision. Alle hatten Mitleid mit der Lage des fleißigen Siebzehnjährigen, der nach der Lehre zunächst die bundesweite Vertretung für einen Glückwunschkartenverlag übernahm. Nicht lange dauerte es, bis er sich in die Selbständigkeit begab und Schritt für Schritt ein eigenes Unternehmen aufbaute, den „Taunusverlag“ in Wehen.

Nachdem ihr Vater mit dem Pferd bei der Arbeit tödlich verunglückt war, musste die Mutter der ZZ 29 aus Seitzenhahn die Landwirtschaft aufgeben. Die ZZ 29 hatte 1951 in Bad Schwalbach ihre Mittlere Reife abgelegt und betrieb nun mit ihrer Mutter das Ladengeschäft.

Ab 1952 absolvierte die ZZ 34 aus Wehen ihre Lehre in einem Feinkostgeschäft in Wiesbaden. Ihr Vater hatte ihr die Stelle besorgt. „Es war eine harte Lehre. Morgens um 6 Uhr raus und abends um halb neun zurück.“ Dem Beruf blieb sie treu und lernte bei der Arbeit ihren späteren Ehemann kennen.

6.  Geschäfte, Handwerker und Gaststätten

In Hahn gab es drei Bäcker (Rock, Stahl und Gärtner) und zwei Metzger (Friedrich/Gros in der Aarstraße und einen Metzger in der Bahnhofstraße).

Einzelhändler waren Rock/Best, Rücker, Wallenborn, Koch und Schaab. Die ZZ 1 erinnert sich: Ihr Vater, Wilhelm Schaab, bekam vor dem Krieg freitags stets einen Zentner Fisch in Eis verpackt aus Hamburg angeliefert. Sie nahm jeweils die Bestellungen im Ort auf und fuhr sie dann mit dem Fahrrad aus. „Frische Fische, gute Fische, lasst Euch nicht vom Schaab erwische“ riefen ihr die Zwillingssöhne aus dem Gasthaus zur Sonne oft nach. Nachdem Schaabs keinen extra Raum für die Fischbearbeitung hatten, ging der Verkauf an Rückers (Anm.: Backsteingebäude an der Aarbrücke) über. Milchsammelstelle und -verkauf waren beim „Milchheine“ (Frankenbach.

Gaststätten waren das Gasthaus „Grüner Wald“ der Familie Eisenmenger. Das Gasthaus „Zum Taunus“, das Gasthaus „Zur Sonne“ der Wirtsleute August und Auguste Best, das Gasthaus „Zum Löwen“ der Familie Capito und die „Tannenburg“. ZZ 3 berichtet, dass ihr Großvater väterlicherseits, Philipp Ohlemacher, Wirt im „Taunus“, war und von 1887 bis 1893 Bürgermeister von Hahn. Aus einer Postkarte eines französischen Besatzungssoldaten vom 28.12.1918 ergibt sich außerdem die Existenz der Pension Frieda. Es handelt sich offensichtlich bei der Pension um das „MKW-Haus“ in der Aarstraße, schräg gegenüber dem ehemaligen Kaufhaus Wallenborn. Beide Gebäude stehen heute noch.
 




In der Aarstraße gab es ein Sägewerk, eine Holzhandlung und die Backsteinfabrik des Fabrikanten Groß, des Großvaters mütterlicherseits der ZZ 3. „Fritz Groß – Ziegelei und Holzhandlung“ war die offizielle Bezeichnung. Fritz Groß war von 1902 bis 1919 ebenfalls Bürgermeister von Hahn. Die Hahner ZZ können sich lediglich noch an die Backsteinfabrik von Herrn Groß erinnern. Das Sägewerk trug nach dem Krieg den Namen Heuß. (ZZ 35)

Auch die Wäscherei Lindenheim findet Erwähnung. Außerdem gab es die Papiersackfabrik („Tutta“) am Bahnhof. (Anm.: vorher eine Hanfseilfabrik.) Die ZZ 33 erinnert sich an die Darstellungen ihres Großvaters, wonach die komplette Trasse am Bahnhof aufgeschüttet werden musste. Dazu seien die Anlieger enteignet worden. Ursprünglich sei dessen Grundstück bis an die spätere „Tutta“ gegangen. Ironie des Schicksals war, wie ZZ 20 erzählt bekam, dass seine Familie vorher in der Scheidertalstraße gegenüber der alten Schule gewohnt hatte. Wegen der Pferdetransporte auf der „Eisenstraße“ nach Michelbach war ihnen die Lage zu laut geworden. Sie verkauften und erwarben ein Grundstück an der Aarstraße. In ihrer Nachbarschaft wurde dann der Bahnhof errichtet. Schmiede im Dorf waren Wilhelm Alexi und Heinrich Hilz („Hilze Heine“). Da es mittlerweile zahlreiche Pferdebauern gab, Pferdekutschen und Pferdefuhrwerke durchreisten, hatten sie stets gut zu tun. Vor dem Anstieg zur Eisernen Hand auf dem Weg nach Wiesbaden wurden die Pferde am Brunnen vor der Wäscherei Lindenheim getränkt. Wie sich ZZ 35 aus Wingsbach erinnert, war der Anstieg für Langholzfuhrwerke, von zwei Pferden gezogen, selbst auf Gummirädern so schwer, dass er auf dem Weg zum Sägewerk Heuß stets auf der Deichsel zwischen den Pferden stehen musste, damit sie nicht hochschlug. Dabei trieb sein Vater die Pferde so an, dass ihre Hufeisen auf dem Straßenpflaster vorbei am Kaufladen Wilhelm Schaab Funken schlugen.

Neben der Bäckerei von Wilhelm Rock bestand seine Handlung für Samen, Kleie usw. Wilhelm Kaiser betrieb eine Baustoff- und Kohlenhandlung. Carl Lotz/Albert Conradi hatten eine Kohle- und Düngemittelhandlung. Dort deckte sich auch der Vater des ZZ 5 aus Wingsbach für seinen Bedarf ein. „Herr Rock war ein sehr angenehmer Gesprächspartner.“

In Bleidenstadt gab es die Bäckerei Schmidt, das Elternhaus der ZZ 8, die Bäckerei Mehler und die Bäckerei Heller. Metzger waren die Familien Müller, Kahn und Mehler. Auch gab es mehrere Kolonialwarenläden. Die wöchentliche Versorgung mit Fischen erfolgte durch Händler, erinnert sich ZZ 8. Schmied im Dorf war Herr Graffe.

Gaststätten waren das Gasthaus „Zur Stadt Wiesbaden“ (K.-H. Jung), das Gasthaus, Pension und Metzgerei „Goldene Krone“ (Wilhelm Müller), sowie die Gasthäuser Gottlieb (heute Braustüberl), Conradi mit Saal (später Kino), „Zur guten Quelle“ (Peter Mehler) und „Zum goldenen Engel“.

In Wehen gab es „...unglaublich viele Geschäfte. Drei Bäcker, drei Metzger, einen Schuster und einen Schneider gab es hier.“ Tinte und Schulhefte mussten die Menschen aus den umliegenden Dörfern im Geschäft Schneider neben dem Rathaus kaufen, (ZZ 24)

Einmal im Jahr kamen die Leute aus dem ganzen Umland zum Wehener Markt. „Das war für die Bevölkerung wie ein Feiertag.“ (ZZ 34) Der Markt war ursprünglich ein reiner Vieh- und Krammarkt. (ZZ 26)

Die Brotfabrik Herdling, die Bäckerei Imann in der Aarstraße und die Bäckerei Haischt in der Platter Straße arbeiteten im Krieg weiter. (ZZ 289

Anm.: eine ausführliche Darstellung auch zu diesem Thema findet man in den „Erinnerungen und Begebenheiten; Wehen – mein Heimatort“ des ZZ 26 von 2011 im Kapitel „Arbeiten und Leben in Wehen. Die „Erinnerungen“ erschienen auszugsweise zum 200jährigen Jubiläum der evangelischen Kirche in Jahr 2012. Sie liegen vollständig der Projektdokumentation bei.




"Hotel-Restaurant, Pension "Waldfriede", Besitzer: Hubert Schwank, Wehen i.T." (Postkarte von 1908)


In Neuhof gab es vor dem Krieg einen Metzger („Schneider-Fritz“), drei Bäcker (Schrank, Gros und Wittlich) und das Kolonialwarengeschäft von Edmund Niebergall. Dort konnte man alles für den täglichen Bedarf kaufen. Schauß, Lautz, Rupperts und Zehners -Lebensmittel und Drogen- hatten Läden.“ (ZZ 6)

Verschiedene Händler, so auch Juden aus dem Saarland, boten Fahrräder, Bettwäsche, etc. Samstags und sonntags im „Gasthaus zur Burg“ an. Fahrende Händler waren an der Tagesordnung und versorgten auch das kleinste Dorf regelmäßig und zuverlässig. (ZZ 7)

Gaststätten waren die „Burg“ (Wirtschaft seit 1893; Besitzer urspr.: Fam. Bierod) und der „Nassauer Hof“ mit Saal. ZZ 2: „Im Saal wurde Musik gemacht. Er befand sich oberhalb der Bäckerei Wittlich und wurde später abgerissen.“ Außerdem gab es die Gastwirtschaft und Bäckerei Schrank, das „Aartal“ und den Platter Hof.

Am Ende des Ziegelhüttenwegs war es eine Ziegelei, die ebenfalls den Eheleuten Bierod gehörte. Anm.: Diese Ziegelei hat kein ZZ mehr gesehen. „Das gegenüber gelegene „Moschgelände“ wird auch Lahmkaut genannt. Dort war auch ein Schieferbruch.“ (ZZ 2)

In Seitzenhahn bestand über 4 Generationen hinweg (Philipp, Freund, Fink, Frankenbach) der „Tante-Emma-Laden“ der ZZ 29, welcher von ihrem Urgroßvater gegründet worden war. Sie selbst hat es über 50 Jahre betrieben. „Alles gab es fort lose aus Schubladen, Öl und Essig aus großen Dosen. Im Dorf lebten ausschließlich Kleinbauern. Die waren alle Selbstversorger“ (ZZ 29) Ein weiterer Laden (Wink) existierte dennoch. „Für kurze Zeit gab es auch einen Metzger. Händler aus dem Limburger Raum kam und versorgten uns z.B. mit Kleidern, Bettwäsche, Aussteuer. Gaststätten gab es drei bis vier.“ (ZZ 29)

In Wingsbach gab es außer dem „Nassauer Hof“ (Guckes) noch das Gasthaus Körner. Mehrere Geschäfte wurden nebenbei geführt. Der „Allerweltsladen“ von „Waaners Settche“ stand neben dem Gasthaus Körner. „In diesem konnte man alles bekommen: Schuhsohlen, Nägel zum Besohlen, Hufeisen, Schaufeln, Rechen usw.“ Auch so etwas wie einen Zigarettenladen gab es neben der Gaststätte. Bäcker Lederer unterhielt bereits vor und im Krieg eine Bäckerei mit Lebensmittelladen. (ZZ 35) Als Hausmetzger kamen die Hahn Friedrich und später Gros, aber auch Metzger aus Steckenroth und Strinz. „Zum Schlachten war aber ein Berechtigungsschein erforderlich. Während des Kriegs wurde Schwarzschlachten in einem Fall mit der Einberufung in eine Strafkompanie geahndet. „Damals wurden sogar die Hühner registriert.“ (ZZ 11)

In Watzhahn gab es zwei „Geschäftchen“ und die Gastwirtschaft Holtmann.

Auch hierhin kamen Händler, aber erst, seitdem es Autos gab, also nicht in meiner frühen Kindheit.“ (ZZ 16, 1931 geboren)

Anm.: Für Orlen sei auf das dreibändige Werk „Das war ihr Leben“ von Helge Schmidt verwiesen, das von 1985 bis 1989 erschien. Der dritte Teil „Schwierige Zeiten im Dorf“ stellt die Zeit von 1918 – 1947 dar. Es kommen auch mehrere Zeitzeugen zu Wort.

In Niederlibbach gab es die Bäckerei Krieger und das Lädchen Limbarth. Die Metzger kamen aus Wehen“ schildert ZZ 30 aus Niederlibbach. Gaststätten waren die von Hofmanns und Kimpels. Bei Hofmanns traf sich die Jugend aus der Umgebung. „Hier feierten wir.“

Herr Kimpel war 1900 geboren und „hatte Koch gelernt und war sogar schon im Ausland.“ (ZZ 36). Er übersetzte nach dem Krieg die Post von ehemaligen Kriegsgefangenen.

In Hambach gab es zwei Geschäfte: Fraund (Kolonialwaren) und Limbarth. Die einzige Gaststätte vor und im Krieg war die von Wittlichs. Nach dem Krieg entstand das Gasthaus der Fam. Bodenheimer.

7.  Vorkriegs- und Kriegszeit

Die Zeit der Weimarer Republik liegt bei den ältesten Zeitzeugen dieses Projekts, nämlich ab Jahrgang 1921, in deren Kindheit bzw. frühen Schulzeit. Erinnerungen gehen so naturgemäß meist auf die Schilderung ihrer Eltern und Großeltern zurück. Sie sind dann im engeren Sinne des Wortes also keine Zeitzeugen mehr.

Ein Ereignis hält sich in der Erinnerung von Generationen: Wir schreiben das Jahr 1928: Inflation ist das beherrschende Thema. ZZ 28 erzählt, dass ihm ein Bäcker aus Neuhof, der bei seinem Vater in Wehen beschäftigt war, erzählte, dass er samstags Geld bekommen habe, damit nach Wiesbaden zum Einkaufen fuhr und dafür nichts mehr bekam. Einer der Onkel des ZZ hatte ein Grundstück verkauft und das Geld zurückgelegt. Es reichte anschließend noch nicht einmal für seinen Grabstein.

Auch das Jahr 1933, das Jahr der „Machtergreifung“ Hitlers, ist den ZZ nicht konkret in Erinnerung, aber die Folgezeit durchaus: So schildert der ZZ 5 seine Beobachtungen, als ein ortsbekannter Kommunist in Hahn an Lichtmasten plakatierte.

Der Hahner Fähnleinführer der Hitlerjugend riss diese Plakate jedoch wieder ab. Schon hatte er den Kommunisten auf den Fersen. Eines Tages wurde der Kommunist abgeholt und kam nach 6 Wochen in brauner SA-Uniform zurück. In Hahn war man sprachlos. „Es hieß, er sei umerzogen worden. Das hat keiner für möglich gehalten.“ Der Kommunist überlebte den Krieg.

In Orlen musste in jedem Haus die Fahne sein. Wer sich das nicht leisten konnte, dem wurde die Fahne bezahlt.“ (ZZ 11) Die Durchgangsstraße wurde in Adolf-Hitler-Straße umbenannt, so wie in Wehen. 1935 sei Adolf Hitler auf der Platte zu Besuch gewesen. „Ganz Orlen war auf den Beinen“ wurde der damals zweijährige ZZ 21 später von ihrer Mutter erzählt. „Es sprach sich rum wie ein Lauffeuer.“ Hitler habe der ZZ damals die Hand geschüttelt.

Der Schwiegervater des ZZ 11 war Bürgermeister von Wingsbach von 1938 bis 1968. Aber NSDAP-Mitglied war er nicht. Als seine Wiederwahl während des Krieges anstand, wurde diese vom zuständigen Gauleiter angefochten. „Er wurde aber wieder gewählt.“

Der Kram- und Viehmarkt in Wehen vor dem 2. Weltkrieg zählt zu den ältesten Erinnerungen des ZZ 26, Jahrgang 1933. Gerne spielten sie dort als Kinder. Es war das Ereignis jedes Jahr.

1938 wurde das Schwimmbad in Hahn vom „Zweckverband Hahn, Bleidenstadt, Wingsbach“ gebaut. „Wingsbach spendierte alles Holz.“ (ZZ 11) Bis es offiziell eröffnet wurde, konnten viele Buben und Mädchen schon Schwimmen, denn man durfte bereits vorher übern. „Es kostete nichts und Wasser war schon drin.“ (ZZ 5) Die beiden ersten Bademeister, Herr Strack aus Wehen und im Krieg Herr Döringer, konnten allerdings nicht schwimmen.

Buben und Mädchen waren beim Jungvolk. Anm.: Das Jungvolk (DJ) war die der Hitlerjugend vorlaufende Jugendorganisation für Jungen zwischen 10 und 14 Jahren. (s. Wikipedia) „Alle waren dabei. Am Anfang waren es viele, die nicht mitgemacht haben. Am Ende konnten sie aber gar nicht mehr anders.“ Als Kind oder Schüler wäre man ausgegrenzt gewesen. „Konnte man gar nicht“. (ZZ 5) Aber die jungen Leute aus katholischen Familien erhielten die Erlaubnis eher nicht. (ZZ 4, ZZ 5)

Beim Jungvolk war alles spielerisch“. Zeltlager fanden in Bad Schwalbach statt. Dort waren in Nachtwachen schon die Zelte zu bewachten. Vor Weihnachten bastelten die Neuhofer Mädchen für die Kinder von Gefallenen. Die Buben halfen mit Laubsägearbeiten. „Es wurde auch sehr viel gesungen.“ (ZZ 6) Im Alter von 10 Jahren kam ZZ 14, ehemaliger Bürgermeister von Orlen, zum Jungvolk. Er erinnert sich gut an die Aufmärsche in Bad Schwalbach unter der Regie des Gauleiters Sprenger mit rund 400 Buben und Mädchen in Uniform. Auch ZZ 26 aus Wehen musste mit 10 Jahren zum Jungvolk, obwohl sein Vater dagegen war. Sie veranstalteten schon Schießübungen. Als 1944 in Hannover ein Massenmörder aus dem Zuchthaus geflohen war, musste das Jungvolk aus Wehen ihn auf der Platte suchen, da er sich angeblich dort aufhielt.

In der Hitlerjugend erfuhren sie dann schon eine vormilitärische Ausbildung. Anm.: Die HJ war ab 1933 staatlicher und einziger Jugendverband, dem 98% aller Jugendlichen angehörten. Der weibliche Zweig für Mädchen von 10-18 Jahren war der BdM (Bund deutscher Mädchen). Ab 1936 bestand eine gesetzlich geregelte Pflichtmitgliedschaft. (s. Wikipedia)

Zur Anwerbung von Nachwuchs kam eine Kommission in die Schule und nahm Schülerinnen und Schüler in die Hitlerjugend auf. Gerne Hätte ZZ 28 (1940-48) auch eine Uniform getragen, doch erlaubte ihm seine Mutter das nicht. So trat er im Trainingsanzug an. Das Zeltlager der HJ in Bad Schwalbach wurde ihm aber von seinen Eltern verboten. HJ-Führer in Wehen war der Sohn des Lehrers Schneider. Dieser ließ die HJ Flaschen sammeln und befreite sie auch man von der Schule. Sein Vater, der damit gar nicht einverstanden war, „verpasste ihm eine Ohrfeige.“

Für die Mitarbeiter der HJ fanden Geländeübungen mit festen Terminen in Bad Schwalbach statt“ so ZZ 16 aus Watzhahn. 1941, er war 10 Jahre alt, lief er stets zu Fuß dorthin. Auch musste die Hitlerjugend den Brandschutz übernehmen, gerade dann, als die Feuerwehrleute im Krieg waren. Dazu hatten sie bei der Feuerwehr eine Ausbildung erhalten. Einen Großeinsatz hatten sie im Krieg, als die alte Hafermühle Herdling in Hahn, von Wehen kommend an der Aarstraße rechts, abbrannte. „Da hat Erich Best, Zwillingssohn aus dem Gasthaus zur Sonne in Hahn, ganz wunderbar gelöscht und wunderbar mitgewirkt.“ (ZZ 5).

ZZ 35 aus Wingsbach trug in der HJ ein Braunhemd, welches ihm ein Jude aus Breithardt verkauft hatte. „man war ja als junger Mensch Feuer und Flamme dafür.“

Für die Schulentlassene nach 8 Schuljahren folge ein „Landjahr“, welches die jungen Leute ab 14 Jahren z.B. bis nach Pommern führte. Anm.: Ab 1934 war das Landjahr, welches schon in der Weimarer Republik als „Landhilfe“ aus arbeitsmarktpolitischen Gründen für Buben und Mädchen eingeführt worden war, verpflichtend eingeführt worden (s. Wikipedia).

Dazu wurden, wie ZZ 5 berichtet, nur gute ausgesucht, die von den Lehrern gemeldet wurden“. Anfangs wurde dort viel Sport getrieben. Auch eine vormilitärische Ausbildung gab es. Dann ging es zu den Bauern, um diesen zu helfen. 15 Buben aus dem ehem. Untertaunuskreis erlebten in ihrem „Landjahrlager“ so den Luftangriff auf Polen am 1 September 1939, als die Geschwader über ihr Köpfe flogen. „Es hat die ganze Nacht gebrummt.“ Auf sein Landjahr folgte dann nahtlos eine dreijährige Lehre in Wiesbaden, der sich ab 1943 der Wehrdienst anschloss. Dieser führte ihn schließlich als Panzersoldat u.a. bis nach Königsberg. Die dramatischen Ereignisse in der Folgezeit sind im unvergesslich. Dass er es unbeschadet nach Hause geschafft hat, ist dem Hahner noch heute ein Rätsel. Den Wingsbacher ZZ 35 führte das Landjahr in die Nähe von Worms. Daran schloss sich die landwirtschaftliche Winterschule in Bad Schwalbach an. Mit 17 Jahren erhielt er schon eine Einberufung in ein Wehrertüchtigungslager im belgischen Spa.

Nicht so weit von zu Hause erlebte ZZ 132 aus Hambach, der spätere Bürgermeister, das Landjahr, im Alter von 14 Jahren, nämlich in der Wetterau. Davor war er in Wiesbaden bei der Hitlerjugend gewesen, danach musste er 1945 im Alter von dann 16 Jahren nach Warschau zur Reichslandesführerschule. Von dort wollte er kurz vor Kriegsende nach Hause fliehen, wurde jedoch von seinem Vater aus Angst wieder weggeschickt: „Falls der Krieg doch noch gewonnen würde.“

Junge Leute wurden auch in den RAD (Reichsarbeitsdienst) einberufen.

Anm.: Ab Juni 1936 musste jeder junge Mann eine sechsmonatige, dem Grundwehrdienst vorgelagerte, Arbeitspflicht ableisten, ab Beginn des 2. WK auch die weibliche Jugend. AB Mitte 1944 übernahm er die sechswöchige militärische Grundausbildung am Gewehr (s. Wikipedia).

ZZ 11 wurde mit 17 Jahren in den RAD einberufen, ehe er mit 18 Jahren im Februar 1945 Soldat wurde. Schon zwei Monate später geriet er bis November 1948 in französische Kriegsgefangenschaft. ZZ 35 wurde 1945 nach dem Wehrertüchtigungslager in das RAD-Lager in Rhaunen geschickt. Diesem Lager folgten solche in Lollar und Plauen (Bayern), wohin sie alle mit dem Fahrrad gefahren waren. Dort wurde er von der Wehrmacht übernommen und noch am 20.4.1945 vereidigt. 18 Jahre war er. An der Elbe ging sein Bataillon „in Sechserreihen“ in amerikanische Gefangenschaft. Auf einer Weide lagerten sie mit einer Decke („Kult“) als Zelt. Er wurde glücklicherweise entlassen, weil er sich als Landwirt ausgegeben hatte und kam nach Diez. Von dort lief er zu Fuß nach Wingsbach. Dort kam er am 30.5. an.

Anm.: 1938 wurde ein Pflichtjahr für Frauen unter 25 Jahren eingeführt, welches in Konkurrenz zum etablierten Landjahr sowie ab 1939 zum Dienst im RAD stand. Ohne Nachweis über das abgeleitete Pflichtjahr konnte keine Lehre oder eine anderweitige Ausbildung begonnen werden. Die jungen Frauen mussten ein Jahr in der Land- und Hauswirtschaft arbeiten. (s. Wikipedia)

7.1  Jüdische Einwohner und Einwohnerinnen

ZZ 1 erinnert sich an zwei jüdische Familien namens Ullmann Lewi. Beide wohnten in der Aarstraße neben der Viehverwertung. „Die Familie Lewi hat Hahn wohl rechtzeitig verlassen“.     (ZZ 3)

In der „Tannenburg“ war ein jüdischer Arzt tätig. „Er wurde zunächst auch von PGs aufgesucht.“ ZZ 1

Der Klassenkamerad des Juden Stefan Nassauer aus Wehen war Friseur in Hahn geworden. Dorthin kam Stefan immer Haare schneiden, bis dies einem Hahner SS-Mann („Schwarze SS – das waren Schlägertypen“) auffiel. „Er stauchte den Friseur zusammen: Was fällt Dir ein, dem Judd die Haare zu schneiden. Wenn ich das noch einmal sehe, kommst Du nicht so ohne Weiteres davon.“ Stefan Nassauer bekam die Haare dann montags geschnitten, wenn der Friseur zu hatte. „Dazu kam er durch den Hintereingang so lange, bis die Familie Nassauer abgeholt wurde.“ (ZZ 5)

In Bleidenstadt hatte der jüdische Metzger Kahn eine Metzgerei. Sie hatten auch einen Viehhandel und eine große Viehhalle. Die Kinder wurden „hintenrum“ zum Metzger geschickt, damit der andere Metzger in Bleidenstadt, ein „Nazi von Anfang an“, dies nicht mitbekam. Als Frau Kahn starb und auf dem jüdischen Friedhof in Wehen beigesetzt wurde, durften die Bleidenstädter dem Trauerzug nur bis zum Ortsausgang folgen. „Der jüdische Metzger von Bleidenstadt hatte Geld und machte sich aus dem Staub. Er wanderte nach Argentinien aus.“    (ZZ 12)

In Wehen gehörten „die Rosa und das Jakobsche“ mit ihren Judensternen zum Alltag, erinnert sich ZZ 19. Die Familie Nassauer hatte 1936 noch eine Metzgerei und einen Viehhandel in der Weiherstraße, die spätere Metzgerei Kaiser. Otto Nassauer betrieb einen Viehhandel in der Adolf-Hitler-Straße. „Einige Juden hatten Wehen zu diesem Zeitpunkt verlassen und waren nach Amerika ausgewandert. Die Häuser wurden meist zu einem niedrigen Preis an gute Parteimitglieder verkauft. Ich kann mich noch sehr gut dran erinnern, dass im Jahr 1938 der Jude Karl Simon, begleitet von SA-Leuten, mit Trommeln durch Wehen getrieben wurde. Er trug ein großes Schild auf der Brust und dem Rücken mit der Aufschrift: „Ich bin das größte Schwein der Welt und wollte ein christliches Mädchen schänden“. Ob dies der Wahrheit entsprach, wurde schon zu dieser Zeit stark angezweifelt. Im November 1938 wurde die Synagoge in der Weiherstraße angezündet. Da wir nicht weit weg wohnten, konnten wir von unserem Schlafzimmer diesen Brand sehr gut sehen. Die Geschwister Nassauer wohnten noch in der Weiherstraße, durften aber zu dieser Zeit kein Geschäft mehr betreiben. Auch das Einkaufen war für sie nicht mehr möglich. Meine Mutter hat längere Zeit für die Familie Nassauer eingekauft und die Waren bei uns in die Scheune gelegt, wo Jakob Nassauer sie dann abends abholte. Aber irgendein Nachbar bemerkte dies wohl und so wurde mein Vater zum Bürgermeister Meier bestellt. Dieser machte ihm unmissverständlich klar, dass die Sache eingestellt werden müsse, ansonsten er sofort, der Krieg hatte schon begonnen, zur Wehrmacht eingezogen würde. Dieses Risiko wollte mein Vater nicht eingehen und somit wurde dies eingestellt. Die Familie Nassauer wurde 1942 abgeholt. Über deren weiteres Schicksal ist mir nichts bekannt. In dieser Zeit mussten alle Juden einen gelben Stern tragen.“ (vorgelesen v. ZZ 26). Anm.: nachzulesen auch in seinen „Erinnerungen und Begebenheiten“. Otto Nassauer hat überlebt und kam nach dem Krieg immer wieder nach Wehen. Er saß am Stammtisch im Café Schrank, angezogen wie früher: schwarze Strickjacke, weiße Knöpfchen links und rechts. Sein Glück war, dass er mit den Nazis in Wehen gefeiert hat. Die sagten ihm, dass er in Gefahr sei. Er machte sich dann weg.“ (ZZ 28) Ein unehelicher Sohn Nassauers (E. K.) erbte schließlich „sein ganzes Vermögen“, auch die Metzgerei, die er dann in Wehen weiter betrieb, dort, wo früher die Synagoge stand. (ZZ 28, ZZ 26 und ZZ 19)

In Neuhof gab es keine Juden. Aber die Wehener Juden, Kriegsteilnehmer aus dem Ersten Weltkrieg, kamen in die Gaststätte zu Burg. „Als es mit Hitler losging, durften sie nicht mehr bewirtet werden, sondern tranken ihr Bier in unserer Waschküche.“ (ZZ 7) Dafür zeigte ein Nachbar den Wirt dann an. Sie seien eine Judenwirtschaft.

7.2  Es war Krieg

Als der Krieg begann, verabschiedeten sich die Wehrpflichtigen jungen Männer meist mit einer kleinen Feier von ihren Freundinnen und Freunden. „Sie wären unglücklich gewesen, wenn sie nicht Soldaten geworden wären.“ (ZZ 7) Ein Sohn der Sohn der Familie Albus in Watzhahn „war noch vor Freude über die Einberufung die Treppe an der Post hinunter gesprungen.“

Nicht selten traf schon kurz darauf die Nachricht von ihrem frühen Tod ein. Auch er war unter den Gefallenen. „Dies war in den Dörfern jeweils fürchterlich. Die ganze Dorfgemeinschaft litt mit.“

Von elf Klassenkameraden der ZZ 7 in Neuhof kamen nur vier wieder nach Hause. Allein die Familie Müller mit fünf Kindern verlor drei Söhne und den Schwiegersohn. (ZZ 2)

Die Nachricht wurde den Angehörigen meist von dem jeweiligen NSDAP-Ortsgruppenleiter überbracht. Es waren meist nur noch Kinder, Frauen und alte Männer im Dorf. (ZZ 4)

Sonntags, wenn in Bleidenstadt um 10 Uhr Gottesdienst war, rief ein SA-Mann die wenigen verbliebenen Männer zusammen. Sie mussten antreten und Dienst versehen: Hinter der evangelischen Kirche Richtung Seitzenhahn mussten sie in den Graben und ihre Übungen absolvieren. Das traf auch Kriegsteilnehmer aus dem Ersten Weltkrieg. (ZZ 4) Der Vater des ZZ 4 musste 1940, im Alter von 41 Jahren, mit dem Fahrrad in Frankreich zum Kriegsdienst antreten. Im Krieg wurden auch englische „Feindsender“ (deutsche Nachrichten) heimlich abgehört. (ZZ 26)

ZZ 35 aus Wingsbach erinnert sich, dass manchmal deutsche Soldaten bei den Bauern einquartiert waren. Sie kamen mit Pferdegespannen und Kanonen. Diese Pferde wurden dort untergestellt und gefüttert. Den Bauern selbst wurden die Pferde meist weggeholt. Dies erfolgte aber stets nur für etwas drei Wochen, in denen die Pferde bei Manövern gebraucht wurden. Dann konnten sie in Wiesbaden am Güterbahnhof wieder abgeholt werden. Unser „Max“ fand den Weg in einen Stall sofort wieder.“ Wenige dieser Soldaten blieben auch nach dem Krieg, wie z.B. in Wehen, und heirateten dort, so z.B. die Familie Lehmann. (ZZ 26)

Auch Fremdarbeiter waren für längere Zeit in den Dörfern bei den Bauern. Nach dem Frankreich-Feldzug 1939/40 erfolgten Einquartierungen zunächst mit französischen Kriegsgefangenen. Sie wurden nach den Berichten der Zeitzeugen meist gut behandelt, durften aber, wie mehrere ZZ betonen, eigentlich nicht mit den Familien am gemeinsamen Tisch essen. Dieses Verbot wurde aber offenbar häufig umgangen. ZZ 34 erinnert sich an einen kriegsgefangenen Franzosen in Wehen („Schorsch“): Er durfte mit der Familie essen, obwohl es verboten war.“ Wenn es klopfte, musste er zum „Polentischchen“. „Schorsch“ hielt auch nach dem Krieg Kontakt zur Familie.

Auch in Wingsbach waren Franzosen als Arbeiter einquartiert. Sie schliefen im Saal bei Arnold Guckes. Morgens kamen sie immer zum Arbeiten zu den Bauern. Als der Hof des Bauern Forst in Wingsbach im Krieg abbrannte, waren Franzosen auch am Wiederaufbau dann jedoch gegenüber der Turnhalle beteiligt.

Bei den Eltern des ZZ 35 arbeitete Marcel. „Er saß mit uns am Tisch. Aber wenn das Türchen ging, war er zack an seinem Platz, weil das verboten war.“ Marcel kam nach dem Krieg mehrmals mit dem Zug nach Wingsbach zu Besuch. Nicht alle besuchte er allerdings. Einer der Bauern habe ihm das Brot immer nur hingeschmissen. „Egal Hund“ sagte er. Umgekehrt besuchte in der ZZ in der Folgezeit dreimal in Chalons.

Auch die ZZ 7 schildert, dass Kriegsgefangene bei ihnen zu Hause in Neuhof mit am Tisch gegessen hätten und sich ihr Großvater über das Verbot hinweg gesetzt hätte: „Die schaffen mit uns, also essen sie auch mit uns.“ Diese Haltung brachte ihm eine Anzeige durch einen Nachbarn ein.

Kriegsgefangenenlager bestanden in Hahn (ZZ 1) und in Bleidenstadt. (ZZ 20) Russische Kriegsgefangene waren auf dem Gelände der Backsteinfabrik in der Aarstraße untergebracht. Die Fabrik selbst war außer Betrieb. Wenn die Kriegsgefangenen morgens zum Steinbruch nach Wehen zur Arbeit geführt wurden, hatten sie aus Holz geschnitzte Figuren dabei. Diese tauschten sie bei der Bevölkerung gegen Essen ein. „Sie konnten sehr gut schnitzen.“ Drei dieser russischen Gefangenen starben und wurden in Wehen beigesetzt. (ZZ 26

Auch war der Bai eines Konzentrationslagers im Wald östlich von Bleidenstadt im Gange. (ZZ 20) „Die Verbrennungsöfen waren schon begonnen worden.“ Häuser waren dort rund gebaut worden. Das Ofenrohr war zu erkennen. (ZZ 20) Während des Kriegs war dies der Bevölkerung wohl unbekannt. „Sickerte erst dann durch.“ In Bleidenstadt munkelte man: „Da wären wir auch dabei gewesen.“ „Alles, was kein Hitler war.“ (ZZ 4) Eine Materialbahn existierte von dort zum Bahnhof eiserne Hand. Am Wochenende fuhren die Buben mit ihr zur Eisernen Hand und liefen weg. Ach war ein Steinbruch in der Nähe.

Die Arbeiter im Konzentrationslager kamen aus dem Gefangenenlager auf dem Sportplatz, dem späteren Simokat-Gelände. „Das Gefangenenlager war schlimm. Die Männer, nur in blauen Anzügen, froren bei Wind und Wetter. Alle Nationalitäten waren vertreten. Reden durften sie aber keinen Ton mit ihnen.“ Aber die Bauern konnten sie zur Feldarbeit ausleihen. (ZZ 4/24) Ein Bleidenstädter Zeitzeuge (ZZ 24) hatte noch bis 2009 Kontakt mit einem der Insassen. „Man wusste nicht, war das Lager ein Krankenhaus oder ein Konzentrationslager.“ (ZZ 24) „Die russischen Strafgefangenen wurden von SS-Leuten bewacht. Die Bevölkerung durfte sie zum Arbeiten rausholen. Das tat man schon, um ihnen was Richtiges zu essen geben zu können. Sie kamen gern zu den Leuten und halfen bei den Bauern oder in den Gärten. Sie wurden auch immer wieder zurück gebracht.“ (ZZ 8)

Einer dieser Fremdarbeiter, ein Russe, wurde in Hahn erwischt, als er in ein Haus in der Aarstraße (Ecke Gottfried-Keller-Str.) eingebrochen war. Er wurde gefangen und sollte dem örtlichen Polizisten Becker demonstrieren, wie er durch das Kellerfenster eingedrungen war. Dabei blieb er diesmal stecken. Der Polizist „...schlug auf ihm rum und nahm ihn mit“. Anschließend wurde der Gefangene angeblich auf der Flucht von dem Polizisten im Wald erschossen. (ZZ 20 und 24) „Becker war ein ganz großer Schweinehund“. (ZZ 20) „Er war kein Guter“. (ZZ 26) Er galt zwar als guter Schiedsrichter bei Fußballspielen, aber sonst als gnadenlos. Nach einem gewonnenen Fußballspiel zog ZZ 5 mit seinen Mannschaftskameraden nach Bleidenstadt in die „Stadt Wiesbaden“, um dort den Sieg zu feiern. Es wurde getrunken. Aber Alkohol gab es nicht. Ab 21 Uhr war Ausgangssperre. Schon 10 Minuten danach stand Becker in der Tür und bestrafte sie mit einem Knollen. Dann ging er weiter zum „Engel“. Diese Gelegenheit nutzte Herrmann Best, Bruder von Erich Best. Er fuhr mit Beckers Rad weg und warf es fort. Dabei war er aber von einem Bleidenstädter beobachtet worden. Er meldete die jungen Männer. Am nächsten Tag verhaftete Becker sie. Zur Strafe mussten sie im Amtsgericht Wiesbaden Ordner sortieren. Auf Holzbänken übernachteten sie dort. Später zum Wehrdienst eingezogen, fielen die beiden Zwillingssöhne Herrmann und Erich kurz hintereinander auf dem Balkan. (ZZ 20) Ihr Bruder August, der im Hotel Rose in Wiesbaden eine Kochlehre absolviert hatte, arbeitete, wie in Hahn immer wieder erzählt wurde, bei der Leibstandarte Hitlers auf dem Obersalzberg. Später übernahm er das Gasthaus von seinen Eltern. (ZZ 5)

In Wingsbach waren Kriegsgefangene im Saal des Gasthauses „Nassauer Hof“ untergebracht gewesen. Sie schliefen dort und wurden morgens auf die Landwirtschaft aufgeteilt, da die meisten Bauern im Krieg oder gefallen waren. Von den 198 Einwohnern Wingsbachs waren 9 oder 10 umgekommen. „Die Kriegsgefangenen wurden gut behandelt“ betont ZZ 11.

Luftangriffe erfolgten nicht nur auf Wiesbaden, Frankfurt und Mainz, sondern auch auf Hahn und Wehen. Dort explodierten auch Luftminen. Die Bomberpulks der Alliierten wurden von deutschen Kampffliegern angegriffen, die in Erbenheim aufgestiegen waren. Dann kam es über Wehen auch immer mal zum Luftkampf. In einem Fall wurde eine Maschine im Bereich der Eschbach abgeschossen. Der Pilot hin in einem Baum und wurde von Wehener Bürgern geborgen und in ein Lazarett gebracht. (ZZ 19) Ein weiteres Flugzeug stürzte bei Wingsbach ab. (ZZ 11, 26, 31) Ende 1943 hatte sich der Wingsbacher Bürgermeister Kugelstadt bei dem NSDAP-Kreisleiter unbeliebt gemacht, als er ihm einen Flugzeugabsturz in der Nähe des Dorfes nicht gleich gemeldet hatte. „Dafür bekam er ein mords Rüffel“ erinnert sich ZZ 11. Man habe den Piloten nach Bad Schwalbach bringen sollen. Auf dem Weg habe er versucht zu fliehen. „Im Zug auf der einen Seite rein und auf der anderen wieder raus. Er wurde aber wieder eingefangen.“ (ZZ 11) Es sei die gesamte Besatzung, 6 bis 7 Mann gefangen genommen worden. „Es müssen Engländer gewesen sein. Man hat von ihnen nichts mehr gehört.“ Später habe ZZ 31 in Wiesbaden einen Dekan getroffen, der von sich behauptete, er habe damals mit der Flak bei Bierstadt dieses Flugzeug abgeschossen.

ZZ 35 erinnert sich daran, dass die Besatzung damals von einem Bürger angespuckt worden sei, weil sie Bomben abgeworfen hätten. „War nicht richtig.“

1942/43 war ZZ 11 auch Augenzeuge gewesen, als über Watzhahn und über Orlen je ein deutsches Jagdflugzeug abgeschossen wurde. Über Orlen sei es ein deutsches Jagdflugzeug gewesen (ME 109), das sich auf einem Ausbildungsflug von Erbenheim kommend befand. „Die Piloten waren in einen Schwarm amerikanischer Jagdflugzeuge geraten.“ Über der Aarquelle am Zugmantel ging die Maschine zu Boden. ZZ 11 und einige Kameraden fanden zunächst die Kanzel des Flugzeugs. Sie holten dann zunächst den Piloten und anschließend zwei weitere Besatzungsmitglieder aus der zerstörten Maschine. Die Beisetzung erfolgte in selbst gefertigten Särgen („Kisten“). Für die Besatzung sei es ein Glück gewesen, so beerdigt worden zu sein. ZZ 21 erinnert sich an den Absturz eines kanadischen Flugzeugs nach einem Luftangriff auf den Raum Mainz/Wiesbaden in der Nähe von Orlen. Den hat sie zusammen mit einer Freundin erlebt, als sie gerade aus der Schule nach Hause geschickt worden waren. Zwei bis drei Soldaten konnten geborgen werden. Sie wurden auf dem Orlener Friedhof „vorne in der Ecke an der Mauer“ beerdigt. Gleich nach Kriegsende wurde nach ihnen gefragt. Amerikaner gruben die Särge aus und nahmen die Erkennungsmarken an sich. „Es war ein Glück für die Orlener, dass man die Leichen noch gefunden hat. „Sonst hatte der Verdacht bestanden, dass sie verbrannt worden seien.“

In Orlen wurden Erdbunker in der Obergasse und an dem Weg nach Wehen gebaut. Sie wurden aus Holzstämmen konstruiert, die mit erde überdeckt wurden. „Dieses wurde von den Bauern rangeschafft“ berichtet ZZ 21. Dorthin flohen die Bürger dann jeweils, Ihr Vater nahm dann immer die Geldkassette der Familie mit. Auch in Hambach fielen Bomben. Wie sich ZZ 36 erinnert, fiel eine direkt neben das Dorf südlich der alten Schule. „Da gingen die Fensterscheiben zu Bruch“. Und dort, wo heute der Wasserhochbehälter ist, war ein Tannenwald, in dem der Vater der ZZ und weitere Männer aus dem Dorf Holz machten, als eine Luftmine hineinfuhr und „alles ab machte. Drei Meter weiter hätte sie allen die Lunge zerrissen.“

Als Eisenbahner erlebte ZZ 12 aus Seitzenhahn Luftangriffe im Sommer 1944 auf den Hauptbahnhof in Wiesbaden und am 8. und 22.10.1944 auf den Bahnhof in Bad Schwalbach. „Die Decken des Schwalbacher Bahnhofs hingen schon runter. Sechs Tote gab es damals. Rettung gab es vor den Tieffliegerangriffen auf dem Bahnhof nur unter einem Packwagen. Im Gestänge des Wiesbadener Hauptbahnhofs hingen nach den Angriffen die Fleischfetzen von jungen Soldaten. Diese sollten zu einem Wehrertüchtigungslager.

Die Körper der Toten musste ich mit ausladen.“ Auch kann er sich noch an die Deportation jüdischer Mitbürger von der Rampe am Schlachthof erinnern. „Wir wussten nicht, wo sie hinkamen. Wir wussten nicht, dass sie deportiert wurden.“

Auf dem Weg nach Bleidenstadt wurden auch Hahner Konfirmanden von Tieffliegern beschossen. (ZZ 20) Wegen der nahen Flakstellung auf der Platte erlebten die Neuhofer häufiger Luftangriffe. Sie mussten dann in einen Erdbunker fliehen. Abends konnte man die Flak-Scheinwerferkegel beobachten, die den Himmeln ach Bombern absuchten. Es gab durchaus Abschüsse von solchen „fliegenden Festungen“ aber auch die Bombardierung Neuhofs mit Brandbomben. Eine landete unmittelbar in der Wiese an der Straße nach Idstein, direkt an der Zufahrt nach Engenhahn. Im Kreuzungsbereich der Straßen von Wiesbaden nach Limburg und Bad Schwalbach nach Idstein befand sich eine Tankstelle unmittelbar vor dem „Gasthaus zur Burg“. ZZ 7 verrichtete dort mit 14 Jahren bereits ihren Dienst. „Täglich gab es Unfälle wegen der Unübersichtlichkeit der Kreuzung. Auch eine Polizeistation gab es dort und bereits eine KFZ-Werkstatt. Die Wiese vor dem Haus wurde auch bombardiert. Auch über Neuhof wurde ein Flugzeug abgeschossen (ZZ 7).

Das „Gasthaus zur Burg“ war im Krieg stets gut besucht von Soldaten, die auf dem Flughafen in Erbenheim oder in der Flakstellung auf der Platte ihren Dienst versahen. Immer wieder mal drehte ein Pilot aus Erbenheim eine Ehrenrunde über der „Burg“.

Lebhaft hat ZZ 14 einen Jagdbomberangriff auf ihn in Hahn in Erinnerung. Er war auf dem Heimweg nach Orlen und konnte sich nur noch durch Flucht in den verrohrten Bachlauf des Eschbachs unter der Aarstraße retten. „Hahn wurde zweimal mit Spreng- und Brandbomben belegt.“ die Luftangriffe Anfang 1945, die beträchtlichen Schaden anrichteten, sind nachzulesen in den bereits zitierten Erinnerungen von Ludwig Schauss.

Ein Wehener Bürger wurde mit seinem Auto nach Frankfurt beordert, wenn dort Luftangriffe stattgefunden hatten und die Menschen aus den brennenden Trümmern befreit werden mussten. (ZZ 19) Sie wurden evakuiert und z.B. in Bad Homburg oder auch in den Dörfern an der Oberen Aar in Sicherheit gebracht. Es erfolgten dann Zwangseinquartierungen in den Familien. (ZZ 26) Aus Angst vor Luftangriffen wohnten z.B. auch Wiesbadener in Hahn und Wehen. Sie waren aber auch hier nicht verschont, sondern mussten oft genug in die jeweiligen Luftschutzbunker, in Hahn z.B. am Kreckelberg, fliehen.

Ein sich in der Aarstraße 127 befindlicher Luftschutzbunker aus dem Ersten Weltkrieg, er existiert noch heute unter einem Vorgarten, wurde aber eher gemieden. „Den hat der Kaiser Wilhelm gebaut.“ (ZZ 20) Die Geflohenen hatten in ihren Autos alles mitgebracht, was sie unterbringen konnten, nur um raus aufs Land zu kommen. „Die Fahrer konnten kaum aus den Fenstern der Autos schauen.“ (ZZ 19) Die ZZ 1 aus Hahn erinnert sich, dass in ihrem Elternhaus Ausgebombte aus Frankfurt und Wiesbaden untergebracht waren. „Aus Frankfurt kam eine ganze Schulkasse Evakuierter mit ihrem Lehrer nach Wingsbach“ schildert ZZ 31. Die Schüler wurden auf Familien aufgeteilt, der Lehrer erteilte hier Unterricht. Nach dem Krieg bleiben einige dieser Schüler in Wingsbach, gerade dann, wenn sie Vollwaisen geworden waren. „Ein Schüler aus Frankfurt, der sich mit einem Klo über den Hof nicht auskannte, „pinkelte nachts in den Ofen, weil er nicht wusste, wo er hingehen sollte“ erzählt ZZ 11. „Etliche Bombengeschädigte kamen aber auch nur zum Betteln in die Dörfer, um Kartoffeln, Eier etc. zu bekommen, meist ohne Gegenleistung. Es wurden aber z.B. auch Schuhe gegen eine Gans eingetauscht“ schildert ZZ 29 aus Seitzenhahn. „Hier wohnten ausschließlich Kleinbauern, die eigentlich Selbstversorger waren.“

Luftbeobachtungstürme“ gab es auf dem Halberg in Wehen und auf der Hohen Wurzel. Ein Zeitzeuge, ZZ 28, dessen Vater nur heimatverwendungsfähig war und auf dem Halberg Dienst versah, kann sich gut daran erinnern, dass er seine Hausaufgaben oft in dem Turm erledigte. „Anfangs war dies nur eine Hütte mit Hochsitz.“ Nach dem Krieg wurde der Turm auf dem Halberg, wie sich ZZ 28 erinnert, von den Amerikanern abgerissen bzw. abgebrannt. Zur Nachrichtenübermittlung gab es „Blitzmädchen“. Davon gab es in Wehen zwei oder drei junge Frauen. Ab Ende 1944 und dann 1945 wurden über Wehen Flugblätter abgeworfen. (ZZ 26) Diese mussten von den Schülerinnen und Schülern eingesammelt werden. Aber auch durch Radio BBC war man informiert. „Es wurde alles gemacht, um dies abends hören zu können“ erzählt ZZ 21 aus Orlen. „Klopf, Klopf, Klopf...hier ist England“ hat sie die jeweilige Ansage gut in Erinnerung. „So waren wir von der Gegenseite informiert.“ Das Ergebnis sei für sie auch als Kinder enttäuschend gewesen, bekamen sie in der Schule doch eine andere Version des Kriegsverlaufs geschildert.

Eine „vertrackte Geschichte“ ereignete sich in Bleidenstadt. Der katholische Pfarrer Schermuly hatte angeblich ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau. Diese ließ sich scheiden. Beim Scheidungstermin musste der Pfarrer schwören, dass er kein Verhältnis mit ihr hatte. Es kam aber raus, dass dieses Verhältnis doch bestand. Wegen Meineids musste er ins Zuchthaus und starb dort nach halbjähriger Haft. (ZZ 8)

Evangelischer Geistlicher in Bleidenstadt war zunächst Pfarrer Färber, vor dem die ZZ 1 aus Hahn 1935 konfirmiert wurde. Sein Nachfolger war Pfarrer Donsbach. Er war auch für die Pfarreien bis nach Laufenselden zuständig. Die betreute er, Sommer wie Winter, mit dem Fahrrad. Benzin war rationiert und sein Auto beschlagnahmt worden. Er und seine Frau kümmerten sich auch in besonderem Maße um die Leute im Dorf. „Echte Pfarrersleut.“ (ZZ 24) Auch in Wehen war Pfarrer Donsbach tätig und vertrat dort den Pfarrer Bremmer, welcher zum Kriegsdienst eingezogen worden war. Pfarrer Bremmer, „tatkräftig und hilfsbereit“, kam aus dem Krieg zurück und blieb Pfarrer in Wehen bis 1947/48. (ZZ 26) „In der Hitlerzeit ging nicht jeder in die Kirche. Das war schon schwierig. Von SS-Leuten wurde verlangt, dass sie aus der Kirche austreten“. (ZZ 6)

Konfirmationen wurden in Orlen durch Jugendweihen ersetzt. Diese fanden in einer Gaststätte statt. „Der Lehrer war Nazi. Er drängte die Familien dazu, aus der Kirche auszutreten und übernahm selbst die Pfarrerrolle. Er beerdigte und taufte.“ (ZZ 11) In Wingsbach gab es weiterhin nur Konfirmationen. (ZZ 35) Die Orlener und Neuhofer jungen Leute wurden erst 1946, dann z.T. mit 17, von Pfarrer Bremmer in Wehen konfirmiert. „Er war froh, dass er uns los war.“ (ZZ 14) Die Ehefrau des ZZ 35 aus Orlen musste sich auch noch von ihm konfirmieren lassen, bevor sie heiraten konnte. Als „klein und handgreiflich“ beschreibt ZZ 35 den Pfarrer.

Die Züge der Aartalbahn verkehrten auch während des Kriegs von und nach Wiesbaden. Schon früh am Morgen, ab 5 Uhr im Stundentakt, war die Fahrt nach Wiesbaden möglich, wenn die Loks und Wagen auch häufig von Tieffliegern angegriffen wurden. Oft genug versteckten sich die Leute im Wald auf der Eisernen Hand und liefen dann zu Fuß nach Hause. (ZZ 8) Der Transport von Post, Personen und Gütern vom Bahnhof Hahn-Wehen wurde auch im Krieg z.B. für die Wehener Bevölkerung mit einer Pferdekutsche von einem Bauern, dem Großvater der ZZ 34, bewerkstelligt, der seinen großen Hof mit zwei Pferden unterhalb des Rathauses hatte. Wenn ihr Opa wieder mal mit der Kutsche Post in Hahn abholte, legte sich ihre Großmutter besorgt auf die Straße in wehen, drückte ihr Ohr fest auf das Pflaster und hörte ihren Mann schon am „Waldfrieden“ kommen. Im Winter, wenn alle Straßen wochenlang von Schnee bedeckt waren, für er mit dem Pferdeschlitten. Bei Überlandfahrten mit der Familie legte er seinen Lieben heiße Backsteine an die Füße. Mit Pferdefuhrwerken vom Bahnhof Hahn-Wehen kommend wurde auch Neuhof mit Kohle usw. versorgt. Aus Neuhof, Orlen usw. fuhr man mit dem Fahrrad nach Hahn, um dann mit dem Zug nach Wiesbaden zu fahren. Einer Unterschriftensammlung auf Initiative der ZZ 6 und ihrer Freundin Ilse in Neuhof war es zu verdanken, dass ein täglicher Bus von Kirberg bis Hahn eingeführt wurde. Da zu dieser Zeit Bombenangriffe auch auf Mainz erfolgten und Handwerker aus „Libbach“ usw. dienstverpflichtet wurden, um dort zu helfen, bekam sie auch deren Unterschriften für eine bessere Verkehrsanbindung an Wiesbaden. Auch die jeweiligen Lehrer und Pfarrer der einzelnen Anliegergemeinden engagierten sich dafür, dass die Kinder dann leichter nach Wiesbaden zur Schule fahren konnten. „Und so fuhren schließlich zwei Busse aus Wiesbaden zurück: Einer für die Schülerinnen und Schüler mittags und der andere abends für die Arbeiter. Und das mitten im Krieg.“

Schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg („zwanziger Jahre“) war mit den Rodungen für den Bau der Siedlung Platte bei Neuhof begonnen worden, erzählen ZZ 6 und ZZ 7. Die Familien Kunze, Fischer und Krause waren die ersten Ansiedler. Sie kam aus Dotzheim, weswegen das Baugebiet bald „Neu-Dotzem“ genannt wurde. Sie siedelten dort, um Landwirtschaft zu betreiben. „Die Männer brachten Backsteine aus Wiesbaden im Rucksack mit. Damals hatten wir noch eine französische und englische Besatzung in Neuhof.“ (ZZ 6) Nicht weit entfernt verkehrte die Prominenz auf Jagdschloss Platte. „Alles war sehr elegant. Die Wiesbadener übernachteten da, wie ZZ 7 berichtet, „wenn es denen in der Stadt zu heiß geworden war.“ Auch der Bruder von Generalfeldmarschall Rommel soll nach ihrer Information dort gewesen sein und habe angeblich seine Abschiedsrede geschrieben. „Dann marschierte er nach Neuhof und erschoss sich noch im Wald.“

Zum Kriegsende („Ende März/Anfang April 1945“) wurde das Munitionslager in Hahn von der Wehrmacht gesprengt. „Glück für das Dorf, dass nur die Hälfte hochgegangen war. Es waren gewaltige Detonationen2 schildert ZZ 20. Kurz danach, es war am 5. April, hatte er einen schweren Unfall. Er hatte mit Freunden Granaten aus dem „Muni“ geholt. Von den Stielhandgranaten wollten sie die Kordeln abmontieren. Dies gelang auch zunächst bei 30 bis 40 Exemplaren. Aber die Buben hatten übersehen, dass dort noch die Zünder steckten. Ein solcher wirkte wie ein Sprengsatz und riss dem Zeitzeugen drei Finger weg. Dr. Sprenger aus Hahn ordnete an, dass er innerhalb von zwei Stunden operiert werden müsse. Bäcker Rock erklärte sich sofort bereit, ihn in Begleitung einer Krankenschwester aus Hahn in das Standortlazarett in Bad Schwalbach am Kurhaus zu fahren. „Ein beinamputierter Arzt operierte mich sehr erfolgreich.“ Auch ZZ 28 aus Wehen kann sich noch gut an diese Sprengungen durch die Wehrmacht erinnern. Große Mengen an Flakgranaten 8,8 cm blieben jedoch unversehrt und lagen dort noch lange Jahre zusammen mit andrer Munition nicht tief im Waldboden. Wie ZZ 1 sich erinnert, soll in unmittelbarer Nähe zum Munitionslager auch eine Einrichtung des Lebensborns bestanden haben („wir schenken dem Führer ein Kind.“) „Dort standen nach meiner Beobachtung viele Kinderbadewannen rum.“

Mit dem Rückzug der deutschen Truppen kam es auch zu Einquartierungen wie z.B. in Orlen. „Über die Hühnerstraße zogen die deutschen Soldaten mit ihren Trecks zurück“ erzählt ZZ 21. In jedem Haus musste ein Soldat für eine gewisse Zeit aufgenommen werden. In ihrer Familie lebte ein Stabsfeldwebel, der ihr damals noch einen Vers in ihr Poesiealbum schrieb. Dieses hat sie gut aufgehoben. Den Vers kann sie ohne Zögern aufsagen: „Der Freund, der dir den Spiegel zeiget, den kleinsten Flecken nicht verschweiget, das ist Dein Freund, so wenig er es auch zeiget.“

Die amerikanischen Truppen befanden sich bereits in Kemel, als „Einberufungszettel“ für den Volkssturm verschickt wurden. Da mussten deutsche Soldaten die Brücke hinter der ev. Kirche sprengen, um den Vormarsch aufzuhalten. 10 bis 20 Soldaten zogen singend durch die Kirchstraße, dazu waren sie gezwungen worden, Richtung Seitzenhahn. Es hieß: „Wir verteidigen Seitzenhahn bis auf den letzten Mann.“ Die Empörung in der Bevölkerung darüber war groß. Kurz darauf kamen Sanitätswagen „von oben runter und hatten gefallene Soldaten kreuz und quer darauf liegen. Diese wurden auch hier an der ev. Kirche beerdigt. Die Verwundeten kam in die alte Schule, dem späten Postgebäude.“ (ZZ 4)

Buben und alte Männer auch aus Hahn wurden nach einer Schnellausbildung beim Volkssturm mit Gewehren nach Idstein geschickt, um dort die Amerikaner aufzuhalten. „Ein Bild für die Götter“ Einige junge Leute flohen in den Wald und versteckten sich. Später vergruben sie noch ihre Gewehre aus Angst vor den Amerikanern. (ZZ 20)

Auch ZZ 14 musste gegen Kriegsende mit 16 Jahren zum Volkssturm und erhielt dort eine Ausbildung. Anschließend wurden sie im offenen LKW nach Frankfurt gefahren, um dort nach Bombenangriffen durch die Amerikaner bei Aufräumarbeiten zu helfen. Der Fuhrunternehmer kam aus Hahn. Sie sangen dort noch Lieder aus der Hitlerjugend, wogegen sich viele Frankfurter jedoch wehrten: „Ihr Drecksbuben!“
Ihr Essen bekamen sie dennoch: aus einer Gulaschkanone der Wehrmacht.

8.  Die Amerikaner kommen

In Bleidenstadt erschienen die Amerikaner aus dem Borner/Watzhahner Wald. „Dort sahen wir sie eines Morgens.“ Sie wollten mit einem Wägelchen vor ihnen fliehen, wussten aber nicht wohin. (ZZ 4) „Wir sind als hin und her gezogen, vom Unterdorf in Oberdorf und zurück.“ Herr Poulet hängte in dieser Situation ein weißes Bettlaken raus. Die Amerikaner hatten auch Angst, als sie die Häuser durchsuchten. Viele Männer wurden mitgenommen, auch ihr Bruder. Ihr Haus wurde zwar für 6 Wochen beschlagnahmt, sie durften aber zum Waschen der Wäsche reinkommen. Ihr Nachbar, Bürgermeister Geier, durfte ebenfalls drin bleiben. „die annern Nachbarn unner uns warn ganz schöne Nazis“. Deren Haus wurde Hauptquartier. Dort war der Kommandeur mit seiner Schreibkraft. Dann tauchte der Bürgermeister mit einem Amerikaner in ihrem Elternhaus auf. Befehl war: Alle Möbel drin lassen, aber Schubladen leer machen. Jeder half dabei. 16 Mann lebten im Haus. „Über die Amis konnten wir uns nicht beklagen.“ Ein Amerikaner hackte ihrem Großvater sogar das Holz. Die Eltern der ZZ 8 betrieben die Bäckerei Otto Schmidt. Bei den Hausdurchsuchungen kam auch deren Bäckerei dran. „Unter dem sog. Deutschen Ofen befand sich ein Treibraum für Kuchen. Das dunkle Loch machte ihnen zu Schaffen.“ Wie so viele Zeitzeugen machte sie hier ihre erste Begegnung mit einem „Neger“.

ZZ 24 erinnert sich daran, dass sich russische Fremdarbeiter noch lange nach dem Krieg, etwa ein Jahr, zum Teil als Einbrecher im Dorf herumtrieben. „Einmal räumten sie einen Keller aus, während die Mutter mit dem Baby im ersten Stock saß.“

Was ein Glück“ sagten die Hahner zunächst, als die ersten Amerikaner über die Eisenstraße ins Dorf kamen. ZZ 1 erinnert sich, dass die Bevölkerung dann aber bald aus den Betten gejagt wurde. Die Häuser wurden durchsucht. Kriegsauszeichnungen des Vaters des ZZ 20 mussten abgehängt werden. Einzelne Häuser wurden beschlagnahmt. Zerstörungen kamen dann vor, wenn z.B. Messerwerfen auf Türen und Schränke geübt wurde. „Sie hausten ganz schön.“ (ZZ 30) Der Vater der ZZ 1 passte gut auf seine drei Töchter auf. Die Zeitzeugin selbst war damals 24 Jahre alt. Schnell gewöhnte man sich aber an die Amerikaner, die es besonders gut mit den Kindern meinten: Sie bekamen oft Schokolade geschenkt. Abends tanzten sie dann mit den „Russenmädchen“ in der Scheune. Einige Frauen im Dorf mussten Kleider für diese Fremdarbeiterinnen nähen. Keinen Spaß verstanden sie, wenn jemand nach verhängter Ausgangssperre noch vom Einkaufen kam: Dem wurde auch im Einzelfall die Fleischwurst beschlagnahmt. Umgekehrt „beklauten“ auch die Hahner Buben die Amerikaner, deren Essensrationen auf dem Bahnhofsgelände in Fahrzeugen verstaut waren und durchaus bewacht wurden. Als Bürgermeister setzten die Amerikaner Herrn Barthmann ein, da er Englisch sprach. Außerdem habe er im Krieg „Spionage von hier aus betrieben, mit Fund. Der war ja ein Drecksack.“ (ZZ 20)

Etwa 8 Wochen blieben sie, in der Altensteiner Straße noch etwas länger. (ZZ 33)

Einzelne Soldaten, die gegen Kriegsende in der Hahner Umgebung angetroffen worden waren, wurden von den Amerikanern erschossen.“ „Vor dem Munitionslager hatten sie Angst.“ (ZZ 20) Die Villa Groß, heute ZOB-Gelände, wurde von den Amerikanern beschlagnahmt. Später gehörte sie dem Unternehmer Wehner, „ein Förderer des Sportvereins“ (ZZ 5) Anm.: und schließlich dem Ex-Geheimdienstler Friedrich W. Heinz.

ZZ 19 aus Wehen war noch Schülerin. Schon als die Amerikaner in Hahn angekommen waren ordnete der Wehener NSDAP-Ortsgruppenleiter Peußer an, dass an der evangelischen Kirche ein weißes Betttuch aufgehängt wurde. Am 28. März kamen sie mit „aufgepflanztem Maschinengewehr“ durch die Gärten. Dann wollten die ersten Panzer über die Platter Straße ins Dorf. Am Marktplatz blieben sie mit ihren Panzern stehen. Zum „Essenfassen“ gingen die Soldaten jeweils in die „Krone“. Dort gab es eine Gulaschkanone. Anfang April passierten zwei Zwischenfälle. Zwei deutsche Soldaten kamen in voller Uniform und Gewehren die Platter Straße runter und wollten wissen, ob die Amis schon da seien. Ihr Vater bestätigte ihnen das und empfahl ihnen, ihre Gewehre in eine tiefe Pfütze zu werfen. „Geht dann zum Rathaus und stellt Euch.“ Dort wurden sie wahrscheinlich gefangen genommen.

Am Eichelberger Weg hatte wohl jemand auf die Amerikaner geschossen. Alle männlichen Einwohner mussten sich daraufhin auf der Weiherwiese versammeln. Die Häuser wurden dafür durchsucht, während die ZZ 19 bei ihrem kranken Bruder unbehelligt am Bett blieb. Abends war immer Ausgangssperre. Auch daran erinnert sie sich: Eines Tages fuhr sie mit ihrer Freundin mit Fahrrädern nach Hahn, um dort Brot zu holen. Da es kalt war, zog sie ihre dickere Jungmädchenjacke über. Auf dem Rückweg überholte sie ein Jeep mit Amerikanern. Sie bekam dafür im Vorbeifahren „...eine Hundepeitsche übergezogen. Das war für die ein rotes Tuch.“ Angst hatten die amerikanischen Soldaten vor versprengten deutschen Soldaten in den Wäldern rund um Wehen. Diese waren noch bis Juni im Gebiet der Platte untergetaucht und warteten dort auf den Abzug der Amerikaner. „Die Amis mieden die Suche im Wald“ erinnert sich ZZ 26, Als sie das Haus von Dr. Lampe durchsuchen wollten, wurden sie von dessen Hund angebellt. „Dafür wurde das arme Tier erschossen.“ (ZZ 28)

Auch in Seitzenhahn mussten Familien ihre Häuser verlassen und kamen bei Verwandten im Dorf unter, schildert ZZ 29. Eine Uniform ihres Onkels, die den Amerikanern in die Hände gefallen war, wurde auf der Straße verbrannt, „In den Häusern gab es Zerstörungen. Schränke wurden mit Messern beworfen.“

Der Watzhahner ZZ 16 hat das Kriegsende „recht angenehm erlebt.“ Zwei französische Kriegsgefangene waren nämlich aus dem Wingsbacher Lager im Dorf. „Sie kündigten zwar ihre Flucht an, blieben aber über Nacht noch in Egerts Scheune.“ Sie nahmen dann mit den anrückenden Amerikanern Kontakt auf und legten ein gutes Wort für die Bevölkerung ein „...ist ein friedliches Dörfchen.“ Von Westen nach Osten durchzogen sie mit vielen Panzern das Dorf und nahmen im Wingsbacher Wald geflohene deutsche Soldaten gefangen, die sich dort versteckt hatten.

In Wingsbach war ein französischer Lehrer als Kriegsgefangener. Er sprach englisch und Deutsch. Er vermittelte zwischen den anrückenden Amerikanern und der Bevölkerung: „Hier braucht ihr keine Angst zu haben. Hier ist kein Militär.“ Sie zogen deshalb ohne einen Schuss ein. (ZZ 11) Zu Schusswechseln sei es allerdings vorher in Strinz-Trinitatis gekommen. Dort war noch SS in einem ehemaligen RAD-Lager untergebracht.

Die Hambacher ZZ 35 erlebte den Einzug der Amerikaner als „ganz friedlich.“ Dort wohnte nämlich ein Weinkommissionär aus Rüdesheim, Herr Kendermann. „Der war der englischen Sprache Herr“, war er doch schon vor dem Krieg in Amerika gewesen. Er lief den Amerikanern (evtl. mit einem weißen Tuch) entgegen und sagte: „Hier ist kein Widerstand. Es ist ganz friedlich gelaufen.“ Ab und zu seien sie in den folgenden Wochen im offenen Jeep durch das Dorf gefahren. „Sie belästigten aber niemanden.“

Aus Richtung Strinz-Margarethä kamen die Amerikaner nach Niederlibach. Häuser wurden für sie zwangsgeräumt. „Die Einheimischen durften nur zum Viehfüttern morgens und abends in die Ställe kommen. Sie blieben zwei bis drei Wochen.“ ZZ 30

Die Kinder hatten zahlreiche Kontakte zu den Amerikanern, waren sie umgekehrt doch auch sehr freundlich zu ihnen.

Ehe die Amerikaner in Orlen ankamen, war deren Artillerie schon nachts zu hören gewesen, erzählt ZZ 14. er war 16 Jahre alt. Sein Onkel, Bäcker Krieger aus Wiesbaden, hatte ihm befohlen, sich ins Bett zu legen. Ich musste eine Erkrankung vortäuschen.“ er freute sich über deren Ankunft. „Zum Glück kamen die Amerikaner.“ ZZ 35 berichtet, dass polnische Zwangsarbeiter im Haus seines Schwiegervaters Feix einbrachen. „Als er das Fenster aufmachte, schossen sie ihm durch den Mund.“ Amerikaner brachen ihn sofort im offenen Jeep nach Wiesbaden ins Krankenhaus. Er konnte aber nicht mehr gerettet werden.

Betttücher mussten aus den Fenstern gehängt werden, erinnert sich ZZ 21. Es hieß: „Wir werden nicht kämpfen. Wir ergeben uns. Früh am Sonntagmorgen erschienen die Amerikaner so gegen 9 Uhr. „Sie kamen auch in ihr Haus. „Der erste war ein Schwarzer.“

Sie kontrollierten die Zimmer und nahmen sich ihren Vater vor. Ein Parfümkästchen aus Frankreich, welches ihr gehörte, steckte sich ein Amerikaner wortlos ein. Dann verschwanden sie wieder. Ansonsten waren sie „...sehr höflich – nicht unangenehm.“ Sie suchten nach versteckten Soldaten. Auch erlebte sie, dass sich in diesen Tagen zwei junge hungrige deutsche Soldaten in einem Wäldchen zwischen Orlen und Hambach versteckt hatten. Diese nahmen ihre Mutter und sie mit zur „Hambacher Emma“ (Bücher). Dort konnten sie sich richtig satt essen. Brot durften sie sich noch einstecken, ehe sie wieder verschwanden.

In Neuhof besetzten die Amerikaner die „Burg“ für drei Monate. „Die Gewehre standen in der Speisekammer. Es war eine schöne Zeit.“ (ZZ 7)

9.  Die Heimatvertriebenen kommen

In der allgemeinen Diskussion haben sich die Worte „Flüchtlinge“ und „Heimatvertriebene“ angeglichen und werden als gemeinsamer Begriff gebraucht….“ aus: Historisches Lexikon Bayern. Die ersten Heimatvertriebenen kamen 1946.

9.1  So erlebten es die Einheimischen

Der ZZ 24 aus Bleidenstadt, er war 13 Jahe alt, erinnert sich wie folgt: „Die erste Flüchtlingsfrau kam aus dem Zug und fragte nach dem Bürgermeister. Das war damals Adolf Müller. Sie kamen alle in ein Massenlager bei Conradi. Ein Flüchtlingskommissar ging mit zwei bis drei Mann durch die Häuser und beschlagnahmte Wohnungen und Stuben. Das gab damals zum Teil böses Blut auf beiden Seiten.“ Ganze Familien wohnten in einem Zimmer. „Das waren schon schlimme Zeiten. Die Nachkriegsjahre waren schlechter als die Kriegsjahre.“ Bald aber entstanden erste Wohnungen, z.B. in der Rossbergstraße.

Die ZZ 1 erinnert sich: „Als die Heimatvertriebenen kamen, rissen sie sich im Geschäft meines Vaters um die Konserven mit Trockenkartoffeln. Einquartierungen erfolgten auch gegen den Willen der Einheimischen.“ Das Sammellager befand sich im Saal des Taunus. Dort gab es ein Strohlager. „An der alten Turnhalle in der Jahnstraße standen zunächst auch noch Baracken, bis die Gemeinde schnell und günstig Bauplätze zur Verfügung stellte. Die Ungarnflüchtlinge hielten besonders zusammen. In kürzester Zeit hatten sie ihr Häuschen gebaut.“ (ZZ 20/33)

In Hambach gab es in jedem Haus Einquartierungen. Ein Mann blieb hier, heiratete und baute. Da z.B. in Wörsdorf die Gemeinde günstiges Bauland anbot, zogen viele aus Hambach dorthin, weil es das hier nicht gab.“ (ZZ 36)

Die ganze Ungarn kam, zum Teil ohne Schuhe und die Frauen mit Kopftüchern. Ganze Familien hausten in einem Zimmer, die Kartons und den Betten.“ so erzählt es ZZ 2 aus Neuhof, deren Eltern keine Einquartierung hatten. Dagegen wurden in der Burg zwei Familien einquartiert. (ZZ 7). Auch Sudetendeutsche kamen, wie z.B. der ZZ 10, später Ehemann der ZZ 7. „Schnell bauten sie Häuser und wurden sesshaft.“ (ZZ 2): Viele Flüchtlinge kamen nach Neuhof und wurden von einer Kommission einquartiert. Das ältere Ehepaar Zeh kam zur Mutter der ZZ 6. Herr Zeh hatte eine Säge und eine Axt aus dem Sudetenland mitgebracht und ging mit zum Holzmachen. Bald fing er an zu bauen, obwohl er noch keine Baugenehmigung hatte. Die bekam er dann als Sondergenehmigung vom Bürgermeister.“ (ZZ 6)

ZZ 14, der ehemalige Bürgermeister von Orlen, erinnert sich: „Über 100 Heimatvertriebene kamen 1946 nach Orlen, das damals 370 Einwohner hatte. Darunter war auch die ZZ 17. Sie wurden durch eine Kommission einquartiert. Der Bürgermeister ging mit. Jeder Bauwillige erhielt in der Folgezeit ein zinsgünstiges Darlehen von fünftausend bis sechstausend Mark.“ „Der Orlener Ortsdiener, Gustelbabe wurde er genannt, rief es mit der Schelle aus. Auf dem Platz vor der Halle wurden die Vertriebenen ausgeladen. Sie hatten gerade mal ein Päckchen. Mehr durften sie nicht mitnehmen. Das war schon schlimm. Zunächst wohnten sie in der Halle und wurden dann aufgeteilt. Und die Schüler sammelten Kartoffeln im Dorf und mussten sie nach Wehen zum Pfarrer bringen. Sie waren für Heimatvertriebene gedacht.“ (ZZ 21)

Die ZZ 29 aus Seitzenhahn erinnert sich an die Einquartierung einer sudetendeutschen Familie bei ihren Eltern. „Das Ehepaar und dessen Tochter blieben vier bis fünf Jahre bei uns.“ Die Tochter brachte sich aber aus unbekannten Gründen um und die Eltern zogen nach Bleidenstadt. „einige Heimatvertriebene heirateten hier und blieben.“ ZZ 12, auch aus Seitzenhahn, erlebte als Eisenbahner, wie Flüchtlinge in Güterwagen in Bad Schwalbach ankamen. „Diese Züge kamen einmal wöchentlich, jeweils drei bis vier Wagen waren an Güterzüge angehängt. In jedem Wagen waren etwa 30 Personen untergebracht.“

Nach Watzhahn kam eine große Zahl von Heimatvertriebenen. Sie wurden einquartiert. Erst mit ihnen kam das Arbeitsleben hier auf. Bisher gab es nur einen Arbeitnehmer im Dorf. Dieser arbeitete in einem Sägewerk in Wiesbaden. Alle anderen waren selbständige Bauern. So nach und nach kam eine Arbeiterschaft auf. Die Heimatvertriebenen heirateten oft hier oder in der Umgebung.“ (ZZ 16)

Der Vater von ZZ 19 aus Wehen „...musste nach Hahn zum Bahnhof fahren und Heimatvertriebene von dort mit seinem LKW auf die einzelnen Ortschaften verteilen. Die Wehener Heimatvertriebenen wurden zunächst in der „Krone“ gesammelt und versorgt. Von dort erfolgte die Aufteilung auf Wohnungen. Die Unterbringung erfolgte auch in der alten Schule.“ Mit einem dieser Transporte kam auch ihr späterer Ehemann und erfolgreicher Firmengründer. Dass er katholisch und sie evangelisch war, machte die Sache nicht leichter.

Großen Respekt vor der Aufbauleistung der Heimatvertriebenen in dieser schlechten Zeit“ zollt ZZ 28. „Sie hausten mit ihren Kindern in einem Raum. Diese Leute hatten ja nichts.“ Nach der Erinnerung des ZZ 26 wurden sie im Wehener Schloss gesammelt.

ZZ 35 aus Wingsbach erinnert sich: „Sie kamen mit Schipp und Rechen. Im Einzelfall heirateten sie auch hier. Sie haben sich in Wingsbach wohlgefühlt.“

9.2   Und so erlebten die Betroffenen ihre Flucht und Vertreibung

Die ZZ 22 und 23, als Zwillinge 1933 geboren, kamen mit ihrer Mutter und der Tante aus Südmähren nach Niederlibbach. Der Bürgermeister ihrer Heimatgemeinde war von Russen mit Kriegsende sofort erschossen worden. „Chaotische Verhältnisse herrschten rundum. Am 19. Mai gingen die Tschechen rum und sammelten alle Männer auf einem LKW. Sie wurden in der Kreisstadt Znaim eingekerkert. Schlimme Misshandlungen und Totschlag folgten. Auch unser Vater war dabei. Frauen und Kinder waren nun alleine. Die Russen wüteten weiter. Eine Achtzehnjährige aus dem Dorf verschwand spurlos. Als die Russen uns auch noch trennen wollten, um uns nach Sibirien zu verschicken, besorgten sich unsere Tante und unsere Mutter eine Schubkarre und flüchteten mit uns unerkannt über die Grenze nach Österreich. Dort lebten wir zunächst unter Kornhausten und in einer verlassenen Scheune, bis wir bei Bauern und einer Tante unterkamen.“ Über drei Wochen sind sie schließlich im April 1946 in Viehwaggons durch Österreich und Deutschland nach Bad Schwalbach transportiert worden. Von Dort wurden sie auf die Gemeinden aufgeteilt.

Ca. 40 bis 50 Personen wurden in Niederlibbach eingewiesen. Jedes Haus war betroffen. „Es waren ja schon die Ausgebombten aus den Städten hinzu gekommen.“ Beide bringen noch heute ihre Verwunderung darüber zum Ausdruck, „...dass unsere Zwangseinweisung überhaupt ging.“

ZZ 15 aus Watzhahn bzw. dem Ost-Sudetenland, Regierungsbezirk Troppau, schildert: „Anfang Mai 1945 kamen die Russen an, Kampftruppen und dann Partisanen. Alle Deutschen im Dorf mussten sich versammeln, Kriegsgefangene wurden freigelassen. Dann kamen im Laufe des Monats Mai die ersten Tschechen. Einige Deutsche mussten sofort aus ihren Häusern raus. Durften nichts mitnehmen und kamen in ein Lager. Andere durften bleiben. Die aus dem Lager mussten in einer Kolchose arbeiten. Ich blieb mit der Mutter, der Vater war gefallen, als Knecht auf dem ehemals eigenen Hofgut. Ich war 15 Jahre alt. Meine Mutter war krank. Am 15.5.1946 mussten wir mit einem Transport weg. Von allem, was wir zunächst mitnehmen durften, ursprünglich 50 kg, blieb am Ende durch weitere Beschlagnahmung fast nichts mehr übrig. Wir kamen für vier bis fünf Tage über Limburg nach Kettenbach in das ehemalige RAD-Lager. Dann ging es mit einem LKW nach Watzhahn. Vor dem Dorf stand noch eine Panzersperre. Ich wohnte dann mit meiner Mutter in einem Zimmer von 9 qm beim Bauer Schneider und arbeitete dort als Knecht. Später kam mein Bruder noch dazu. Wir waren drei Personen auf 9 qm. Ein Öfchen, ein kleiner Schrank und das Bett. Ich hatte ein Feldbett. Das kann sich heute keiner mehr vorstellen. Ich war dort bis 1949. Die Jugend unter sich in Watzhahn verstand sich gut. Die Älteren waren wegen der Einengung aber verärgert.“ er hatte jedoch in der Heimat selbst Einquartierungen auf dem väterlichen Hof erlebt. Der ZZ war 34 Jahre lang Vorsitzender der Landsmannschaft aus seinem Heimatort.

Mit demselben Transport aus dem Sudetenland war die ZZ 32 gekommen. „Wir haben die ersten Nächte im „Taunus“ in Hahn im Saal zusammen mit anderen Familien gewohnt. Ich war 10 Jahre alt. Dort gab es auch Doppelbetten. Nach fünf Tagen kamen wir dann in eine Wohnung bei der Familie Seifert/Schranz. Drei Familien hatten dort eine Küche für alle und je ein Zimmer für die beiden anderen Familien. Die Frauen des Hauses waren hilfsbereit. Vater Seifert war zwar eher erschrocken über die vielen Leute, die ins Haus gesteckt worden waren. Es dauerte ein Jahr in der Enge, bis zwei Familien andere Wohnungen erhielten. Im Laufe der Zeit spielte es sich ein. Wir blieben dort 11 Jahre. Ein guter langfristiger Kontakt blieb auch danach erhalten. Auch in der Schule hatten wir es schwer. Ich wurde um ein Jahr zurückgesetzt, da das Jahr, in dem die Russen gekommen waren, gefehlt hat. Dann fehlte noch ein halbes Jahr wegen der unterschiedlichen Einschulungstermine. Die Kinder waren schon heftig und haben sich gekracht. Meine Mutter half Bauern auf dem Feld. Das verschaffte mir und der Familie Ansehen im Dorf.“

ZZ 31 aus Wingsbach wurde aus Mährisch-Neustadt in Nordmähren (Sudetenland) vertrieben, als er 10 Jahre alt war. „Ich kam mit meiner Mutter, Großmutter und dem zweijährigen Bruder im Transport zunächst nach Bad Schwalbach und dann nach Bleidenstadt ins Lager, den Saalbau Conradi. Dort erschien auch mein Vater nach seiner Kriegsgefangenschaft zusammen mit Dr. Strohschneider, der sich als Arzt in Bleidenstadt niederließ. Der Bürgermeister meiner Heimatgemeinde bis zur Machtergreifung Hitlers kam auch nach Bleidenstadt und wurde hier Vorsitzender der Gemeindevertretung. Mährisch-Neustadt ist geschichtsträchtig durch das Treffen von Kaiser Joseph II und Friedrich d. Großen. Sie trafen sich hier, um Polen aufzuteilen. Am Ostermontag 1946 zeigte uns mein Vater Wingsbach. Dort waren wir dann in eineinhalb Zimmern sehr gut untergebracht. Die Kaisers waren Seelen von Menschen.“ sein Vater war Schreiner und tauschte selbst gemacht Kochlöffel, Nähkästchen, Lampen etc. von Ort zu Ort. „Wir hausierten“.

Ab 1947 besuchte der ZZ zusammen mit drei anderen „Flüchtlingsmädchen“ aus Wingsbach die Mittelschule in Bad Schwalbach. Bis 1949 liefen sie täglich zu Fuß zum Bahnhof Hahn-Wehen und nachmittags zurück. 1968 wurde der ZZ Bürgermeister von Wingsbach, bald nach dem Zusammenschluss mit der Stadt Taunusstein hauptamtlicher Stadtrat.












Zeitzeugen Taunusstein (nummerisch)

1
Martha Anton
1921
Hahn
2
Emma Mohn
1922
Neuhof
3
Erika Werner
1922
Hahn (jetzt WI)
4
Irma Ernst
1923
Bleidenstadt
5
Rudolf haab
1925
Hahn
6
Meta Hengstler
1925
Neuhof
7
Liselotte Sturm
1925
Neuhof
8
Irene Fuhr
1925
Bleidenstadt
9
Elfriede Stahl
1925
Hahn
10
Günther Sturm
1926
Neuhof
11
Erwin Deußer
1927
Wingsbach
12
Karl Christmann
1927
Seitzenhahn
13
Richard Hofmann
1929
Hambach
14
Karl Witt
1929
Orlen
15
Gerhard Schilder
1930
Watzhahn
16
Helmut Weinig
1931
Watzhahn
17
Frau Hertling
19361
Orlen
18
Rudolf Fischer
1931
Wingsbach
19
Erika Feil
1932
Wehen
20
Kurt Bendinger
1932
Hahn
21
Hildegard Oberndörfer
1933
Orlen
22
Adolfine Höhne
1933
Niederlibbach
23
Sieglinde Bietz
1933
Niederlibbach
24
Helmut Schaab
1933
Bleidenstadt
25
Ilse Fischer
1933
Wingsbach
26
Werner Kaltwasser
1933
Wehen
27
Heinz Wesolowski
1933
Neuhof
28
Kurt Schrank
1934
Wehen
29
Edith Frankenbach
1935
Seitzenhahn
30
Erwin Bietz
1936
Niederlibbach
31
Mansuet Heidenreich
1936
Wingsbach
32
Emilie Debus
1935
Hahn
33
Marie-Luise Bendinger
1938
Hahn
34
Gerlinde Weidenfeller
1938
Wehen
35
Helmut Conradi
1927
Wingsbach
36
Elfriede Dörrbaum
1929
Hambach

Zeitzeugen Taunusstein (nach Stadtteilen)


Jahrgang
Stadtteil
Helmut Schaab
1933
Bleidenstadt
Irene Fuhr
1925
Bleidenstadt
Irma Ernst
1923
Bleidenstadt

Emilie Debus
1935
Hahn
Elfriede Stahl
1925
Hahn
Martha Anton 1921
Hahn
Kurt Bendinger
1932
Hahn
Marie Luise Bendinger
1938
Hahn
Erika Werner
1922
Hahn (jetzt WI)
Rudolf Haab
1925
Hahn

Gerlinde Weidenfeller
1938
Wehen
Werner Kaltwasser
1933
Wehen
Kurt Schrank
1934
Wehen
Erika Feil
1932
Wehen

Meta Hengstler
1925
Neuhof
Liselotte Sturm
1925
Neuhof
Günther Sturm
1926
Neuhof
Emma Mohn
1922
Neuhof
Heinz Wesolowski
1933
Neuhof

Edith Frankenbach
1935
Seitzenhahn
Carl Christmann
1927
Seitzenhahn

Rudolf Fischer
1931
Wingsbach
Ilse Fischer
1933
Wingsbach
Mansuet Heidenreich
1936
Wingsbach
Erwin Deußer
1927
Wingsbach
Helmut Conradi
1927
Wingsbach

Gerhard Schilder
1930
Watzhahn
Helmut Weinig
1931
Watzhahn

Richard Hofmann
1929
Hambach
Elfriede Dörrbaum
1929
Hambach

Erwin Bietz
1936
Niederlibbach
Sieglinde Bietz
1933
Niederlibbach
Adolfine Höhne
1933
Niederlibbach

Karl Witt
1929
Orlen
Inge Hertling
1931
Orlen
Hildegard Oberndörfer
1933
Orlen


Einwohnerentwicklung der Taunussteiner Gemeinden


17.05.1939
13.09.1950
Bleidenstadt
1059
1706
Hahn
1004
1593
Hambach
100
172
Neuhof
532
764
Niederlibbach
187
273
Orlen
370
529
Seitzenhahn
302
450
Watzhahn
84
158
Wehen
1138
1859
Wingsbach
196
312

4972
7816
aus: "Taunusstein. Geschichte und Gegenwart".
Hrsg.: Magistrat der Stadt Taunusstein, Taunusstein 2001, S. 342
Für 1944 wird die Einwohnerzahl der 10 Gemeinden auf insgesamt 6000 Personen geschätzt. Der Zuwachs in Höhe von 1028 Einwohnern wird "Evakuierten und Fliegergeschädigten" zugerechnet.
Die bis 1950 zusätzlichen 1816 Einwohnern werden als "Flüchtlinge, Heimatvertriebe und Gestrandete" angegeben.
ebenda, S. 343